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Als Radfahrer in Berlin hat man nicht immer den Eindruck, dass es voran geht mit der Infrastruktur. - Foto: Viktor Rosenfeld (CC: BY-SA 2.0)

© Viktor Rosenfeld

Zehn typische Situationen für Berlins Radverkehr: Kampfparker, Fehlplanungen und wilde Baustellen

Seit drei Jahren senden uns Leser ihre Bilder von gefährlichen Stellen im Berliner Radverkehr. Diese zeugen vom Unwillen, das Fahrrad als Verkehrsmittel ernst zu nehmen. Eine kleine Auswahl.

Um es vorwegzunehmen: Berlin ist weit entfernt von Kopenhagener Verhältnissen. Es gibt hier keine Fahrradschnellwege, keine grüne Welle und anders als in Dänemark tut sich bei uns nicht viel, um die Infrastruktur wirklich entscheidend zu verbessern. Seit knapp zehn Jahren gibt es die Radverkehrsstrategie des Senats, in der die größten Probleme benannt werden. Manches hat sich seither verbessert, doch die Fahrt durch die Stadt bleibt an vielen Stellen ein Abenteuer. Dass es dennoch gute Gründe für die Berliner gibt, aufs Rad zu steigen, zeigt die starke Zunahme des Radverkehrs in den vergangenen Jahren: "Fahrradaffine Lebensstile sind auf dem Vormarsch", heißt es beim Senat.

Unsere Leser ärgern sich sehr über die Probleme im Radverkehr: Warum, fragen sich viele von ihnen, hat eine Straße sechs Fahrspuren für Autos, aber nur einen verwilderten und benutzungspflichtigen Radweg? Weshalb werden die Fahrzeuge auf den ständig zugeparkten Radstreifen nicht abgeschleppt?

Die folgenden zehn Situationen müssen nicht die schlimmsten Stellen der Stadt zeigen. Die Auswahl soll beispielhaft für Probleme stehen, die in jedem Kiez dutzendfach auftreten.

Ein quer geparkter Streifenwagen versperrt den Radweg am Mehringdamm.
Ein quer geparkter Streifenwagen versperrt den Radweg am Mehringdamm.

© Christian

Auch Ordnungshüter parken wild

Ein schwieriger Parcours, der Mehringdamm in Kreuzberg. Radfahrer müssen dauernd bremsen auf dem schmalen Radweg neben der sechsspurigen Straße. Für Passanten, die zwischen den geparkten Autos hervortreten, für Touristengruppen, die ihre Rollkoffer dort entlang ziehen und sich nicht umdrehen. Und für Radfahrer, die sich auf diesem Handtuchbreite nicht überholen lassen.

Wenn dann noch kurz vor dem U-Bahnhof Mehringdamm ein Streifenwagen den Weg versperrt, ist der Ärger groß. Quer auf dem Radweg steht er, obwohl offenbar auf dem Parkstreifen daneben gleich Platz für einen ganzen Tanklaster gewesen wäre. Leider hat Christian Müller den Fahrer nicht angetroffen, um ihn nach dem Grund zu fragen. Er konnte nur dieses Foto machen, den Kopf schütteln und das Fahrrad vorbeischieben.

"Es sieht sehr unglücklich aus", kommentiert Polizeihauptkommissar Stefan Drescher von der Polizeipressestelle das Foto, will aber nicht ausschließen, dass der leere Parkplatz zum Zeitpunkt des Eintreffens der Streife belegt war. Die Polizei habe eine Vorbildfunktion und müsse sich an Regeln halten, so Drescher. Nur bei eilbedürftigen Einsätzen, bei denen Gefahr für Menschenleben oder bedeutende Sachwerte besteht, können Parkregeln außer Acht gelassen werden.

Leider erreichen uns zu viele Fotos dieser Art, um an einen Einzelfall zu glauben. Es scheint, als würden einige Beamte die Eilbedürftigkeit ihrer Einsätze sehr großzügig auslegen.

Dieser neu gebaute Radweg führt an einen Laternenmast.
Dieser neu gebaute Radweg führt an einen Laternenmast.

© Holger Garlipp

Hier entlang, direkt an den Laternenmast!

