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Berlin Fashion Week: Guido Maria Kretschmer im Interview: "Uniformen haben Menschen immer genutzt, um zu wissen, wen sie zu erschießen haben"

Für seine TV-Sendung „Shopping Queen“ wird Guido Maria Kretschmer von einem breiten Publikum geliebt. Zusammen mit dem Versandhaus Otto kann er nun eine erschwingliche Kollektion anbieten. Ein Gespräch mit einem, dem von seinen Fans einfach alles zugetraut wird.

Guido Maria Kretschmer ist in Redelaune. Um ihn herum sitzen auf von ihm entworfenen grünen Samtsesseln und Sofas drei seiner Mitarbeiter. Zwei davon starren nicht auf ihr Handy, sondern hören ihrem Auftraggeber zu, als sei die Story von seiner Zusammenarbeit mit dem Versandhaus Otto neu und aufregend. Auch Kretschmer ist so angetan von seiner neuen Beziehung zur Hamburger Familie Otto, dass er immer wieder auf den Aufsteller hinter sich klopft, der von oben bis unten mit den Worten „Guido Maria Kretschmer presented by Otto“ bedruckt ist. Kretschmer hört sich gerne zu, weil er weiß, dass es die anderen auch tun. Er ist ein guter Entertainer.

Sie arbeiten jetzt mit Otto zusammen.
Das war für mich eine große Entscheidung. Ich war einer der wenigen, die alleine gearbeitet haben. Viele müssen irgendwohin gehen, weil sie aus Geldnot einen Partner brauchen. Das war bei mir nicht der Fall. Ich war frei und gut finanziert, dachte aber irgendwann: Ich muss das größer machen.

Es gab also mehr Nachfrage durch „Shopping Queen“?

Ich hatte so viele Anfragen, ich kam bei der Produktion gar nicht mehr hinterher. Ich hätte ganz andere Möglichkeiten gebraucht. Und ich merkte auch, dass ich anfing, in meinem eigenen Lager Autogramme zu geben, das war 2015. Dann habe ich die Familie Otto kennengelernt, und wir waren sehr schnell vertraut. Sie sind ein bisschen konservativ und christlich, die passen auf, dass die ethischen Standards hoch sind.

Sie waren vor allem für Ihre Anlassmode auf der Fashion Week bekannt.

Für mich war das ein gutes Business, weil ich dadurch mit vielen Leuten verbunden war. Ich hatte sehr viele prominente Kundinnen, die das auch getragen haben, weil ich in dieser Welt ganz zu Hause war. Aber auch durch meine Sendung „Shopping Queen“ hat sich der Look ein bisschen verändert. Ich habe meinen Blick trainiert. Mich fragen so viele Leute: Guido, wo kann man das kaufen? Und dann habe ich gedacht: Es braucht so etwas wie „democratic couture“, anständig produzierte, aber trotzdem erschwingliche Kleidung. Meine eigene Mutter würde sich bei mir kein Kleid kaufen, wäre ihr zu teuer.

Bei vielen Designern sind die Mütter ein Korrektiv.
Ja, damit man am Boden bleibt. Ich weiß natürlich auch, wie es ist, wenn Frauen richtig viel Geld für Kleidung ausgeben, und bin froh, dass es das gibt. Ich habe so viele große Roben gemacht, das kann ich meiner Mutter gar nicht erzählen, was Leute dafür ausgeben haben. Aber die halten uns am Leben und das Handwerk hoch, es braucht Elitäres in jedem Bereich, damit sich etwas entwickeln kann. Weil Menschen, die viel Geld haben und etwas Besonders wollen, Handwerker zu Höchstleistungen antreiben. Ich hatte eine Kundin, die sagte: Ich habe eine wunderschöne Jacke von Üssel. Ich dachte: Was hat die? Und als ich reinguckte, war das YSL. Das zeigt mir: Guck mal, das ist so eine reiche Frau, der ist total egal, ob eine Jacke 5000 Euro kostet.

"Wir können nicht alle alles konsumieren"

Die Kehrseite der Demokratisierung ist, dass alles ähnlich ist und auf der anderen Seite der Erde Menschen ausgebeutet werden.
Genau, weil man denkt, alle können alles machen. Das ist ein Versprechen, das auch Textil nicht halten kann. Wir können nicht alle alles konsumieren. Wenn sich 35 Eskimos einen Seehund umhängen, würde ich sagen: Wenn es ihnen auch noch gut geschmeckt hat, bitte. Aber wenn du irgendwann glaubst, du kannst alles haben – das geht nicht.

Aber Otto macht doch traditionell alles für alle.
Ich hatte so viele Lizenzanfragen und mit Otto konnte ich Möbel und Textilien machen, weil ich so ein Einrichtungsmensch bin. Da kommen wir zurück auf die Mutter. Das ist die Welt, aus der ich komme. Wenn ich durch eine Stadt wie Recklinghausen fahre und in die beleuchteten Zimmer mit den Neonröhren gucke, denke ich: Ach Mensch, ihr braucht neues Licht.

Bekommen Sie viele Fragen von Ihren Zuschauern?

Es kommt ganz viel Post. Manchmal stecken 20 Euro im Umschlag: „Lieber Herr Kretschmer, hier zwei Fotos. Welche Sekretärin soll ich nehmen? Und gehen Sie ein Bier trinken.“ Das Geld schicke ich zurück. Oder Schwiegermütter schreiben mir, wenn der Sohn zum ersten Mal eine Frau mitbringt: Was meinst du, Guido?

Sie sollen also vom Äußeren aufs Innere schließen?
Der Guido wird's schon wissen, ob das ein guter Mensch ist. Der macht zwar Klamotten, aber der hat ein gutes Herz.

Mit so viel Verantwortung muss man erst mal zurechtkommen.
Das ist das normale Leben. Ich bin Designer geworden, weil ich Menschen mag. Ohne Menschen drin finde ich Klamotte wahnsinnig langweilig. Meine Art, den Menschen nahezukommen, ist mit Textil. Kleider sind die letzte Freiheit, die wir haben. Das siehst du, wenn du in einem System lebst, wo es keine textile Freiheit gibt, dann ist Feierabend. Uniformen haben die Menschen immer genutzt, um zu wissen, wen sie zu erschießen haben.

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