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Wurde dreimal verhaftet: Basma Mostafa.

© privat

Stimmen des Exils: Der Preis, den wir zahlen müssen

Wie ich Ägypten verlassen habe: Szenen aus dem Leben einer Journalistin zwischen Gefängnis und Exil

Nachdem ich drei Mal aufgrund meiner Arbeit als Journalistin verhaftet worden war, sah ich mich dazu gezwungen, aus meiner Heimat Ägypten zu fliehen. Beim letzten Mal landete ich sogar im Gefängnis. Das ist der Preis, den Ägyptens Journalisten unter Präsident Abdel Fattah el-Sisi zahlen müssen, wenn sie sich weigern, stillzuschweigen oder sich an das offizielle Staatsnarrativ zu halten. Ägypten zählt weltweit zu den Ländern, in denen die meisten Journalisten inhaftiert sind. Dutzende meiner Journalistenkollegen sitzen bereits seit Jahren hinter Gittern. Darüber hinaus hat das ägyptische Regime laut „Reporter ohne Grenzen“ mehr als 500 Nachrichtenseiten sperren lassen. 

Hier kann ich meinen Beruf ausüben, ohne bedroht zu werden

Nach einer Odyssee durch drei Länder – in zweien davon war uns der ägyptische Geheimdienst auf den Fersen – gelang es mir, zusammen mit meiner Familie in ein Fellowship-Programm der beiden deutschen Organisationen ifa („Institut für Auslandsbeziehungen“) und RSF („Reporter ohne Grenzen“) aufgenommen zu werden, das sich an Journalisten richtet, die in ihren Heimatländern besonderen Bedrohungen ausgesetzt sind. Das Fellowship-Programm ermöglichte mir ein neues Leben, trotz des Schmerzes, der meinen Körper zwischen den Grenzen zweier Staaten zu zerreißen schien: Meinem 3000 Kilometer entfernten Heimatland und dem Land meines Exils, in dem sich mir die Möglichkeit bot, meinen Beruf als Journalistin wieder auszuüben, ohne eingeschüchtert und bedroht zu werden, und in dem ich die Chance erhielt, das Erlebte zu verarbeiten und wieder zu heilen. 

Nach sechs Monaten im Exil bot sich mir die Gelegenheit, Teil des Investigativ-Teams der Plattform „The Sudanese Archive“ zu werden, einem Open-Source-Projekt der Menschenrechtsorganisation „Mnemonic“ zur Dokumentation von Verbrechen gegen die Menschenrechte. Hier habe ich gelernt, wie man die Geodaten eines Videos aus dem Sudan ausliest, das Gewalthandlungen der sudanesischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten zeigt. Auch habe ich gelernt, wie man die Tageszeit eingrenzt, zu der dieses Verbrechen stattgefunden hat, indem man die Uhrzeit anhand des Schattens bestimmt, den die Sonnenstrahlen werfen, anstatt sich lediglich auf den Veröffentlichungszeitpunkt des Videos zu verlassen. Auch wie ich basierend auf meiner Analyse der geographischen Gegebenheiten und der mir zur Verfügung stehenden offenen Quellen einen Artikel verfassen kann, habe ich gelernt. 

Meine Stimme ist nicht verstummt

All das bewegte mich dazu, den Gedanken, außerhalb von Ägypten könne ich meiner Rolle als ägyptische Journalistin nicht mehr gerecht werden, hinter mir zu lassen und darüber nachzudenken, wie ich während meiner Zeit im deutschen Exil mit dem gleichen Instrumentarium Recherchen innerhalb Ägyptens betreiben kann. Es war dem ägyptischen Regime noch nicht gelungen, mich zu besiegen. Es gab tragbare Alternativen, die es mir ermöglichen würden, meine Karriere als Journalistin fortzusetzen und die es nur zu entdecken galt. Ich befand mich erst in der Vorbereitungsphase, in der ich an meinen Methoden feilte, all jenen zum Trotze, die dachten, meine Stimme sei im Exil verstummt. 

Dank meiner Leidenschaft für das Lernen verwandelte ich mich im Exil in einen Schmetterling. Mit Leichtigkeit versuche ich zwischen den Blumen der hohen Kunst des Journalismus hin- und herzufliegen, deren mir unbekannter Duft mich hierher gelockt hat. Aber meine von traumatischen Erlebnissen überlasteten Flügel vermögen nicht mich zu tragen. Die Auswirkungen meines Traumas spüre ich tagtäglich in Form von lebendigen Erinnerungen an Erlebnisse, die ich nicht vergessen kann und nie vergessen werde. Derzeit werde ich wegen meiner posttraumatischen Belastungsstörung an der Charité behandelt. 

