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Stella Sommer: "Zu sagen, dass man einsam ist, gilt als weinerlich."

© Christoph Voy

Stella Sommer von Die Heiterkeit: "Über ein süßes Hundebaby muss ich keinen Song machen"

Stella Sommer, Sängerin und Songwriterin der Band Die Heiterkeit, über Einsamkeit, Bob Dylan und den Spar in St. Peter.

Stella Sommer, Jahrgang 1987, ist die nächste große deutsche Chansonsängerin. Die Lieder ihrer Band Die Heiterkeit werden von Sommers ruhiger, dunkler Stimme getragen. Es sind melancholische Hymnen, wunderschöne Fluchten  aus der Welt, die doch niemals die Kaputtheit der Dinge vergessen  lassen. Letztes Jahr hat Sommer ein englischsprachiges Soloalbum veröffentlicht, das neue Heiterkeit-Album "Was Passiert Ist" erscheint  am 1. März bei Buback Tonträger. Am 30. März spielt Stella Sommer mit ihrer Band im Lido in Kreuzberg.

Dieses Interview ist im Magazin Tagesspiegel BERLINER erschienen.

Frau Sommer, sowohl Ihr Name als auch der Name Ihrer Band Die Heiterkeit führen in die Irre: Das wichtigste Thema in Ihren Liedern,  auch auf dem neuen Album ist: Einsamkeit. Warum?

Einsamkeit ist etwas, das jeden berührt, so wie Liebe. Aber es wird oft  weggeschwiegen. Zu sagen, dass man einsam ist, gilt als weinerlich. Man ist halt lieber jemand, der viele Freunde hat.

Leute, die Sie kennen, sagen, dass Sie lieber über Tiere reden als über sich selbst.  Auf Ihrem Instagram-Feed sind zwei Hunde ziemlich präsent.

Das sind Mali und Neva, altdeutsche Schäferhunde. Wir haben sie aus schlechter Haltung übernommen, da kannten sie ihre Namen schon. Die beiden leben bei meinen Eltern in St. Peter-Ording, aber sie gehören mir.

Wie war das, in St. Peter-Ording groß zu werden?

In  der Pubertät ein bisschen schwierig. Mittlerweile ist St. Peter ein Lifestyle-Ort, junge Surfer, Yoga-Retreats, Konzerte im Kurhotel. Aber  als ich da aufgewachsen bin, war das touristisch noch nicht so ausgebaut. Da waren Rentner im Urlaub, sonst nichts.

So trist?

Es  ist da ganz idyllisch, wenn man viel draußen ist. Ich hatte einen Hund,  mit dem ich spazieren gegangen bin. Oder ich bin ausgeritten:

Die Weite, das Alleinesein am Strand - hat das Ihre Musik geprägt?

Ich glaube schon, dass ich andere Musik machen würde, wenn ich in Hamburg oder Berlin aufgewachsen wäre. Sie wäre wahrscheinlich  auch etwas zeitgemäßer. Es ist ein Vorteil und ein Nachteil zugleich,  wenn man isoliert von jeglicher Szene aufwächst. Meine Mitschüler haben  No Doubt und Rage Against The Machine gehört, das hat mich nicht  interessiert. Ich habe mich musikalisch selbst sozialisiert, mit  60er-Jahre-Sachen, alles andere ging an mir vorbei.

Der Plattenschrank der Eltern als Einfluss?

Ich habe früh einen Beatles-Film im Fernsehen gesehen, später habe ich dann Bob Dylan entdeckt. Ich fand so beeindruckend, wie er mit Worten umgeht, seine Coolness. Wenn man auf dem Land aufwächst, gibt es dieses Besondere  nicht: Dass jemand in den Raum kommt und ihn für sich einnimmt. Bob Dylan hat selber gesagt, dass ihn am meisten fasziniert, wenn jemand auf  der Bühne ein Geheimnis hat. Das kann ein Glitzern in den Augen sein.  Das macht am Ende aus, ob ein Performer groß ist oder nicht.

So wollten Sie dann auch werden?

