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In der Maßschuhmacherei Hennemann & Braun werden Modelle nach einem individuellen Holzleisten gefertigt, der die Besonderheiten des jeweiligen Fußes berücksichtigt

© promo

Anlässlich der Zeughausmesse: Kunsthandwerk, wir müssen reden

Kunst zum Anfassen – das ist es, was man auf der Zeughausmesse sehen und kaufen kann. 90 Künstler und Designer wollen ihre Produkte nicht nur ausstellen, sondern auch darüber reden. Der Begriff Kunsthandwerk ist in Deutschland in Verruf geraten, doch das ändert sich gerade.

Schmuckdesignerin Friederike Malz fertigt Ringe aus Eisen und Ketten in komplexen, geometrischen Formen. Sie ist Vorsitzende des Verbands für angewandte Kunst in Berlin und Brandenburg. Gabriele Braun arbeitete als Unternehmensberaterin, bevor sie den Sprung ins Kunsthandwerk wagte. Heute ist sie Teilhaberin der Maßschuhmacherei Hennemann & Braun. Produktdesignerin Karina Wendt hat sich auf mundgeblasene, handgedrehte Glasobjekte spezialisiert. Mit Grit Thönnissen haben die drei Frauen über ihre Arbeit, die Außenwirkung sowie die Renaissance des Handwerks gesprochen.

Der Begriff Kunsthandwerk erfährt in Deutschland keine große Wertschätzung.

Friederike Malz: Wir haben uns als Verband von „Kunsthandwerk“ in „angewandte Kunst“ umbenannt, weil der Begriff in Deutschland so negativ besetzt ist. Darunter wird vor allem Dekorationshandwerk verstanden. Aber in letzter Zeit kehrt man dazu zurück, weil es schon der richtige Begriff ist. Wir verstehen uns als die Kunst im Handwerk. Aber das Handwerk steht seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr im Mittelpunkt der Gesellschaft, weil das meiste nicht mehr notwendig für das tägliche Leben ist. Natürlich gibt es auch Bereiche, die wir brauchen, zum Beispiel im Baugewerbe.

Frau Braun, ist es für Ihre Kunden wichtig, den Prozess des Schuhmachens mitzuerleben?

Gabriele Braun: Das erkennen wir ganz stark. Es gibt Schuhmacher, die machen das rein als Handwerk, also Orthopädie. Da steht das Funktionale im Vordergrund. Dadurch, dass wir Einzelstücke herstellen, hat der künstlerische Aspekt einen sehr hohen Stellenwert. Unsere Kunden lieben diesen Prozess und auch den Anspruch, etwas Individuelles zu bekommen. Die Leute genießen das Gefühl, wenn nebenan in der Werkstatt Schuhe gebaut werden.

Frau Wendt, Sie stellen mundgeblasenes Glas her, auch Alltagsgegenstände wie Vorratsdosen und Wassergläser. Wie industriell dürfen die sein?

Karina Wendt: Viele Menschen haben verlernt, zu erkennen, wie mundgeblasenes Glas aussieht. Viele klopfen an das Glas und können nicht entscheiden, ob es Kunststoff oder Glas ist. Das hat mich erschreckt. Deshalb achte ich bei meinen Gläsern darauf, dass wir auch mal Bläschen im Glas haben.

Gläser und Karaffen von Karina Wendt sind spülmaschinenfest
Gläser und Karaffen von Karina Wendt sind spülmaschinenfest

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Obwohl die Glasbläser seit Jahrhunderten daran arbeiten, dass keine Bläschen mehr drin sind.

Wendt: Aber für mich als Designerin ist es wichtig, dass man das Handwerk im Produkt sieht. Heute werden teilweise die Teilungsnähte extra dran gelassen, wenn das Glas in zwei Formen geblasen wird. Neulich habe ich eine Schale von Leonardo gesehen, ein absolutes Industrieprodukt. Das hatte unten einen künstlichen Abriss, der beim Glasblasen entsteht. So wird den Leuten vorgegaukelt, dass es ein handwerklich hergestelltes Produkt ist.

Es gibt also im Kunsthandwerk immer noch das Bedürfnis, sich abzugrenzen?

Braun: Wir merken das extrem. Man muss sich nur die traditionellen Maßschuhmacher in England vor Augen führen: roter Teppich, alles dunkel vertäfelt, Männer mit grünen Schürzen. Wir haben versucht, da einen Kontrapunkt zu setzen. In unseren Räumen ist es hell, offen, ein bisschen chaotisch, um nahbar zu sein. Wenn sich jemand für Maßschuhe entscheidet, macht er das nicht spontan, da muss die Hemmschwelle niedrig sein.

Malz: Der Wandel in Deutschland geht ganz, ganz langsam. Und gerade hier in Berlin höre ich sehr oft: Ist das teuer.

Gilt das auch für Alltagsgegenstände?

Wendt: Genau da sparen viele. Wir geben für Technik mehr aus als für das, was uns umgibt. Zum Beispiel bei den Wassergläsern: Die Leute finden sie toll, aber wenn sie den Stückpreis von 30 Euro hören, wollen sie nicht so viel bezahlen. Dabei haben sie kein Problem, diesen Betrag für eine Flasche Wein auszugeben.

Malz: Vor allem volkswirtschaftlich und global ist es falsch. Wir können es uns nicht leisten, ein Glas für 30 Cent zu kaufen. Jeder hat 20 000 Gegenstände zu Hause, die er praktisch nie benutzt. Man sollte sich überlegen, mit welchen man sich umgeben will. Die Nachhaltigkeitsdebatte kommt fast zu spät.

Braun: Man arbeitet eigentlich gegen den Markt. Kaufentscheidungen werden nicht mit dem Kopf getroffen. Es hat viel mit dem Unterbewusstsein zu tun, wie wir konditioniert wurden. Und unsere Gesellschaft lebt noch von dem Jäger- und Sammlerprinzip: Je mehr ich habe, desto besser, mächtiger, schöner bin ich. Der Umdenkprozess weg von Masse, hin zu wenig, aber toll, ist zwar im Gange, aber lange nicht da, wo wir ihn haben müssten.

Sehen Sie sich als Bewahrer?

Braun: Ja, schon. Gerade die Kunden aus dem Ausland sind total erstaunt, dass es so etwas wie Maßschuhe noch gibt. Und wir müssen aufpassen, dass das Handwerk nicht durch die Workshop-Kultur verramscht wird. Jeder möchte sich heute einen Schuh selbst bauen. Es wird suggeriert, dass man alles schnell selber machen kann. Aber ein Handwerk wie Glas, Schmuck oder Schuh kann man nicht mal eben so lernen.

Malz: Ich glaube, dass diese Workshops ihre Berechtigung haben, um eben genau das zu zeigen. Die Leute merken beim ersten Sägestrich, dass es nicht so leicht ist, Schmuck herzustellen. So etwas bildet, die Leute gehen mit einem anderen Bewusstsein raus.

Zeughausmesse im Deutschen
Historischen Museum,
Unter den Linden 2, Mitte, diesen Sa von 10 bis 21 Uhr, So von 10 bis 18 Uhr.

Friederike Malz, Schmuckdesignerin, Lychener Str. 5, Prenzlauer Berg, www.von-berlin.de
Gabriele Braun von der Maßschuhmacherei Hennemann & Braun, Senefelder Str. 32, Prenzlauer Berg, www.massschuhmacherei.de
Karina Wendt, Designerin für Glas, www.karina-wendt.de

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