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Magnetismus in der Leere. Nach über viertausend Meilen treffen sich Boris Herrmann (vorne) und Yannick Bestaven auf dem Südatlantik. Der Deutsche lässt eine Drohne aufsteigen, um die Begegnung in der Flaute zu dokumentieren.

© Boris Herrmann

Zweite Zwischenbilanz des Vendée Globe: Auf der Drehscheibe

Für eine Vorentscheidung ist es noch früh. Doch oft werden bei dem Sprung in die Zugbahn der südlichen Tiefdruckgebiete wichtige Weichen gestellt.

Es gab weder einen Knall und noch eine Erschütterung, trotzdem entdeckte Alex Thomson bei einer Routineinspektion in den lichtlosen Kammern und Ecken seines Schiffes, dass es einen Knacks bekommen hatte. Eine zentrale Längsverstrebung in der Bugsektion war an mehreren Stellen geborsten.

Das ist ein herber Rückschlag für den 46-jährigen Briten, der beim Vendée Globe Race bis dahin in Führung gelegen hatte. Und er dürfte sich schmerzhaft daran erinnert gefühlt haben, dass es ihm vor vier Jahren ähnlich ergangen war, als er aussichtsreich vorne liegend den Foil seiner „Hugo Boss“ verloren hatte. Es hat kaum ein Rennen gegeben in den vergangenen 20 Jahren, in dem Thomson nicht irgendwas Wichtiges kaputtgegangen wäre. Und wieder scheint sein Lebenstraum zunichte gemacht, das Vendée Globe – jetzt im fünften Anlauf – zu gewinnen. „So ist dieses Rennen“, sagt er in einem Statement, „deshalb haben wir so viel Material dabei und sind ziemlich gut darin, es zu verwenden.“

Darum geht es also.

Wie dem gebürtigen Waliser ergeht es vielen seiner Konkurrenten. Nach über zwei Wochen beginnen sie zu begreifen, was ihnen ein Trip um die Welt wirklich abverlangt. Dass sie 17 Tage auf See waren, kam häufiger vor bei den Transatlantik-Regatten der vergangenen Jahre, die ihnen als Vorbereitung dienten. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Ziel bereits vor Augen.

Nicht so bei diesem Nonstop-Rennen um den Globus. 24 Teilnehmer haben es bislang auf die Südhalbkugel geschafft. Mindesten vier laborieren an ernsthaften Schäden an Bord, und es zeigt sich vor allem bei den neuesten Booten, das durch die Corona-Beschränkungen des Frühjahrs nicht genug Zeit für ausdauernde Test blieb.

Mit den Wolken kündigt sich der kalte Süden an.
Mit den Wolken kündigt sich der kalte Süden an.

© Kevin Escoffier / PRB

Zu allem Überfluss sehen sie sich auf eine riesige Drehscheibe gesetzt, die gemächlich gegen den Uhrzeigersinn um eine leere Mitte rotiert – das St.-Helena-Hoch. Normalerweise dienen ihre Ränder als eine Art Schleuder, um Segler weit hinaus in antarktische Gefilde zu katapultieren. Hier werden regelmäßig die Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt, die lange Bestand haben. Doch diesmal dreht sich das Rad zäh und hat zudem noch kleinere Wirbel in seinem Zentrum gebildet, so dass sich vor einer Woche zwei Optionen auftaten, beide nicht sehr vielversprechend.

Ab in die Dunkelkammer

Die Segler mussten entscheiden, ob sie den direkten Weg wählten oder einen rechnerischen Umweg von mindestens zwei Tagen in Kauf nahmen. Das zehrte an den Nerven. Der Heerdentrieb gab den Ausschlag. Obwohl der schmale Pfad durch die Mitte sich zu schließen begann, sah die Alternative noch schlechter aus. Tagelang kämpft das Gros der Führungsgruppe mit flauen Winden.

Mal wieder im MacGyver-Modus: Alex Thomson repariert die Bugsektion seiner "Hugo Boss", die strukturelle Schäden aufweist.
Mal wieder im MacGyver-Modus: Alex Thomson repariert die Bugsektion seiner "Hugo Boss", die strukturelle Schäden aufweist.

© Alex Thomson

Nur Thomson kommt gelegen, dass seine „Hugo Boss“ nicht wie wild durch die Wellen springt. Er beginnt noch am Samstagabend eine aufwendige Reparatur der Bugsektion, die sich über drei Nächte hinzieht. Es ist heiß, feucht und stockfinster in dem vorderen Teil des Bootes, so dass Thomson nur sehen kann, was seine Taschenlampe beleuchtet. Er nutzt die kühleren Nachtstunden, weil der Klebstoff in der Glut tropischer Breiten tagsüber zu schnell aushärtet. Und er glaubt, dass die neuen Versteifungen seine Rennyacht am Ende nicht nur für die Stürme des Südozeans wappnen, sondern auch stärker machen werden.