Die Risaer Straße in Hellersdorf gehört nicht zu den schönsten Fahrradstrecken der Stadt. Radfahrer werden auf einen schmalen Radweg auf dem Bürgersteig gezwungen, der größtenteils noch aus holprigen Betonplatten besteht. Endlich tut sich was, mochte man bei diesen Bauarbeiten an einer Bushaltestelle denken. Vielleicht der Beginn eines umfassenden Umbaus mit einem Radstreifen auf der Straße? Nein, weit gefehlt, stattdessen führt dieser Weg in der Nähe des U-Bahnhofs Hellersdorf direkt an einen Laternenmast. Autsch!

Wer in dieser Richtung auf die Kynastbrücke auffährt, muss mit Drangsalierungen von Autofahrern rechnen.
Wer in dieser Richtung auf die Kynastbrücke auffährt, muss mit Drangsalierungen von Autofahrern rechnen.

© Henning Onken

Eine verplante Brücke

Wer die Kynastbrücke in Richtung Treptower Park hochfährt, wundert sich schnell über dieses Bauwerk. Einen Radweg gibt es nicht, dafür einen breiten Bürgersteig, der nach oben hin schmaler und selbst für Fußgänger unpassierbar wird. Wer sich nicht aus Angst regelwidrig auf den Radweg der Gegenseite schlägt, wird von Autofahrern immer wieder riskant überholt - viel Platz ist auf den zwei engen Fahrspuren der Brücke nicht. Weil sie meinen, dass Radfahrer hier nichts verloren haben, öffnen einige Fahrer die Seitenscheibe und pöbeln. Im schlimmsten Fall geben sie ohne Rücksicht Gas. An der Ampel hinter der Brücke ergibt sich manche Gelegenheit, brutalen Autofahrern die Verkehrsregeln zu erklären. Denn dort stehen sie im Berufsverkehr längst wieder in einer langen Schlange.

Wie kann es sein, dass eine Brücke aus dem Jahr 2009 mit solchen Fehlern gebaut wird, fragten uns Leser. Immerhin sprechen wir bereits von einer Zeit, in der die Sicherheitsinteressen von Radfahrern an vielen anderen neu gebauten Stellen berücksichtigt wurden. Es war die Deutsche Bahn, die im Zuge des Ostkreuz-Umbaus auch die alte Kynastbrücke wieder neu aufbaute. Im Planfeststellungsverfahren von damals ist ein Teil des Gezerres um die Ausgestaltung protokolliert. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) mahnte beidseitige Radstreifen und eine breitere Brücke an, auch das Bezirksamt Friedrichshain übte Kritik. Letztlich entschied sich das Land Berlin für den heutigen Zustand. Übrigens taucht am Ende der Brücke überraschend ein Radstreifen auf - gebaut ist dieser Anschluss im Jahr 2013.

In der Fahrradstraße Linienstraße kommt man als Radfahrer kaum voran.
In der Fahrradstraße Linienstraße kommt man als Radfahrer kaum voran.

© Christian Müller

Stau auf der Fahrradstraße

Mit dem Umbau der Linienstraße wollte der Senat im Jahr 2008 Bürger zum Radfahren anregen. Oft gewinnt ist das Gegenteil der Fall. Radfahrer müssen absteigen, weil Autos die Straße blockieren. Es reicht, dass ein Transporter im Gegenverkehr auf einen Kleinwagen trifft – schon ist die Fahrbahn verstopft. Dabei sollte man nebeneinander radeln können auf der für 3,5 Millionen umgebauten Fahrradstraße. Einige Radfahrer weichen aus Frust regelwidrig auf den Bürgersteig aus, wo sie Fußgänger gefährden.

Die Verlockung ist für Autofahrer wohl zu groß, in Stoßzeiten von der staureichen Torstraße parallel auf die Linienstraße auszuweichen. Erlaubt ist das nicht: Nur Anlieger dürfen mit ihren Autos in Fahrradstraßen, und auch das nur, wenn sie dies durch ein Schild kenntlich machen. Trotz Fahrradsymbolen auf dem Asphalt und der eindeutigen Beschilderung stören nicht alle Autofahrer absichtlich den Radverkehr. Viele haben gar nicht wahrgenommen, dass sie unberechtigt in eine der mittlerweile 17 Fahrradstraßen eingedrungen sind. Im Fall der Linienstraße gilt vielen Radfahrern eine Einbahnstraße als Lösung. Im Online-Radverkehrsdialog des Senats haben viele Teilnehmer Ideen in diese Richtung geäußert.