Ich  war so besessen, als ich diese Lieder entdeckt hatte. Diese Welt, die sich durch Popmusik aufmacht! Ich habe mit elf, zwölf eigene Songs  geschrieben. Und Englisch dazu gesungen, ich wusste zu der Zeit nicht,  dass das auch auf Deutsch geht. Ganz billige Poptexte. Ich hatte auch  gar nicht den Druck, das unbedingt Leuten zeigen zu müssen. Ich habe zu  Hause eine Kiste mit bestimmt hundert Kassetten, auf denen ich Songs  aufgenommen habe: Strophe, Refrain, fertig, nächster. Das habe ich  jahrelang gemacht.

Immer alleine?

Ich hatte auch eine Band. Wir sind bei einer Supermarkteröffnung aufgetreten, beim Spar in St. Peter. Wir waren drei Mädchen, interessanterweise gab es schon damals dreistimmigen Gesang.

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Sie haben Die Heiterkeit 2010 am Tresen der legendären Bar "Mutter" in Hamburg gegründet.

In  Hamburg wurde immer viel geredet, ohne dass etwas passiert ist. Darum haben wir alles geheim gehalten, den Bandnamen nicht verraten - weil wir  noch keinen hatten. Es gibt den Mythos, dass unsere ersten Bandfotos  fertig waren, bevor es etwas zu hören gab, aber das stimmt nicht. Wir haben einfach die Songs fertig gemacht und haben die erste EP aufgenommen. Schrabbeliger Indie, Gitarrengedöns. Das ging schnell, wir waren auch anspruchslos.

Sie haben damals noch Jura studiert. Warum?

Bis zum ersten Staatsexamen. Musikmachen passiert ja in Phasen: Mal hat man wahnsinnig viel zu tun, dann  ein halbes Jahr Leerlauf. Immer, wenn ich nichts Besseres zu tun hatte,  bin ich in die Uni gegangen. Widerwillig, aber ich war so lange  eingeschrieben, dass es dumm gewesen wäre, es nicht fertig zu machen.

Es gab viel Lob für Die Heiterkeit, noch ehe die erste EP da war. Und  dann haben Sie den ersten Auftritt ganz woanders gespielt: in Jena.

Weil uns der Druck zu hoch war. In Hamburg herrscht ja die Musikpolizei, gerade, wenn man da wohnt. Viele Musiker, die immer zu Konzerten kommen und Manöverkritik haben. Wir waren zu dem Zeitpunkt die einzige Frauenband, es  gab einen ziemlichen Hype. Und auch ein bisschen Neid. Alle haben darauf  gewartet, uns richtig auseinanderzunehmen. Die wollten uns scheitern  sehen.

Herrje!

Ist schon okay. Als jemand, der seit Ewigkeiten in Bands ist, die keinen Menschen interessieren, und  dann kommen drei Mädchen, die faktisch ihre Instrumente nicht spielen  können - da wäre ich wahrscheinlich auch angefressen.

Stimmt das Gerücht, dass Sie zu zwei Dritteln männliche Fans haben?

Es hat sich ein bisschen verändert, ich hatte bei der Tour zur letzten Platte das Gefühl, dass mehr Frauen im Publikum waren als früher. Aber  ich glaube, dass generell mehr Männer als Frauen zu Konzerten gehen, wenn es nicht gerade eine Boyband ist. Keine Ahnung, warum.

Der "Rolling Stone" schrieb: "Die Heiterkeit machen Musik für Männer".

Finde ich nicht. Man könnte genauso sagen: Die ganzen jüngeren männlichen Bands machen auch nur Musik, damit sich ältliche Musikjournalisten an ihre Jugend zurückerinnern können. Es ist ja nach wie vor so, dass die meisten Journalisten Männer sind.

In Artikeln über Sie wird regelmäßig der Vergleich zu Nico gezogen. Nervt das?

Es gibt Schlimmeres. Das passiert ja auch aus Mangel an Alternativen. Mit wem soll man es sonst vergleichen?

Hildegard Knef? Marlene Dietrich?

Ja, die kommen auch immer. Und Marianne Faithfull.

