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Kunst aus jungpaläolithischer Zeit: Die Malereien in der Höhle von Lascaux in der französischen Dordogne sollen vor 38 000 bis 21 000 Jahren entstanden sein.

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Steinzeit: Essen wie die Steinzeitmenschen

Die Archäologin Alisa Scheibner von der Freien Universität Berlin hat die Ernährungsweise unserer Vorfahren in prähistorischer Zeit untersucht.

Hirschsteak und Rübenpüree, Rührei an Sauerampfer, Süßkartoffelsalat mit Avocado und Lachs: Solche Mahlzeiten könnten auf dem Speiseplan von Anhängern einer Steinzeit-Ernährung stehen. Zu den Grundsätzen einer solchen Paläo-Diät gehört es, dass allein das in der Küche verarbeitet werden soll, was unsere Vorfahren in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, hätten jagen und sammeln können.

Eine solche Kost umfasst viel Fleisch und Gemüse, dazu Eier, Obst, Nüsse und Samen. Nach dieser Auffassung habe sich die Ernährung der prähistorischen Jäger und Sammler für den Menschen in vielen Jahrtausenden bewährt.

Verfechter einer solchen Ernährungsweise lehnen hingegen Getreide ab – also auch Brot und Müsli –, Milch – also auch Joghurt und Käse –, außerdem Zucker und Hülsenfrüchte: Nahrungsmittel, die sich seit der Jungsteinzeit und dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht verbreitet haben.

„Die Rezepte kombinieren das für heutige Geschmäcker Beste aus verschiedenen Zeiten und Regionen, doch das hat mit einer realistischen Rekonstruktion der prähistorischen Bedingungen nicht viel gemein – eine einzige Ernährungsweise gab es in der Altsteinzeit nicht“, sagt Alisa Scheibner. Die Archäologin hat an der Freien Universität Berlin in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „LiVES“ zum Thema prähistorische Ernährung des Homo sapiens in Vorderasien und Europa promoviert.

Dafür hat sie bestehende Untersuchungen und Quellen aufgearbeitet und analysiert, um den Datenstand für einzelne Regionen und Zeiträume darzustellen. Geografisch reicht die Untersuchung von Skandinavien im Norden bis zur östlichen Mittelmeerküste im Süden, von Großbritannien im Westen bis zum Schwarzmeergebiet im Osten. Der untersuchte Zeitraum umfasst 40 000 Jahre und schließt mit dem Ende der Bronzezeit, etwa um 800 vor unserer Zeitrechnung.

Was auf dem Speiseplan stand, ist wissenschaftlich nachweisbar

Wie kann etwas so Vergängliches wie die Nahrung nach vielen Tausend Jahren untersucht werden? Archäologen bedienen sich zum einen traditioneller Methoden, zum anderen neuerer naturwissenschaftlicher Verfahren. Zu den traditionellen Methoden zählen die Disziplinen der sogenannten Archäobiologie, mit denen Wissenschaftler von der Flora und Fauna auf die Ernährung schließen.

„Nur was in der Natur verfügbar war, konnte auch vom Menschen verzehrt werden. Das Nahrungsangebot in der vergletscherten Landschaft Europas unterschied sich jedoch von dem Angebot im Gebiet des sogenannten Fruchtbaren Halbmond in Vorderasien“, sagt Alisa Scheibner. „Auch können ethnografische Vergleiche Hinweise auf Ernährungsweisen geben.“

Verstärkt kommen in der Archäologie in den vergangenen Jahren auch naturwissenschaftliche Methoden zum Einsatz, etwa Isotopenanalysen an Zähnen und Knochen. Durch den Nachweis der Anteile der stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff können Wissenschaftler erkennen, ob die Ernährung mehr pflanzliche oder tierische Kost enthielt und ob dabei Fisch und andere Meerestiere wie Robben oder Muscheln verzehrt wurden.

Auch ist es möglich nachzuweisen, ob sogenannte C3-Pflanzen, die in den mittleren und hohen Breiten vorkommen, etwa Roggen oder Weizen, auf dem Speiseplan standen, oder C4-Pflanzen, die in wärmeren Regionen wachsen, etwa Hirse oder Amarant. „C3“ und „C4“ bezieht sich auf die Anzahl der Kohlenstoffatome, die beim ersten Zwischenprodukt der Photosynthese vorhanden sind.

