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Der Blick ins Tal. Die Rennstrecke, die Streif, gilt als die steilste und gefährlichste im Wintersport.

© Johann Groder/dpa

Zwischen Faszination und Wahnsinn: Ist die legendäre Abfahrt in Kitzbühel noch zeitgemäß?

Die Streif ist die gefährlichste Abfahrt im alpinen Weltcup. Hier werden Helden gemacht - aber ausschließlich männliche. Zu Besuch in einer anderen Skiwelt.

Der Blick auf die irrsinnig steile Eisbahn am Starthaus wirft die Frage auf, wie ein Mensch auf Skiern da heil hinunterkommen soll. Peter Fegg, der Chef vom Starthaus an der Streif, der „Mann mit dem höchsten Job hier“, lächelt charmant. „Das ist kein Eis, wir nennen das komprimierten Schnee.“ Schnee wäre dort noch gefährlicher als die eisige Oberfläche, die Ski könnten verkannten.

Fegg, ein Mann in besten Jahren mit vom alpinen Winter gezeichnetem Gesicht, sagt: „Nach dem Start geht es in acht Sekunden von null auf 100.“ Und danach geht es die enge Steilwand hinunter. „154 Stundenkilometer sind Rekord im Ziel.“

Hahnenkammrennen – reine Männersache?

Das Hahnenkammrennen gilt als die härteste Abfahrt im alpinen Weltcup – und ist seit jeher harte Männersache. Auch noch im Jahr 2020, da in Europa immer weniger nur Sache von Männern ist. Die Streif ist eine Macho-Insel inmitten der Emanzipation. Feiern dürfen alle, kämpfen nur die ganz harten Kerle.

Wer dieses Rennen gewinnt, der ist gefühlter Abfahrt-Weltmeister und hat den Respekt der Kollegen gewonnen. Dabei ist das Rennen an sich nur eines von vielen im Rahmen des Weltcups. Am Sonnabend gab stand die 80. Auflage des Hahnenkammrennen an.

Es siegte der Österreicher Matthias Mayer, Höchstgeschwindigkeit 142 Kilometer. Die deutschen Stars Thomas Dreßen, offensichtlich mit Knieproblemen kämpfend, und Josef Ferstl, waren chancenlos. Der Mittenwalder Dreßen, Sensationssieger von 2018 wurde 26., Ferstl lief auf Rang 25 ein.

Großer Promi-Auflauf

Das Volk hatte wieder einmal seinen Spaß zwischen Rummeldiscomusik und Promi-Interviews auf den Bildschirmen, etwa mit Arnold Schwarzenegger, dem weltberühmten Unvermeidbaren in Österreich. Kitzbühel hat nur 8200 Einwohner. Ein beschauliches Tiroler Fleckchen, das aber alljährlich für ein Wochenende zu einer gediegenen Partyhochburg mutiert.

100.000 Menschen sollen an diesem Rennwochenende insgesamt im Ort eingefallen sein. Am Freitag gab es den Super G und Sonntag kommt noch das Slalomrennen, aber der Höhepunkt ist jedes Mal die Abfahrt. An der Strecke schauten am Sonnabend um die 50.000 Besucher zu.

3300 Meter Piste in weniger als zwei Minuten: Die Zahlen rund um das Rennen sind aus jeder Warte beeindruckend. Der Start am Hahnenkamm ist nur knappe 1700 Meter hoch. Bei Olympischen Spielen könne es auch mal einen Zufallssieger geben, sagt der ehemalige Weltklasse-Abfahrer Aksel Lund Svindal, „aber hier auf der Streif gewinnen immer die, die sich am besten konzentrieren können“.

Der Norweger hat vergangenes Jahr seine Karriere beendet – in Kitzbühel gewann er zwar „nur“ den Super-G, dafür hat er 2016 auf der Streif einen schlimmen Sturz hingelegt. „Das gehört dazu, du weißt das als Fahrer. Schon auf dem Weg zum Krankenhaus nimmst du das hin“, sagt der Mann, der 2018 noch Olympiasieger in der Abfahrt wurde. Die Strecke beschreibt er so: „Das ist ein Kurs wie Monte Carlo in der Formel 1, da landest du bei einem Fahrfehler an der Wand. Wenn du hier den Kurs nicht erwischt, fliegst du ins Netz.“ Und bist im Regelfall verletzt.

Die Streif ist der gefahrene Wahnsinn und deshalb nicht nur im skiverrückten Österreich ein Mythos. Sie hat den steilsten Start im gesamten Weltcup. Da fühle man sich so, als ob man „ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springt“, hat der einstige Weltklasse-Alpinist Marc Giradelli einmal gesagt. Aber es ist ja schließlich auch kein „Kinder-Pony-Reiten“, wie Thomas Dreßen vor dem Rennen am Sonnabend konstatierte.

Also, bleibt lieber weg von der Wahnsinnspiste, liebe Kinder – und Frauen: Es sind markige Worte, die die Besten der Besten unter das Volk hauen, wenn es um die anspruchsvollste Abfahrt der Welt geht. Es ist auch die Saga vom todesmutigen, männlichen Helden, der ohne Todesangst in den Krieg zieht, um die Unwägbarkeiten der Natur niederzubrettern. Auch im Jahr 2020, in dem niemand mehr um das Thema Klimawandel herumkommt.

