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Tagesspiegel BERLINER: "Dieses Magazin hat mir die Angst vor Magazinen genommen"

Die dritte Ausgabe des "Tagesspiegel BERLINER" liegt am 9. September der Zeitung bei. Worum geht es darin? Oft hilft der Blick von außen. Ein Gast-Editorial.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich möchte Ihnen ein Geheimnis anvertrauen: Auch wenn ich auf diesem Foto hier sehr mutig aussehe, habe ich doch Angst, von morgens bis abends. Zum Beispiel vor tätowierten Männern. Noch größere Angst habe ich höchstens vor tätowierten Frauen und Kindern. Trotzdem habe ich es irgendwann geschafft, angstschlotternd dieses Magazin aufzuschlagen, und was dann passierte, gehört zu den großen Überraschungen meines Lebens. Der Bericht des tätowierten Mannes auf dem Cover, Carl Jakob Haupt, ist der wohl schönste und interessanteste Text, den ich jemals über die Berliner Kunstszene gelesen habe. Besonders gut finde ich, dass er mit der Beschreibung meines Lieblingsfilms endet: "Das Goldene Zeitalter" von Luis Buñuel. Den Autor würde ich zu gerne einmal kennenlernen, aber ich habe Angst davor, das offen auszusprechen.

Angst hatte ich auch vor den Geschichten über die syrische Köchin und den kasachischen Boxer, Angst vor Marina Hoermanseders Shoppingtipps, vor einem Bericht über sehr langsames Spazierengehen, und vor der Rubrik "Das Nächste". Meine allergrößte Angst war selbstverständlich, mit einem Magazin wie diesem meine kostbare Zeit zu vergeuden. Aber ich muss Sie leider beruhigen: Sie werden Ihre Zeit nicht vergeuden. Sie werden wichtige Dinge erfahren, über T-Shirts von Jorinde Voigt und Alicja Kwade, über ein Buch von Stephan Porombka und über das Sommerbad Tropez mit der intelligentesten Pommes-Verkäuferin der Stadt. Und auch wenn ich Angst habe, als besonders unkritischer Rezensent hingestellt zu werden, muss ich Ihnen sagen: Aus jeder Zeile, aus jedem Foto und aus jeder Grafik dieses Magazins spricht eine große Liebe zum Wort, zum Bild und überhaupt zu allem, was unser Leben ausmacht.

Ich werde von nun an viel mehr Magazine lesen, ich werde überhaupt mehr lesen, ich werde versuchen, weniger ängstlich zu sein, und ich kann es kaum erwarten, auf dem großen Angst-Kongress, den ich im November in Uganda veranstalte, verkünden zu können: "Dieses Magazin hat mir die Angst vor Magazinen genommen."

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Rafael Horzon

Rafael Horzon, geboren 1970 in Hamburg, ist Autor, Unternehmer und Designer. Seine »Wanddekorationsobjekte« verdoppeln jeden Monat automatisch ihren Marktwert.

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Rafael Horzon

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