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Riskant. Jegliche Form der Meinungsäußerung hier ein Protest von Frauen gegen den Burka-Zwang, ist in Afghanistan lebensgefährlich. Das gilt besonders für Journalisten.

© Wakil KOHSAR / AFP

Stimmen des Exils: Inhaftiert, gefoltert, getötet

Die letzten Atemzüge von 20 Jahren Meinungsfreiheit in Afghanistan befinden sich im Exil. Unser Autor bittet: Lasst sie nicht erlöschen!

Der 15. August ist für mich und Afghanistan der Beginn eines Exils, der Tag, an dem ich und Millionen anderer Afghanen heimatlos wurden, die Medien und die Meinungsfreiheit (die größte Errungenschaft von 20 Jahren Demokratie in Afghanistan) ausgelöscht wurden, Hunderte von Journalisten aus dem Land flohen oder untertauchten, viele Frauen aus ihren Positionen gedrängt wurden, 40 % der Medien geschlossen und 60 % der Journalisten entlassen wurden.

Wenn eine Gruppe, die sich selbst als unvereinbar mit den Medien, den Menschenrechten und demokratischen Werten bezeichnet, das Land regiert, bleibt einem Journalisten als einzige Alternative ins Exil zu gehen.

Zwei Wochen lang versuchte ich, in den Flughafen zu kommen

Ich selbst war am 15. August 2021 gezwungen, ins Exil zu gehen, weil die Taliban die Macht übernahmen. Diese Gruppe tötete 2016 sieben meiner Kollegen bei Tolo News durch eine Autobombe und übernahm die Verantwortung dafür, indem sie eine Erklärung herausgab und TOLO TV als „Geheimdienstnetzwerk“ und „das größte Netzwerk des Landes zur Förderung von Obszönität, Irreligiosität, fremder Kultur und Nacktheit“ bezeichnete. Sobald die Taliban in Kabul einmarschierten, waren meine Familie und ich gezwungen, unser Haus zu verlassen und in einem Geheimversteck Zuflucht zu suchen. Während der Rettungsaktion für afghanische Bürger auf dem Flughafen von Kabul versuchte ich zwei Wochen lang, in den Flughafen zu kommen, aber da versuchten gleichzeitig Tausende andere Afghanen ebenfalls zu fliehen und ich habe es nicht einmal geschafft, das Flughafengebäude zu betreten, obwohl ich ohne Schlaf vor den Toren des Flughafens wartete.

Es gibt keine unabhängigen Medien mehr

Meine Familie und ich sind den Taliban seit Jahren bekannt, so dass uns eine Nichtausreise aus Afghanistan das Leben hätte kosten können. Vor meiner Abreise war ich gezwungen noch einen Monat lang in Kabul zu bleiben und erlebte in dieser Zeit die bittersten Momente meines Lebens. Es war äußerst schmerzhaft, den Journalismus unter der Kontrolle der Taliban zu erleben. Jetzt, als Journalist im Exil, bin ich vor ihnen in Sicherheit, aber viele Journalisten sind in Afghanistan geblieben und erleben diese Momente weiterhin.

Seit der Machtübernahme der Taliban müssen Journalisten schreiben und veröffentlichen, was die Taliban ihnen vorschreiben. Es gibt keine unabhängigen Medien mehr. Musik- und Unterhaltungssendungen wurden verboten, ebenso wie ausländische Serien, Spielshows, Gesangswettbewerbe, Talkshows und Comedy. An ihre Stelle ist der Ruf aus den Moscheen getreten. Wenn Journalisten oder Medienunternehmen nicht gehorchen, werden sie von den Taliban inhaftiert, gefoltert oder getötet. Laut einer Statistik der Reporter ohne Grenzen wurden in den ersten zwei Monaten nach dem Fall Afghanistans bereits 50 Journalisten von den Taliban inhaftiert.

 Afghanische Exiljournalisten brauchen eine Plattform und Unterstützung!

Heute gibt es keine Einblicke aus Afghanistan; die internationalen Medien haben dort keine Sendeerlaubnis, die nationalen Medien stehen unter der Zensur der Taliban und die meisten Journalisten sind in andere Länder geflohen. Daher ist die Schaffung einer Plattform und eines Ventils, um aus dem Exil weiter über Afghanistan zu berichten, der einzige Weg, um zu verhindern, dass die Errungenschaften von 20 Jahren Meinungsfreiheit in Afghanistan zerstört werden.

Dafür brauchen wir die starke Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und der Organisationen, die sich für die freie Meinungsäußerung einsetzen.

Afghanistan ist dabei, das zweite Nordkorea zu werden

Ich bin jetzt seit fünf Monaten in Berlin. Es war für mich sehr schwierig, Organisationen per E-Mail zu kontaktieren und sie um Gespräche zu bitten, wie afghanischen Exiljournalisten die Möglichkeit gegeben werden kann, vom Ausland aus zu arbeiten, aber keine einzige Organisation hat mir geantwortet, obwohl sie auch alle journalistischen Tätigkeiten aus Ländern wie der Ukraine abdecken.

Die Werte der Meinungsfreiheit und der Demokratie, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan erreicht wurden, werden nun zerstört. Die Taliban machen, was sie wollen, ohne sich um die Menschenrechte zu scheren, und verbreiten gleichzeitig Fake News im Rest der Welt, dass in Afghanistan alles in Ordnung sei, während die Wahrheit eine andere ist. Afghanistan ist dabei, das zweite Nordkorea zu werden.

Die Zukunft ist düster

Daher ist die beste Option um die Zerstörung der 20-jährigen Errungenschaften der Meinungsfreiheit in Afghanistan zu verhindern, afghanische Exiljournalisten zu unterstützen. Ich denke, die derzeitige Situation der Medien in Afghanistan ähnelt der Situation in Myanmar. Wie Afghanistan erlebte auch Myanmar in jüngster Zeit politische Umwälzungen, die zum Ende einer umstrittenen, vom Westen unterstützten halbdemokratischen Regierung und zur sofortigen Flucht der dortigen Medienschaffenden führten.

Wie in Myanmar befürchte ich, dass die Zukunft der afghanischen Medien düster sein wird, aber ich hoffe, dass die afghanischen Exiljournalisten durch die Schaffung von Möglichkeiten in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit im Exil wieder aufzunehmen und die Wahrheit zu berichten.

Dieser Text erscheint im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Stimmen des Exils" von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Der Tagesspiegel hat seit 2016 regelmäßig Texte von Exiljournalist:innen unter dem Titel #jetztschreibenwir veröffentlicht. Die Körber-Stiftung führt Programme durch, mit denen die journalistischen, künstlerischen und politischen Aktivitäten exilierter Menschen in Deutschland gestärkt werden. Dazu zählen Kooperationen mit den Nachrichtenplattformen "Amal, Berlin!" und "Amal, Hamburg!" Am 16./17. Mai 2022 findet in Hamburg das Exile Media Forum mit dem Young Exile Media Forum statt, die größte Fachkonferenz in Deutschland zum Exiljournalismus. Zum Livestream am 16. Mai geht es hier.

Abdulwadud_Salangi

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