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Joachim Löw beendet im Sommer seine Karriere als Bundestrainer.

© imago images/Sven Simon

Zum Rückzug von Joachim Löw: Sein Wirken war stilbildend, aber auch tragisch

Joachim Löw hört nach der Europameisterschaft im Sommer auf. Ganz freiwillig könnte dem Bundestrainer der Gedanke nicht gekommen sein.

Von Joachim Löw weiß man, dass die Dinge bei ihm mitunter seine Zeit brauchen. Nach einem großen Turnier, und davon hat der fast schon ewige Bundestrainer einige erlebt, hat er sich oft wochenlang zurückgezogen.

Löw wollte herausfinden, ob er noch die nötige Kraft, die Motivation und die Energie wird aufbringen können. Was die Öffentlichkeit schon deswegen immer ein wenig irritierte, weil die Entscheidung eigentlich ausschließlich in seinen Händen lag.

Vielen wirkte es als Koketterie. Schließlich kam Löw jeweils zu der immergleichen Überzeugung, dass er wahlweise noch genügend Kraft oder Lust oder Energie oder eben alles zusammen verspüre, um noch das nächste Turnier anzugehen. Er blieb einfach im Amt.

Der DFB ließ ihn gewähren. Ob Löw gerade ein erfolgreiches Turnier abgeschlossen hat wie beispielsweise mit dem Titelgewinn bei der WM 2014 in Brasilien, oder aber desaströs gescheitert war, wie bei der WM 2018 in Russland.

Eine ebenso untergeordnete Rolle dürfte für Löw gespielt haben, wann ein geeigneter Zeitpunkt für einen Rücktritt gewesen wäre. Als Weltmeister-Trainer, oder nach der Schmach von Russland, wofür die Mehrheit der Deutschen votierte.

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Löw hat sich von solchen Dingen nie leiten lassen. Auch nicht von der zunehmenden Kritik in den vergangenen drei Jahren. Zu sehr hing er an diesem Amt, ein Amt von ausgesuchtem Ansehen und Bezahlung, bei ordentlicher work-life-balance. Und so reihte der inzwischen 61-Jährige Turnier an Turnier als Trainer der wichtigsten deutschen Mannschaft.

Am Dienstag nun hat Löw seinen Rücktritt als Bundestrainer für die Zeit nach der Europameisterschaft in diesem Sommer bekannt gegeben. „Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen großen Motivation, was das bevorstehende EM-Turnier angeht“, teilte Löw mit.

Auch wenn es frühere Zeitpunkte, vielleicht bessere gegeben hätte, so hat doch der jetzige Zeitpunkt etwas Befreiendes. Löw wird die seit langem schwelenden Debatte um seine Zukunft los, was ihn erleichtern könnte. Und er nimmt auch Druck von der Mannschaft so kurz vor der EM.

Die monströse Niederlage von Sevilla wie der düstere Ausblick auf die EM im Sommer schwingen zu lange mit. Jetzt drehen sich die Diskussionen nicht mehr um Löws Zukunft oder die endlose Neuausrichtung der Mannschaft, sondern darum, wie das Turnier erfolgreich gestaltet werden kann.

„Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Joachim Löw“, sagte DFB-Präsident Fritz Keller. Löw habe den deutschen Fußball über Jahre hinweg wie kaum ein anderer geprägt. „Dass er uns frühzeitig über seine Entscheidung informiert hat, ist hoch anständig. Er lässt uns als DFB somit die nötige Zeit, mit Ruhe und Augenmaß seinen Nachfolger zu benennen“, sagte Keller.

Der Tiefpunkt: Deutschland verliert im November 2020 mit 0:6 gegen Spanien.
Der Tiefpunkt: Deutschland verliert im November 2020 mit 0:6 gegen Spanien.

© Daniel Gonzales Acuna/dpa

Das Amt des Bundestrainers hatte Löw nach der WM 2006 von Jürgen Klinsmann übernommen, für den er zuvor zwei Jahre als Assistent wirkte. Von da an schaffte es die Mannschaft bei allen Turnieren bis 2018 jeweils immer mindestens ins Halbfinale. Ein schöner Erfolg. Löw war damals ein moderner Macher. Bis zum Gewinn des WM-Titels. Danach hörte er irgendwie auf Trainer zu sein.

Tatsächlich hat es seit 2018 kaum eine sportliche Fortentwicklung des umgekrempelten Teams gegeben. In den Länderspielen im vorigen Herbst wurde zudem immer offensichtlicher, dass Löw nicht das Optimum aus dieser durchaus spannenden Mannschaft mit einigen vielversprechenden jungen Talenten herauszuholen vermag.