Manchmal fühle ich mich wie ein Schmetterling

Ich habe entdeckt, dass ich Schmetterlingsfühler auf dem Kopf habe, die mir einen besonderen Charme verleihen, anstatt ihre Rolle zu erfüllen, mich im Gleichgewicht zu halten. Diese Fühler bringen mich dazu, versteckten Signalen in der Luft zu folgen, jedoch nicht auf der Suche nach dem Geruch von Blumen, sondern in Richtung von Orten hier in Berlin, die mich an die Heimat erinnern. Ich bleibe plötzlich irgendwo auf der Straße stehen, als ob das Facettenauge des Schmetterlings, das aus zahlreichen fluoreszierenden nebeneinanderliegenden Einzelaugen besteht, 3000 Kilometer in die Ferne blicken könne, von Berlin bis nach Kairo, und eine Momentaufnahme der Straßen von Kairo anfertige, die ich vermisse und die der Straße, in der ich in Berlin stehengeblieben bin, so sehr ähneln. Von Maadi, dem Viertel in dem ich wohne, fliege ich nach Nasr City zu der Klinik, in der ich behandelt wurde, und kehre dann nach Dokki zurück, zum Hauptsitz von „Mada Masr“, der Internet-Zeitung, für ich als Freelance-Journalistin gearbeitet habe. Abends mache ich mich auf den Weg nach Garden City, wo sich das Restaurant „Taboula“ befindet, ein Ort, an dem ich meine engsten Freunde zu einem Festmahl voller köstlicher Speisen zu treffen pflegte. Ich weiß nicht, ob manche Straßen Kairos tatsächlich den Straßen Berlins ähneln, oder ob meine Schmetterlingsaugen, die über besondere Fähigkeiten verfügen, diese Szenen vor mir Gestalt annehmen lassen, so dass ich darin wie in einen süßen Traum eintauche, um meine Trauer um das, was ich verloren habe, etwas zu lindern. 

Ich frage Freunde, ob ich mich gerade in Deutschland oder in Ägypten befinde

Diese Fähigkeiten bringen mich aus dem Gleichgewicht, so dass ich Zeit und Ort nicht mehr unterscheiden kann. Also kontaktiere ich schnell ein paar Freunde und frage sie, ob ich mich gerade in Deutschland oder in Ägypten befinde. Manchmal google ich meinen Namen und stoße dabei auf Artikel, die mich daran erinnern, dass ich am 02. Oktober 2020 aufgewacht bin und über die unveröffentlichten Details der Ermordung des jungen Mannes Owais al-Rawi nachgedacht habe. Owais wurde in der Stadt Luxor in Oberägypten vor den Augen seiner Familie von einem ägyptischen Polizisten erschossen, und das zu einer Zeit, als Demonstranten in Luxor den Rücktritt des Diktators Abdel Fattah el-Sisi forderten. 

Sie schlugen mir ins Gesicht

Ich beschloss ins elf Stunden von Kairo entfernte Luxor zu reisen, jedoch gelang es mir nicht, meine Quellen zu treffen, weil die ägyptische Staatssicherheit bereits am Busbahnhof von Kairo auf mich wartete. Sie hatten mir aufgelauert und entführten mich auf offener Straße. Sie schlugen auf mich ein, verbanden mir die Augen und brachten mich mit dem Auto zu einem geheimen Verhörzentrum der Staatssicherheit. Dort wurde ich Opfer einer „forced disappearance“, d.h. man ließ mich für die Dauer von 24 Stunden spurlos verschwinden. Sie schlugen mich ins Gesicht und wandten psychische Gewalt an, um mich dazu zu bringen, ihnen die Passwörter meines Handys und meines Laptops zu verraten. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und der eine Tag erschien mir wie ein ganzes Jahr. Sie gaben mir weder zu essen noch zu trinken, nur einmal wurde es mir gestattet, meine Notdurft in Gegenwart eines Wächters der Staatssicherheit zu verrichten. Ich wurde einer außergesetzlichen Befragung durch die ägyptische „National Security Agency“ (NSA) unterzogen. Heute noch erinnere ich mich daran, was der Offizier zu mir sagte: „Ihr Journalisten geht uns gewaltig auf die Nerven! Ständig müsst ihr euch überall einmischen! Mit Terroristen machen wir kurzen Prozess -  mehr als eine Kugel sind die nicht wert. Aber was wir mit euresgleichen machen sollen, das wissen wir nicht.“

Das Verhör dauerte fast zehn Stunden

Der Geheimdienstoffizier, dessen Aussehen und Namen ich bis heute nicht kenne, wollte unbedingt mit mir über alle meine Recherchen zum Thema Polizeigewalt in Ägypten sprechen, von Folter bis hin zu außergesetzlichen Tötungen von ägyptischen Staatsbürgern. Dann beschuldigte er mich, darauf versessen zu sein, der Polizei Ärger zu machen. Alles, was für ihn zählte, war, dass ich die Polizei genauestens beobachtete. Jedoch wollte er nicht wahrhaben, dass Polizeibeamte Verbrechen begehen, die gegen die ägyptische Verfassung und gegen internationale Konventionen verstoßen, und dass sie deshalb zur Rechenschaft gezogen werden müssen. 

