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„Kreuztragung Christi aus St. Martin in Lorch am Rhein“. Auch diese Terrakottagruppe, ein Altarfragment, gehörte zu dem damaligen Bankgeschäft. Sie steht heute in der Skulpturensammlung in Berlin.

© SMB – Preußischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung/Antje Voigt

Kunst in der NS-Zeit: Kunst durch Kredit – ein Riesengeschäft

Eine Studie legt erstmals die Herkunft von Kunstwerken aus einem Millionendeal in der NS-Zeit offen.

7,5 Millionen Reichsmark und mehr als 4400 Kunstwerke wechselten im August 1935 den Besitzer. Es war das größte, seinerzeit streng geheim gehaltene und bis heute kaum bekannte Kunstgeschäft der NS-Zeit. Lynn Rother hat diesen Deal zwischen Berliner Museen und Dresdner Bank nun zum ersten Mal aus kunst- und bankhistorischer Sicht erforscht und die Herkunft aller Kunstwerke offengelegt. Als sie ihre Studie „Kunst durch Kredit – Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935“ im Haus der Commerzbank in Berlin vorstellte, waren die Räume zu klein. Das Interesse war riesig.

Für die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte, die Provenienz von Kunstwerken gibt es derzeit großes Interesse. Die Kulturstaatsministerin hat die Mittel unterdessen verdreifacht, um deutsche Kultureinrichtungen dabei zu unterstützen, die Herkunft ihrer Objekte zu überprüfen. Die Provenienzforschung steht auch im Zentrum des Verbundprojekts „translocations“, das am Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin angesiedelt ist und von der Leibniz-Preisträgerin Bénédicte Savoy geleitet wird. Dort hatte Lynn Rother ihre Studie, die als Dissertation entstand, angemeldet und eingereicht. Mit diesem ungewöhnlichen Thema, Kunstwerke als Kreditsicherheiten während der NS-Zeit, konnte die Kunsthistorikerin, die auch BWL und Jura studiert hat, sogar die amerikanische Getty Foundation überzeugen, die Rothers mehrjährige Forschungen mit einem ihrer begehrten Promotionsstipendien unterstützte.

„Kredite im Kunstmarkt waren genauso üblich wie in anderen Branchen“

Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigte sich interessiert, denn in ihren Berliner Museen befinden sich noch immer mindestens 1600 der untersuchten Werke, und sie sieht sich zunehmend mit Restitutionsansprüchen konfrontiert, also Forderungen nach Rückgabe an frühere Besitzer beziehungsweise deren Erben. Wie sehr die Berliner Museen von diesem Geschäft mit der Dresdner Bank 1935 profitierten, macht auch die bis heute im Bode-Museum ausgestellte Lorcher Kreuztragung aus der Wiener Sammlung des jüdischen Bankiers Albert Figdor deutlich. Schon 1930 hatten sich die Berliner Museumsdirektoren nach Kräften bemüht, dieses Hauptwerk der mittelalterlichen Terrakottaplastik anzukaufen, scheiterten aber aus finanziellen Gründen.

Schließlich sollte es den Museen 1935 über die Dresdner Bank gelingen, die Skulpturengruppe von einem Konsortium zu erwerben, aber es war eben nur eines von mehr als 4400 Kunstwerken. „Dieses Geschäft ist in seiner Dimension und Konstellation einmalig. Für das Geld hätte man damals fünfzig Luxusvillen am Wannsee kaufen können. Ich fand es höchst erstaunlich, dass bislang keine Untersuchungen zu diesem Thema vorlagen“, sagt die Forscherin. „Die höchst komplexen Bankgeschäfte zeigen auch, dass Kredite im Kunstmarkt genauso üblich waren wie in anderen Branchen.“ Es bedürfe interdisziplinärer Forschung, um solche vielschichtigen Eigentumswechsel nachzuvollziehen und NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke – viele der Vorbesitzer waren jüdisch – überhaupt identifizieren zu können.

Bis heute zirkulieren viele Kunstwerke mit der Provenienz „Dresdner Bank“ wissentlich oder unwissentlich in Berliner Museen und in anderen öffentlichen und privaten Sammlungen. Noch während ihrer Promotion wurden internationale Institutionen auf das Potenzial der jungen Forscherin aufmerksam, wie das renommierte Museum of Modern Art in New York (MoMa) – das sie unbefristet als Senior Provenienzforscherin einstellte.

Lynn Rother: Kunst durch Kredit – Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935.
Lynn Rother: Kunst durch Kredit – Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935.

© Cover: promo

Lynn Rother: Kunst durch Kredit – Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935. Verlag De Gruyter, November 2017, ISBN 978-3-11-049452-5 (auch als eBook)

Patricia Pätzold

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