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Dietrich Brüggemann, Regisseur, Berlin 2019.

© Daniel Hofer

Tagesspiegel BERLINER #9: "Eine gewisse Verwunderung"

Die neunte Ausgabe des Tagesspiegel BERLINER liegt am 16. Februar der Zeitung bei. Worum geht es darin? Oft hilft der Blick von außen. Ein Gast-Editorial.

Schon als Kind habe ich gern das FAZ- oder SZ-Magazin gelesen. Das hatte Bilder und Geschichten und den lustigen Fragebogen, das fand ich schön. Heute habe ich das Magazin des Tagesspiegels gelesen und finde es auch sehr schön. Da gibt es eine Geschichte darüber, dass Interpol auch ziemlichen Blödsinn macht, und ein Interview mit Stella Sommer, die kluge Dinge übers Songschreiben sagt und die ich außerdem um ihren Bandnamen beneide.
Das sind Dinge, die ich verstehe. Interview, Reportage: alles klar.

Daneben gibt es in Magazinen auch Dinge, die ich nicht verstehe. Zum Beispiel ist da stets eine Seite, auf der so richtig die Konsumsau rausgelassen wird. Da feiert eine Frau aus der Modebranche einen 80.000 Euro teuren Elektro-Porsche und eine silberne Bling-Protz-Bauchtasche, von der man für denselben Preis immerhin 266 Stück bekommen würde. Ist das redaktionell? Oder wer bezahlt da wen für was?

Was ich auch nicht verstehe, ist die Promi-Modestrecke. Ab Seite 36 haben wir drei tolle Schauspieler an einem herrlichen Ort in aufregenden Kleidern. Was gibt es da zu meckern? Nichts. Trotzdem kriege ich eine gewisse Verwunderung nicht ausgeknipst. Aber vielleicht bin ich da zu deutsch.

Dietrich Brüggemann, Regisseur, Berlin 2019.
Dietrich Brüggemann, Regisseur, Berlin 2019.

© Daniel Hofer

A propos: Als Titelgeschichte gibt es einen Drehbuchautor, der in Hollywood der Frage nachgeht, warum die Amerikaner die besseren und lustigeren Serien machen. Diese Frage kann ich sehr kurz beantworten: Weil wir hier vor 80 Jahren die lustigen Leute und Showbiz-Profis rausgeworfen oder umgebracht haben. Was seitdem in Deutschland an Humor und Glamour passiert ist, waren Einzelphänomene, die in keiner Tradition standen und auch keine begründet haben, weil sie auf Dauer keine Chance hatten gegen eine Kultur, in der nur zwei Haltungen akzeptiert werden – romantische Innerlichkeit und soziales Engagement – und alles andere beargwöhnt wird.

Andererseits finden ja viele Amerikaner ihre eigene Kultur grässlich und wünschen sich nach Europa. Viele sind schon hier und betreiben in Neukölln vegane Second-Hand-Burgerläden oder so Sachen wie auf Seite 44. Das ist wahr, nützlich und angenehm, ebenso wie dieser Text, den ich hiermit beende, bevor es unwahr, nutzlos und unangenehm wird.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Dietrich Brüggemann, Jahrgang 1976, ist Regisseur sowie eine Hälfte der Band Theodor Shitstorm. Mit „Kreuzweg” gewann er 2014 den Silbernen Bären, sein neuer „Tatort” läuft am 17. Februar.

Dietrich Brüggemann

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