"Rauf auf den Radweg mit dir!"

Trauben von Touristen stehen auf diesem Radweg an der East Side Gallery.
Trauben von Touristen stehen auf diesem Radweg an der East Side Gallery.

© Georg Lengers

An der East Side Gallery bleibt fast jeder Tourist für ein Foto stehen. Radfahrer werden kurz vor der Oberbaumbrücke direkt in diese Situation geführt. Wer dagegen vor den Trauben unachtsamer Touristen auf die Straße ausweicht, wird angehupt, hautnah überholt oder wild gestikulierend auf den kaum nutzbaren Radweg verwiesen.

Diese Situation kennt jeder Radfahrer, egal in welchem Stadtteil: Überall gibt es Wege, die aus verschiedenen Gründen kaum zu befahren sind. Was aber meistens untergeht: 85 Prozent der Berliner Radwege sind nicht mehr benutzungspflichtig, so auch hier: Das blaue Schild wurde abgeschraubt. Den meisten Radfahrern fällt das erst spät oder gar nicht auf. Viele fahren sogar freiwillig oben weiter, um nicht von Autofahrern drangsaliert zu werden. Bereinigt würde diese Situation erst, wenn die entwidmeten Radwege verschwinden, also rückgebaut werden.

Eine bizarre Baustelle auf dem Radweg an der Schönhauser Allee.
Eine bizarre Baustelle auf dem Radweg an der Schönhauser Allee.

© Christian Müller

Bizarr, dieser Tunnel!

Würden Sie in diesen Tunnel fahren? Es sieht fast aus, als könne man dort stecken bleiben, auch ohne Gegenverkehr. Dabei ist die Schönhauser Allee nicht nur für Autofahrer eine zentrale Nord-Süd-Verbindung in der Innenstadt. Radfahrer müssen sich seit einer Sanierung in den Neunziger Jahren auf einem handtuchbreiten Radweg auf dem Bürgersteig entlang kämpfen - immer wieder klassisch übersehen von Abbiegern, den Weg kreuzenden Fußgängern und ausgebremst von Fahrradkorsos der Touristen. Vor diesem Hintergrund bildet diese bizarre Baustelle auf dem Radweg ungefähr das negative Grundgefühl von Radfahrern auf der Schönhauser ab.

Viele Radfahrer wünschen sich eine komplette Aufhebung der Benutzungspflicht dieses Borstein-Radwegs und einen Radstreifen auf der Straße. Das zeigt der Radverkehrs-Dialog des Senats, in dem Nutzer die Straße als dringendstes Problem beschrieben haben. Leider ist die letzte Sanierung der Straße noch nicht lange her. So wird es nicht einfach werden, den neuerlichen Umbau zu rechtfertigen.

Wilhelmstraße in Mitte. Ja, das ist ein Radstreifen, in der Theorie zumindest.
Wilhelmstraße in Mitte. Ja, das ist ein Radstreifen, in der Theorie zumindest.

© Anonym

Gruppendynamisch zugestellt

Sobald sich der erste Falschparker auf den Radstreifen gestellt hat, ist auch schon ein zweiter dahinter und flugs wird der Weg gruppendynamisch zugeparkt. Was so viele machen, kann nicht verboten sein. Das ist in der Wilhelmstraße in Mitte so, aber auch in hunderten anderen Straßen Berlins. Jeden Tag aufs Neue. Dabei ist die Rechtslage klar: Auf Radstreifen mit durchgezogener Linie gilt absolutes Halteverbot, und wenn der Streifen in zweiter Reihe an Parkspuren entlang läuft - was in Berlin fast überall der Fall ist - gilt das auch für Schutzstreifen mit gestrichelter Linie.

