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Virtuell wird in den sozialen Netzwerken geschrien und gepöbelt, was das Zeug hält. Doch woher kommt der Hass im Netz?

© Carsten Bachmeyer - Fotolia

Dem Hass im Netz begegnen: Shitstorm? Candystorm!

Hass vergiftet die Atmosphäre im Netz und stört die meisten Internetnutzer. Wie begegnet man der Aggression?

Vor einigen Tagen in einem Drogeriemarkt in Berlin-Mitte: Zwei Mädchen stehen mit einem Großeinkauf an der Kasse: Rasierer, Deos, mehrere Flaschen Duschgel, etliche Zahnbürsten. Aber das Taschengeld reicht nicht. Umständlich überlegen die Kinder, was sie zurücklegen könnten. „Wofür braucht ihr die Sachen?“, fragt die Frau hinter ihnen. „Fürs Flüchtlingsheim“, lautet die Antwort. Die Kundin bietet sofort an, den fehlenden Betrag zu übernehmen. Andere in der Schlange loben die Mädchen für ihr Engagement. Das ist Deutschland, wie es derzeit selten in den Nachrichten vorkommt: Unaufgeregte Bürger sammeln ganz selbstverständlich Kleidung und Spielzeug, helfen mit, packen an. Viele agieren im Stillen. Sie setzen keine Tweets ab, machen keine Helfer-Selfies, richten keine Hashtags ein.

Soweit, so ehrenhaft. Aber reicht dieser wortkarge, analoge Aufstand der Anständigen? Reicht er, um wettzumachen, was andere aus Fremdenfeindlichkeit einreißen und anzünden? Und reicht er, um dem Hass, der wortgewaltig durchs Internet schwappt, die Stirn zu bieten? Die Debattenkultur im Netz ist schon lange ungemütlich, in den letzten Monaten hat sich die Situation zugespitzt. Eine Minderheit verbreitet ihre Hasstiraden („Hate speech“) zum Thema Flüchtlinge in den Sozialen Netzwerken und den Kommentarspalten von Onlinemedien. Die Beleidigten, Wütenden, Aggressiven, Abgehängten, Dummen hat es zu jeder Zeit gegeben. Neu ist, dass das Internet ihnen eine gigantische Bühne bietet. Hier wähnen sie sich unter Gleichgesinnten, hier werden sie weithin sichtbar. Vor allem bei Facebook können sie sich austoben. Der Konzern hat zwar eine Meldefunktion und ein Team in Europa, das gemeldete Beiträge sichtet. Zensiert und gelöscht wird wenig.

Wie kann man sich gegen Hate speech wehren?

Was tun? Dass Hate speech langfristige Folgen für die Kommunikationskultur im Internet hat, ist bekannt. Wo wenige lautstark rumpöbeln, bleiben die Massen irgendwann fern. Welche Formen der Gegenwehr gibt es überhaupt? Schweigen? Sachliche Argumente? Löschaktionen? Helfen am Ende nur wütende Erwiderungen wie Til Schweigers Facebook-Aufschrei „Verpisst euch von meiner Seite“? Das Problem ist: Die Währungen des Internets heißen Klicks, Links, Verweildauer. Wer auf Hasskommentare eingeht, sie liest oder über sie berichtet – der mehrt indirekt auch die Aufmerksamkeit für die üblen Inhalte. Müsste man also nicht genau umgekehrt vorgehen, um die rechtsradikale Hetze aus dem Scheinwerferlicht der digitalen Öffentlichkeit herauszudrängen? Zum Beispiel, indem man den Hass unter einer Flut freundlicher Botschaften begräbt? Der Blog www.1000malwillkommen.de versucht das: Hier haben seit Juli hunderte Menschen Fotos von sich gepostet, auf denen sie Willkommensschilder in die Kamera halten. „Schön, dass du da bist“, „Refugees welcome“ und „Kein Mensch ist illegal“ steht auf den Zetteln.