Durch die Zusatzschichten fällt er jedoch erstmal zurück. Unter denen, die ihn überholen, befindet sich auch Boris Herrmann, der in diesen Tagen einen persönlichen Rekord aufstellt. Noch nie war er so lange allein unterwegs.

Duell unter der Sonne

Allerdings ist er nicht einsam. Nur wenige Meter von ihm entfernt segelt am Mittwoch Yannick Bestaven auf „Maitre Coq“. Der 47-jährige Franzose gewann 2001 jenes Mini-Transat-Rennen, an dem auch Hermann teilnahm und das seine Hoffnung auf eine Profikarriere beflügeln sollte. Bestavens Yacht ist ebenso alt wie Herrmanns „Seaexplorer“.

Es sei einfacher, in der Flaute eine Referenz zu haben, sagt der Deutsche, jemanden, der einen zusätzlich motiviere. Und er ließ eine Drohne aufsteigen, um das ungewöhnliche Bild der beiden Yachten vor einem endlosen Horizont einzufangen.

Tuchfühlung. Selten kommen sich die Segler auf ihrem Weg um die Welt so nah wie Boris Herrmann und Yannick Bestaven (hinten).
Tuchfühlung. Selten kommen sich die Segler auf ihrem Weg um die Welt so nah wie Boris Herrmann und Yannick Bestaven (hinten).

© Boris Herrmann / Seaexplorer

Sein Weg nach Süden gleicht einem wackligen Brett, das einen ekligen Morast überbrückt. Hineinzufallen hieße, stecken zu bleiben. Das Duo muss auf einen schmalen Windkorridor hoffen.

Derweil sind die Segler hinter ihnen nach Süden ausgebrochen, so dass sich die Gruppe aufgespalten hat. Der Umweg könnte sich für Sam Davies und Louis Burton – auf Rang neun und zehn – lohnen, wie aktuelle Wetterprognosen andeuten. Ihnen hat sich auch Thomson angeschlossen, wobei seine angeknackste Zuversicht sich wieder vollends hergestellt zeigt, als er mit über 20 Knoten zeitweilig Schnellster im Feld ist.

Der Knacks

And der Spitze leisten sich Charlie Dalin und Thomas Ruyant ein intensives Wendeduell. Beide haben ähnliche Schiffe mit ähnlichen Vorteilen, und Dalin meint, dass er mehr nach Gefühl, als nach den Instrumenten segele. Nicht einfach auf einem Imoca-Racer, der den Segler zu seinem eignen Schutz quasi hermetisch abschirmt.

Spitzenreiter. Charlie Dalin macht diesen Trip zum ersten Mal. Was kein Nachteil ist. Fünf der acht Vendée-Globe-Sieger waren Newcomer.
Spitzenreiter. Charlie Dalin macht diesen Trip zum ersten Mal. Was kein Nachteil ist. Fünf der acht Vendée-Globe-Sieger waren Newcomer.

© Charlie Dalin / Apivia

Dalin hat seinem Kontrahenten bereits 80 Meilen abgeluchst, da meldet dieser einen Schaden an einem seiner beiden Foils. Ein lautes Krachen schreckte Ruyant in der Nacht zu Mittwoch auf. Sein Flügelschwert ist an mehreren Stellen angebrochen. Aufgeben will er deshalb nicht. „Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass der andere Foil auf dem Weg um die Welt statistisch der wichtigere ist.“

Der Stolz des Zweiten

Ruyant könnte auch an Alex Thomson denken, der sich demselben Handicap vor vier Jahren mit bedeutend weniger statistischem Rückhalt stellte. Seinem Verfolger Armel Le Cleac’h fuhr der Brite noch eine ganze Weile vor der Nase herum und wurde schließlich zweiter. Die Art, wie er sich damals gegen seine unausweichliche Niederlage stemmte, hat ihm mehr Sympathien eingebracht, als der Sieg es vermocht hätte.

Überholt. Boris Herrmanns "Seaexplorer - Yacht Club de Monaco" hat sich in den Morgenstunden an Bestavens "Maitre Coq" vorbeigeschoben.
Überholt. Boris Herrmanns "Seaexplorer - Yacht Club de Monaco" hat sich in den Morgenstunden an Bestavens "Maitre Coq" vorbeigeschoben.

© Boris Herrmann / Seaexplorer

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