Hans Albers?

Ich finde sie alle schön.

Bei Konzerten wirken Sie kühl und distanziert. Absichtlich?

In  kleinen Läden ist das Schlagzeug oft so laut, dass ich meinen Gesang  nicht höre. Unsere Musik ist nicht für kleine, niedrige Bühnen angelegt, aber natürlich muss man da erstmal hinkommen, dass man sich die Läden aussuchen kann, in denen man spielt.

Welche Rolle spielt die Höhe der Bühne?

Es ist schwierig, sich in eine bestimmte  Stimmung zu katapultieren, wenn man nichts hört und sieht, weil die  Leute auf Augenhöhe vor einem stehen. Das funktioniert bei Punkbands, aber nicht bei uns. Man muss mit dem Kühlen auch spielen können. Das geht aber nicht, wenn man keinen Platz zum Spielen hat.

Stella Sommer: "Es ist einfach nicht so interessant, über Glück zu schreiben."
Stella Sommer: "Es ist einfach nicht so interessant, über Glück zu schreiben."

© Christoph Voy

Ihr neues Album klingt wahnsinnig orchestral. Spüren Sie diese Stimmung schon, wenn Sie die Songs auf der Gitarre ausprobieren?

Wenn man einen Song schreibt, hört man, wie er klingen soll. Aber andere Leute hören vielleicht was anderes oder checken nicht, wo man damit hinmöchte. Bei den ersten drei Heiterkeit-Alben war ich nicht in der Position,  die Sachen so zu Ende zu bringen, wie ich sie hätte zu Ende bringen  wollen. Man war ja eine Band und demokratisch organisiert, man wollte  nicht der Diktator sein:

Das neue Album haben Sie fast alleine eingespielt.

Naja, mein Produzent Moses Schneider hat auch viel gemacht, ich habe die Demos einmal ausarrangiert, er hat noch ein paar Sachen verändert und wir haben gemeinsam rumgeschraubt.

Wie entstehen Ihre Lieder?

Ich habe mich mal mit der Liedermacherin Courtney Barnett darüber unterhalten, ob es statt Songwriting nicht eher Songfinding heißen  müsste.

Warum?

Weil man etwas einfängt, das im Universum rumschwebt. Man muss es nur finden und zusammenbringen.

Wie funktioniert das?

Kreativität  ist ja nichts anderes als Durchlässigkeit, alles aufnehmen, was um  einen herum passiert. Es ist wie ein Filter, der im Unterbewusstsein die  ganze Zeit mitläuft. Wenn ich etwas finde, das ich verwenden kann, merke ich mir das oder schreibe es auf. Wahnsinnig viel lesen, wahnsinnig viel beobachten, Handynotizen, Sprachnotizen. Ich kann das  aber nicht über längere Zeit in dieser Intensität aufrechterhalten, weil  die Lebensfähigkeit darunter leidet.

Und wie werden Songs daraus?

Wenn man einen Satz hat, den man als Refrain benutzen kann und einem dann eine Melodie dazu einfällt, dann hat man gar nicht mehr so viel Spielraum. Ich denke immer, dass man sich den Liedern unterordnen muss. Wenn die irgendetwas von einem verlangen, dann macht man es halt. Ich  habe den Kern eines Songs, und dann mache ich den zu Hause am Computer  fertig, oder auch handschriftlich. Es ist wie sehr konzentriertes Puzzeln.

Totales Klischee, aber: Schreiben Sie besser, wenn Sie unglücklich sind?

Schreiben ist ja auch ein Handwerk. Ich mache das seit 20 Jahren. Ich glaube, mittlerweile die Mechanismen  soweit durchschaut zu haben, um auch schreiben zu können, wenn ich  glücklich bin. Aber: Wenn man glücklich ist, hat man meistens andere  Sachen zu tun. Über ein süßes Hundebaby muss ich keinen Song machen. Es ist einfach nicht so interessant, über Glück zu schreiben. Das kann nur Pharrell Williams. Und die Beach Boys. Obwohl, die waren auch nicht  glücklich, die haben nur so geklungen.

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