Berlin wird nie zu einer beliebten Fahrradstadt, wenn Autofahrer weiter ungestraft mit diesem Verhalten davonkommen. Schon 1999 hatte das Berliner Verwaltungsgericht angemahnt, dass es nötig sei, Radweg-Blockierer abzuschleppen - schon allein, "um der negativen Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer vorzubeugen". Stattdessen kümmern sich Ordnungsamtsmitarbeiter in Friedrichshain-Kreuzberg um Falschparker, wenn sie "keinen anderen Auftrag abzuarbeiten haben", wie der zuständige Stadtrat Peter Beckers (SPD) mitteilt. Die parallel zuständige Polizei konzentriert sich auf Probleme im fließenden Verkehr, betrachtet zugeparkte Radstreifen aber als akute Gefährdung - eine befahrene Straße vorausgesetzt.

"Uns fehlen die Mittel", klagt ein Ordnungsdienstmitarbeiter, der mit einer Kollegin in der Schlesischen Straße in Kreuzberg tatsächlich einige Autos von einem Radstreifen abschleppen lässt. Auf die nächsten Falschparker nur hundert Meter weiter angesprochen, verweist er auf den Nachbarbezirk: "Da vorne beginnt Treptow-Köpenick".

Gefangen in der Sonnenallee
Gefangen in der Sonnenallee

© Christian Müller

Gefangen in der Sonnenallee

Wie ein Aal in der Reuse müssen sich Radfahrer an dieser Baustelle in der Sonnenallee vorkommen. Erst von links ein Bauzaun, der an der nächsten Ecke eine scharfe Rechtskurve in die Ederstraße schlägt und Radlern den Weg abschneidet. Obwohl laut Radverkehrsstrategie des Senats Radfahrer an Baustellen "sicher und ohne Zwang zum Absteigen" vorbeigeführt werden sollen, beobachten unsere Leser diese Situation fast regelmäßig an Baustellen im ganzen Stadtgebiet. Oft fließt der Kraftverkehr weiter, während Radfahrer massiv behindert werden. Es "sind ihnen keine größeren Einschränkungen zuzumuten, als anderen Verkehrsteilnehmern", heißt es vom Senat.

Vorsicht Fußgänger: Radweg am Rathaus Spandau.
Vorsicht Fußgänger: Radweg am Rathaus Spandau.

© Hans-Hinnerk Johannsen

Nur schieben hilft

Viele Radwege führen zwischen wartenden Fahrgästen und haltenden Bussen durch. Am Altstädter Ring in Spandau zeigt sich der ganze Irrsinn dieser gängigen Radwegeführung. Auf einer Länge von etwa 60 Metern müssen sich Radfahrer beidseitig an wartenden Bus-Fahrgästen vorbei kämpfen. Und das auf einem teilweise nur handtuchbreiten Bürgersteig. Als Radfahrer hat man die Pflicht, für ein- und aussteigende Fahrgäste zu bremsen, doch eigentlich kann man hier fast schon vom Rad steigen. Leider lässt sich der Radweg nicht einfach als Streifen auf die Straße verlagern, denn da halten rechts die Busse.

Viele Straßen im Umland haben keine Radwegeinfrastruktur.
Viele Straßen im Umland haben keine Radwegeinfrastruktur.

© Danielle Platzer

Gefährliches Pflaster am Stadtrand

Über die Bahnhofstraße in Französisch Buchholz hat sich nur eine Leserin beschwert. Dennoch ist manches an dieser Straße typisch für den Stadtrand mit seiner bescheidenen Radwege-Infrastruktur. Hin und her geht es zwischen schmalen, nicht benutzungspflichtigen Radwegen auf dem Bürgersteig, Sandpisten voller Hindernisse und der Straße. Radfahrer könnten eigentlich komplett auf der Straße fahren, wäre da nicht der Verkehr und damit Autofahrer, die Radler am liebsten auf die Reste ehemaliger Radwege zurückschubsen wollen.

Gefährlicher wird es noch an den großen Einfallstraßen, wo schwere Laster mit Tempo 70 von der Autobahn oder der Landstraße kommen und den Fuß noch halb auf dem Gaspedal haben. Mit Radfahrern, die sich hier die Straße mit ihnen teilen, rechnen sie nicht.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Haben Sie auch einen Beitrag zu Berlins schlimmsten Radwegen? Senden Sie Ihre Fotos an leserbilder@tagesspiegel.de oder schreiben Sie einen Kommentar unter diesen Artikel. Vorschläge zur Verbesserung der einzelnen Situationen sind willkommen.

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