Sie überstellten mich an die Oberste Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP), eine Sondereinheit der Staatsanwaltschaft, die sich mit Fällen mit Bezug zur „Staatssicherheit“ befasst. Nach einem Verhör, das fast zehn Stunden dauerte, beschloss die Staatsanwaltschaft, meinen Fall unter der Fallnummer 959 vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht zur Anklage zu bringen und mich unter dem Tatvorwurf der „Verbreitung von unwahren Nachrichten und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, die die nationale Sicherheit gefährdet“ für 15 Tage inhaftieren zu lassen. Ich fragte den Staatsanwalt, welcher Terrororganisation ich denn seiner Meinung nach angehöre. Er antwortete mir: „Jeder, der Handlungen begeht, die die nationale Sicherheit gefährden, einschließlich journalistischer Tätigkeiten, gehört einer Terrororganisation an.“ Später waren die ägyptischen Behörden gezwungen, mich trotz andauernder Ermittlungen bis zur Verhandlung gegen eine Kaution von 2000 ägyptischen Pfund freizulassen, nachdem meine Unterstützer in einer lokalen und internationalen Solidaritätskampagne meine sofortige Freilassung gefordert hatten. 

Meine Töchter sind meine Superheldinnen

Der Beruf der Journalistin brachte mir sowohl Gefängnis als auch Exil ein. An meine Töchter Hypatia (6 Jahre) und Nouriyah (4 Jahre) vererbte ich trotz ihres zarten Alters das Exil und das Trauma des Zurücklassens der Heimat. Für mich sind die beiden Superheldinnen, weil sie sich in der Diaspora so schnell zurechtgefunden haben. Hypatia hatte sich bemüht, Deutsch zu lernen, weil sie mit ihrem Umfeld in der Schule kommunizieren können und Freunde finden wollte. Sie beherrschte die neue Sprache in Rekordzeit so fließend, dass Deutsch nun ihre „Muttersprache“ geworden ist. Ich erinnere mich daran, wie sie in unserer Anfangszeit in Berlin in den Parks umherspazierte und lächelnd mit ihren Fingern ein kleines Herz in die Luft zeichnete, wenn Passanten vorbeikamen, um von ihnen wahrgenommen und zurück angelächelt zu werden. Die kleine Nouriyah jedoch muss immer noch ihre ständige Verlustangst niederkämpfen und hüllt sich in Schweigen, was ich respektiere, denn sie hat noch nicht gelernt, wie sie sich ausdrücken kann.

Vor einigen Tagen weckte Hypatia mich weinend auf und gestand mir, sie sei es leid, zu denken, sie müsse sich zwischen Deutschland und Ägypten entscheiden. „Ich habe ein schönes Leben hier. Ich gehe zur Schule, lerne und spreche Deutsch. Ich habe Freundinnen hier, aber ohne Oma kann ich nicht glücklich sein.“

Warum bin ich hier?

Sie fügte hinzu: „In Ägypten hatte ich ein glückliches Leben und eine größere Familie, die ich zurücklassen musste, ohne zu verstehen warum. Warum bin ich hier? Wann kann ich nach Ägypten zurückkehren?“

Ich sagte ihr, sie könne nach Ägypten zurückkehren, wenn sie deutsche Staatsbürgerin geworden sei. Daraufhin fragte sie mich in wütendem Ton, warum sie denn eine andere Staatsangehörigkeit annehmen müsse, um nach Ägypten zurückkehren zu können...

Darauf konnte ich ihr nicht antworten.

Bei mir dachte ich: „Wir wollen doch nicht, dass du dein zweites Erbe antrittst und wie ich im Gefängnis landest, Hypatia.“

Aus dem Arabischen von Lingua World GmbH. Dieser Text erscheint im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Stimmen des Exils" von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Der Tagesspiegel hat seit 2016 regelmäßig Texte von Exiljournalist:innen unter dem Titel #jetztschreibenwir veröffentlicht. Die Körber-Stiftung führt Programme durch, mit denen die journalistischen, künstlerischen und politischen Aktivitäten exilierter Menschen in Deutschland gestärkt werden. Dazu zählen Kooperationen mit den Nachrichtenplattformen "Amal, Berlin!" und "Amal, Hamburg!" Am 16./17. Mai 2022 findet in Hamburg das Exile Media Forum mit dem Young Exile Media Forum statt, die größte Fachkonferenz in Deutschland zum Exiljournalismus. Zum Livestream am 16. Mai geht es hier.

Basma_Mostafa

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