3312 Meter lang ist die Piste, sie wurde in den jüngsten Jahren schon etwas entschärft. Seit 1937 stürzen sich die Männer auf der Streif hinunter. Ursprünglich sollte mit der Veranstaltung für die Region im Osten Tirols geworben werden, heutzutage ist Werbung ein zentraler Punkt. Tommy Hilfiger ist erstmals Ausrüstungssponsor des Rennes am Hahnenkamm, und neben der Piste sind die üblichen Vertreter der Branche da: die Big Player wie der weltbekannte österreichische Getränkehersteller aus Salzburg natürlich.

Auch die Region verdient kräftig an der Veranstaltung. Dazu tragen auch die vielen Prominenten bei, die alljährlich zum Rennen kommen. Arnold Schwarzenegger ist Stammgast in Kitzbühel und meist auch bei der traditionellen „Weißwurst- Party“ im Stanglwirt, der riesigen Lokalität am Rande von Kitzbühel.

Am Freitag war Schwarzenegger wieder da. Als sich im Stanglwirt das gut situierte Volk vom Berliner Rapper Sido in der umfunktionierten Reithalle beschimpfen ließ, war Schwarzenegger allerdings schon weg.

„Ihr wollt wohl lieber den Andreas Gaballier oben ohne sehen“, unkte Sido. „Aber der ist doch viel zu schwabbelig geworden.“ Das war noch die mit Abstand harmloseste Aussage, die der Rapper in die angetrunken Massen schleuderte, bevor er seinen sicher fürstlich honorierten Überraschungsauftritt nach 45 Minuten abrupt beendete. „Ihr wollt mich ja nicht.“

Bis auf Andreas Gaballier, der auch im Publikum war, stimmte das eher nicht. Das Volk johlte begeistert. Die Nacht vor dem Rennen ist alljährlich die Nacht der Nächte für das solvente Volk in Kitzbühel, die noch solventeren Prominenten sind eher am Samstag dran. Etwa bei der „Kitz-Race-Party“,da treten Stars vom Kaliber Ellie Goulding auf. Die britische Sängerin vor zwei Jahren in Kitzbühel am Start. Diesmal spielten die Black Eyed Peas, moderiert wurde das Ganze von einem etwas gelangweilt wirkenden Thomas Gottschalk.

Hollywood lässt grüßen. Der Schauspieler Arnold Schwarzenegger (l-r), der Sänger Andreas Gabalier, Heather Milligan und der Schauspieler Mario Adorf feiern nach dem Hahnenkammrennen bei der Weißwurstparty im Stanglwirt.
Hollywood lässt grüßen. Der Schauspieler Arnold Schwarzenegger (l-r), der Sänger Andreas Gabalier, Heather Milligan und der Schauspieler Mario Adorf feiern nach dem Hahnenkammrennen bei der Weißwurstparty im Stanglwirt.

© Felix Hörhager/dpa

Der Sport spielt am Tage die Hauptrolle. 1400 Menschen arbeiten am Hauptrenntag, dem Tag der Abfahrt, rund um die Streif. Da gibt es viele kleine Geschichten und spezielle Jobs. Allein ein Dutzend Männer ist damit beschäftigt, die Linien auf der Piste nachzuziehen. Vier bis fünf Mal im Rennen müssen sie eingreifen, wenn die Fahrer etwas verwischt haben – oft, wenn sie vom Kurs fliegen. „Die Arbeit ist nicht wahnsinnig toll“, sagt einer der Pistenbetreuer. „Es ist a bisserl a Stress.“ Und deshalb mangele es auch am Nachwuchs für diesen Job. Die Jugend will sich ja heutzutage nicht mehr so krumm machen, heißt das wohl.

Vielleicht haben es auch nicht alle jungen Männer so mit den harten Männerjobs. Die Diskussion, ob Frauen nun auch die Streif hinunterfahren dürfen, die gab es übrigens schon. Bis 1964 durften sie am Hahnenkamm sogar mitfahren, doch nie eigenes ein Rennen auf der Streif bestreiten. Als Anfang des neuen Jahrtausends die Diskussion um die Frauen wieder aufflackerte, da sagte Deutschlands Super-Rosi, die Mittermaier, das sei nix für Damen.

Ein Jahrzehnt später sah Mittermaiers Nachfolgerin Maria Höfl-Riesch das anders. Eine Streif für Frauen? „Das wäre super.“ Fand Streif-Vermarkter Hartmann „Harti“ Weirather aber nicht super. Es gebe wenige Dinge auf der Welt, bei denen er sagen würde: „Bitte keine Frauen“, sagte er der „Welt“ im Jahr 2012.

Nur mitfeiern dürfen sie alle und die einzigartige Atmosphäre genießen. Tatsächlich ist das schon ein Erlebnis. Sie gehen in Kitzbühel pfleglich um mit ihren Helden. Auf den Gondeln prangen die Namen von den vielen Siegern, die Geschichten dahinter kennen viele der Zuschauer bestimmt. Österreich ist eben eine Skination. Hier wird der Sport gelebt, hier er zu Hause, findet auch der Norweger Aksel Lund Svindal. Er sagt: „Ohne diesen großen Fahrten wie hier oder in Wengen wäre es nicht der Sport, der es ist.“

Der Autor reiste auf Einladung der Marke Tommy Hilfiger nach Kitzbühel.

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