Eine weitere naturwissenschaftliche Methode ist die Fettrückstandsanalyse an Keramikresten. „Wenn zum Beispiel Fisch oder Fleisch in Gefäßen zubereitet wurde, so zog das Fett in die Keramik ein und ist durch chemische Methoden noch heute nachweisbar“, erklärt die Archäologin.

Die Eiszeit bot mehr Fleisch als Pflanzen

„Die Menschen in Vorderasien haben nachweislich bereits vor mehr als 20 000 Jahren Wildgetreide und Hülsenfrüchte gesammelt und verzehrt, die später zu den domestizierten heutigen Grundnahrungspflanzen in Europa wurden“, sagt Alisa Scheibner. Das Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, das sich in Form einer Mondsichel über die Gebiete der heutigen Staaten Jordanien, Israel, Libanon, Syrien, Türkei, Irak und Iran erstreckt, gilt unter Wissenschaftlern als erste Region, in der Menschen um etwa 10 000 v. Chr. das Nomadenleben aufgaben und begannen, Felder zu bestellen und Nutzvieh zu halten.

In Mitteleuropa hingegen war durch das kältere Klima während der Eiszeit ein anderes Spektrum an Nahrungsmitteln gegeben – die eiszeitliche Megafauna bot mehr Fleisch als Pflanzen zur Ernährung: Der Erfolg bei der Mammutjagd war entscheidend für einen vollen Magen.

„Verschiedene Untersuchungen, zum Beispiel am Zahnstein oder an Mahlsteinen haben ergeben, dass entgegen früherer wissenschaftlicher Annahmen der europäische Mensch der Eiszeit nicht allein Fleisch aß, sondern auch kohlenhydratreiche Pflanzen“, sagt Scheibner. „Um welche Arten es sich dabei genau handelte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, möglicherweise aber um die Wurzeln von Wasserpflanzen wie Rohrkolben.“

Mit dem Ende der Eiszeit, etwa 10 000 vor unserer Zeitrechnung, sei mit der Wiederbewaldung Europas auch mehr pflanzliche Kost hinzugekommen, etwa Eicheln und Haselnüsse. „Außerdem saß man an den nun eisfreien Ostseeküsten und aß so viele Muscheln, dass die Schalen noch heute als meterhohe Haufen zu finden sind“, sagt die Archäologin.

Menschen, die sesshaft wurden, hatten häufiger Karies

Vom Fruchtbaren Halbmond aus breiteten sich die Neuerungen in der Lebens- und Wirtschaftsweise, die als „Neolithische Revolution“ bezeichnet werden, über mehrere Jahrtausende hinweg bis nach Mitteleuropas aus – so gelangten neben den domestizierten Haustierarten Rind, Schaf, Ziege und Schwein auch Getreide und Hülsenfrüchte nach Europa. Der Anteil an pflanzlicher Nahrung stieg durch den Getreideanbau.

„Wildtiere, auch Meeresfische und Robben, wurden aber weiterhin verzehrt. Früher nahm man an, dass gerade aquatische Ressourcen nicht mehr genutzt wurden – neuere Forschungen widerlegen das“, sagt Alisa Scheibner.

Einige gesundheitliche Aspekte hätten sich mit der Sesshaftigkeit verschlechtert, sagt die Wissenschaftlerin. So sei der Anstieg von Karies wohl auf den höheren Anteil an Kohlehydraten aus Getreide und an Fruchtzucker aus Obst zurückzuführen. Auch seien an Knochen und Zähnen sogenannte unspezifische Krankheitsmarker nachweisbar, die unter anderem auf Infekte in der Kindheit oder Nahrungsmangel hinwiesen. Das könne mit dem engeren Zusammenleben und schlechter Hygiene zusammenhängen, möglicherweise auch mit einer kürzeren Stillzeit der Kinder.

Dennoch könne man nicht sagen, eine altsteinzeitliche Ernährung sei „besser“, meint Alisa Scheibner. Insgesamt sei die Bevölkerungsdichte in dieser Zeit gering gewesen, und man wisse wenig über die Kindersterblichkeit oder die Häufigkeit von Jagdunfällen.

„Eine schwunghaft wachsende Weltbevölkerung wurde erst durch die neolithische Lebensweise möglich“, sagt die Archäologin. „Der Überlebenserfolg der Gattung Mensch gründet darin, dass er sich sowohl hauptsächlich von Fleisch und Fisch ernähren kann als auch rein pflanzlich.“

Kerrin Zielke

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