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Kathrin Weßling, Autorin.

© Ériver Hijano

Tagesspiegel BERLINER #7: "Du, warum schwimmt hier Brot vorbei?"

Die siebte Ausgabe des Tagesspiegel BERLINER liegt am 29. September der Zeitung bei. Worum geht es darin? Oft hilft der Blick von außen. Ein Gast-Editorial.

Guten Tag. Vermutlich haben Sie keine Ahnung, wer ich bin. Das hoffe ich zumindest, denn ich wiederum habe keine Ahnung von Berlin. Ich lebe nun seit einem Dreivierteljahr hier und ich verstehe gar nichts. Das liegt nicht an fehlender Intelligenz (hoffe ich), sondern daran (denke ich), dass diese Stadt nicht zu begreifen ist (bin mir sicher). Vor ein paar Wochen erst saß ich an der Panke, es war ein lauer Sommerabend - und es schwammen plötzlich Brote vorbei. Graubrot, ein Baguette, Toastbrot, Fladenbrote, Brötchen. Ich saß dort und fragte meine Begleitung: Du, warum schwimmt hier Brot vorbei? Er antwortete: Dit is Berlin.

Und dann habe ich sogar noch eine Bitte

Ich nickte und verstand natürlich gar nichts, aber was soll man auch sagen, schließlich habe ich über die Kotze auf der Reeperbahn das gleiche gelogen, als ich Hamburgerin war. Gerne würde ich Ihnen also einen Text entgegenschmeißen wie Sie ihn in der wirklich großartigen Titelgeschichte lesen können über den Maler Marc Jung und seine Kunst, denn da schafft es ja jemand, dass ich Jungs Werke sofort geil finde, nur, weil sein Leben so schön beschrieben wird. Aber leider müssen Sie hier mit mir vorlieb nehmen zunächst, und dann habe ich sogar noch eine Bitte.

Bitte erklären Sie mir die folgenden Dinge schriftlich per E-Mail an die Redaktion: An welchem Ort stinkt die Stadt am wenigsten nach Stadt? Warum ist die Tram so sauber, aber die U-Bahn so ein Drecksloch? Wissen Sie, wie man "Granola" korrekt auf Englisch und Französisch ausspricht? Warum schmeißen die Berliner ständig Sachen (Grills, Müll, Brot) in Ihre Flüsse? Gibt es mehr Friseure als Einwohner hier? Warum sagt hier niemand "Kiosk"? Wo sollte ich mal ein Date haben, wenn ich es romantisch, aber dirty mag? Tut es irgendwann nicht mehr weh, immer überall in den vierten Stock hoch zu müssen? Wo gibt es richtig gute Pommes? Wie viele Jahrzehnte haben Sie gebraucht, um sich umzumelden? Gibt es ein Safeword für den Moment, wenn sich jemand am Kotti auf Ihre Schuhe übergibt? Was ist Ihr Spirit Animal?

Und eine letzte Frage noch: Wo ist Berlin am meisten wie Hamburg?

Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, und falls Sie mich für all das hier hassen, glauben Sie mir: Ich hasse Ihre Stadt noch viel mehr.

Herzlichst

Ihre Kathrin Weßling

Kathrin Weßling, Jahrgang 1985, ist Schriftstellerin und Social-Media-Expertin. Zuletzt veröffentlichte sie den Roman „Super und dir?“ im Ullstein Verlag.

Kathrin Weßling

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