Der sogenannte „Candystorm“ ist nur eine von vielen Strategien, wie im Netz mit Aggressionen umgegangen wird. Etliche deutsche Nachrichten-Webseiten haben zuletzt ihre Kommentarfunktionen umgebaut oder reduziert, mit dem Ziel, verbalen Unrat zu dezimieren. Auf tagesspiegel.de werden täglich rund zehn Prozent aller Kommentare gelöscht, meist befinden sie sich unter Artikeln zur Innen- und Außenpolitik. Reizworte sind: Flüchtlinge, Sachsen, Pegida, Islam, Israel, Naher Osten, Türkei, Russland, Ukraine. Dabei ist die Zahl der Schreibenden insgesamt klein: Durchschnittlich 170 000 User klicken tagesspiegel.de jeden Tag an, aber nur wenige Hundert füllen die Kommentarspalten. Bei Zeit Online kommentieren ein bis zwei Prozent der Leser. Von den 25 000 Kommentaren, die wöchentlich zusammenkommen, werden in den Ressorts Politik, Gesellschaft und Wirtschaft rund 5 Prozent entfernt.

Doch Löschen löst das Problem nur oberflächlich – und sorgt schlimmstenfalls für eine Eskalation außerhalb des Internets. „Wir wissen aus der sozialpsychologischen Forschung, dass sich Menschen genau dann radikalisieren und zu extremen Mitteln greifen, wenn ihnen alle Kommunikationswege abgeschnitten werden und sie das Gefühl haben, gar nicht gehört zu werden“, sagt Julia Becker, Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Osnabrück. Natürlich sollten Webseiten keine Plattform für Hetze bieten. Dennoch kann die Ächtung im Netz dazu beitragen, dass sich die Stimmung in bestimmten Bevölkerungsgruppen weiter aufheizt: „Dort steigt dann das Gefühl von Verachtung und Hass auf das System.“ Gewalttätigkeit könnte die Folge sein.

Becker empfiehlt deshalb, auf menschenverachtende Positionen „direkt und eindeutig, aber sachlich“ zu reagieren. Gegen-Beschimpfungen hält sie eher für kontraproduktiv: „Ablehnung durch andere Netznutzer kann dazu führen, dass diese ebenfalls als ‚Outgroup‘ charakterisiert werden und mit denen in eine Schublade gesteckt werden, von denen sich die Hassprediger bedroht fühlen.“ Trotzdem gilt: Lieber wütend zurückschreiben als pikiert schweigen. „Insgesamt ist es immer noch besser emotional zu reagieren als gar nicht zu reagieren.“ Denn das könne von den Absendern ansonsten auch als stille Zustimmung gewertet werden.

Manchmal hilft nur Ironie weiter

Wo Schweigen keine Option ist und Löschen den Hass kaschiert – da kann auch Ironie weiterhelfen. Das muss sich die Bundesregierung gedacht haben, als sie vor einem halben Jahr ihre Facebook-Seite gestartet hat. Seitdem haben es die Mitarbeiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung geschafft, auf der Seite eine halbwegs angenehme Diskussionsatmosphäre zu erzeugen. Das Rezept heißt: Jeder, der fragt, bekommt rasch eine freundliche Antwort. Wer dagegen nur stänkern will, der muss damit rechnen, auch mal den Humor der Redakteure zu spüren zu bekommen.

Als neulich ein Nutzer in offensichtlich provokanter Absicht postete: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des DEUTSCHEN Volkes widmen werde“ –, schrieb die Redaktion gutgelaunt zurück: „Danke für das Zitat des deutschen Amtseids aus dem Grundgesetz. Es tut uns übrigens ganz doll Leid, dass Sie scheinbar auch eine defekte Tastatur haben, die unkontrolliert Worte groß schreibt. Vielleicht hilft folgende Tastenkombination: STRG+ALT+ENTF.“

Mit der Strategie fahre man bislang gut, erklärt ein Sprecher der Bundesregierung. „Viele mäßigen ihren Tonfall, offenkundig überrascht davon, persönlich und sachlich angesprochen zu werden.“ Und noch einen positiven Nebeneffekt konnten die Redakteure in den letzten Monaten beobachten: „Entschiedenes Auftreten gegen überlaute Kommentatoren mit wohldosierter Ironie ermutigt andere, zurückhaltende User, sich zu engagieren.“ Die sonst eher schweigende Mehrheit kommt aus der Deckung. Auch sie hat nicht nur Lob für die Bundesregierung auf den Lippen. Aber sie hat ein echtes Interesse am Dialog – und lässt das auch die deutlich wissen, die nur gekommen sind, um verbal Steine zu schmeißen.

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