Nach der 0:6-Pleite gegen Spanien geriet Löw massiv unter Druck

Vielleicht kam ihm der Gedanke zum Rückzug doch nicht ganz so freiwillig. Freilich, er hatte noch einen Vertrag als Bundestrainer bis nach der WM 2022 in Katar. Übrigens eine Erbschaft des alten DFB-Präsidiums um den früheren Präsidenten Reinhard Grindel, groteskerweise beschlossen kurz vor der WM 2018 in Russland.

Erst vor drei Monaten, also wenige Wochen nach der desolaten November-Niederlage gegen Spanien (0:6) und der massiven Kritik an seiner Arbeit, hatte Löw während einer Pressekonferenz noch einen solchen Gedanken völlig von sich gewiesen. Auf die Frage, ob ihn in den vergangenen Tagen der inneren Einkehr einmal der Gedanke ans Aufhören gekommen sei, antwortete Löw mit „Nein, diesen Gedanken gab es bei mir nicht“.

Dass er Mats Hummels (l.) und Thomas Müller (M.) schasste, sehen viele als Jogi Löws großen Fehler.
Dass er Mats Hummels (l.) und Thomas Müller (M.) schasste, sehen viele als Jogi Löws großen Fehler.

© Federico Gambarini/dpa

Im Gegenteil. Die Mannschaft befinde sich „auf einem guten Weg“. Dass die öffentliche Wahrnehmung damals eine andere war, hatte Löw lediglich registriert. Löw sagte, dass es ihn nicht interessiere, wer was sagt, er wisse schon, was er tue.

Er stehe über den Dingen, was Kritik anbelange. Nicht wenige fragten sich damals, woher Löw seine Selbstgewissheit nehme und sprachen damals von jovialer Entrücktheit des Bundestrainer. Auf die Frage zu den schlechten Sympathiewerten für ihn und die Nationalmannschaft, antwortete Löw jedenfalls lapidar. Er könne „die Wut und Enttäuschung verstehen“, aber er wisse auch, mit Kritik umzugehen, dafür sei er lange genug im Geschäft.

Vielleicht ist es ja auch das, Das- zu-lange-im-Geschäfts-sein, das einem den Blick verstellt. Im Prinzip hat Löw sich seit der historischen WM-Blamage vor fast drei Jahren kontinuierlich aus dem Fußballalltag zurückgezogen.

Viele haben gerade diese merkwürdige und zunehmende Distanz bemängelt, die Löw zum Fußballgeschehen aufgebaut hatte. Am Tagesgeschäft des Fußballs nahm er kaum noch teil, es wirkte, als machte er förmlich einen Bogen darum. Erst vor wenigen Wochen war er seit über einem halben Jahr mal wieder in einem Bundesligastadion gesehen worden.

Die Ausbootung von Hummels, Boateng und Müller gilt als unklug

Seine wenigen Besuche waren auch begleitet von der Frage nach seinem Umgang mit den von ihm im Frühjahr 2019 aussortierten Weltmeisterspieler Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller. Bis heute gilt deren Ausbootung als unklug und hat zahlreiche Debatten ausgelöst.

Erst in den vergangenen Tagen hatte Löw ein mögliches Einlenken angedeutet. „Einen Umbruch sollte man nicht völlig abbrechen, aber man kann“, sagte Löw. Ein Comeback von Müller, Hummels und Boateng schon bei den drei anstehenden WM-Qualifikationsspielen in diesem Monat gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien schloss er aber aus.

Offen ließ Löw, ob das Trio oder einer der Spieler zur EM im Sommer zurückkehren könnte. „Wenn man so ein Jahr hat wie wir, in dem die Entwicklung stehen geblieben ist durch eine zehnmonatige Pause, dann kann man sich das natürlich überlegen“, sagte Löw. Es sei seine Aufgabe, „die besten Spieler, die es gibt, und die beste Mannschaft mitzunehmen, um den größtmöglichen Erfolg zu garantieren“.

Im Sommer wird eine Ära enden, nach dann 17 Jahren Joachim Löw beim DFB. Der deutsche Fußball hat Löw einiges zu verdanken. In seiner Hochzeit als Trainer war gut und mitunter stilbildend. Bleibt ihm zu wünschen, dass er noch mal zu großer Form aufläuft und die Mannschaft ihm bei der EM einen schönen Abgang verschaffen kann. Einen schönen und prominenten Platz in der deutschen Fußballgeschichte hat er jetzt schon sicher. Allein schon wegen des legendären 7:1 im WM-Halbfinale gegen WM-Gastgeber Brasilien.

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