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Arsenals Henrich Mchitarjan

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Zum Ärger des Gastgebers: Warum vor dem Europa-League-Endspiel niemand über Fußball spricht

Vor dem Europa-League-Endspiel debattieren alle über die Abwesenheit von Arsenals Henrich Mchitarjan. Das passt Baku gar nicht.

Wenn die beiden Londoner Klubs FC Arsenal und der FC Chelsea an diesem Mittwoch (21 Uhr/live bei RTL und Dazn) im Olympiastadion von Baku im Finale der Europa League aufeinandertreffen, wird auf Seiten des FC Arsenal ein Stammspieler fehlen. Mittelfeldspieler Henrich Mchitarjan reist nicht mit in die aserbaidschanische Hauptstadt, das ist seit einigen Tagen bekannt. Er fürchte um Leib und Leben, hieß es. Hintergrund ist eine tiefe Feindschaft zwischen Aserbaidschan und Armenien, die seit gut 30 Jahren immer wieder auch gewaltsam ausgetragen wird. Von 1992 und 1994 führten beide Länder sogar einen Krieg um die Region Berg-Karabach.

Dass dieser beinahe vergessene Konflikt jetzt durch den Fußball international wieder Aufmerksamkeit bekommt, passt der Führung in Baku gar nicht. Mit der Kritik von internationalen Menschenrechtsorganisationen an den Repressionen des autoritären Regimes von Staatspräsident Ilham Alijew hat man inzwischen umzugehen gelernt. Der Staatschef hat das Land von seinem Vater geerbt. Amnesty International, Human Rights Watch (HRW) und Reporter ohne Grenzen prangerten auch in den vergangenen Wochen immer wieder die Repressionen gegen die Opposition an. Alijew führe einen regelrechten Krieg gegen kritische Journalisten, erklärte Reporter ohne Grenzen vor dem Europapokalfinale. Und Hugh Williamson, Europa- und Asien-Direktor von HRW, warnte, das Regime in Baku wolle sich mit Hilfe des Fußballs „weiß waschen“.

Fifa und Uefa ignorieren den Konflikt keineswegs

Das alles ficht die aserbaidschanische Führung kaum an, schließlich stört sich auch die Formel 1 nicht daran. Auch andere Großereignisse wie der Eurovision Song Contest 2012 und die Europaspiele 2015 hat man elegant unpolitisch über die Bühne gebracht. Der Konflikt um Mchitarjan verursachte dagegen Nervosität in Baku. Er sei eine inszenierte Provokation, erklärte das Außenministerium. Der Fußballer sei in Aserbaidschan völlig sicher. Die Beteuerung verhinderte jedoch nicht, dass ein längst vergessener Krieg wieder in den Blick der Öffentlichkeit gerät.

Die Auseinandersetzungen begannen in der Endphase der Sowjetunion im Februar 1988 mit einem Massaker an Armeniern in der Ölarbeiterstadt Sumgait. In der Folge kam es zu Unruhen im vorwiegend von Armeniern bewohnten Berg-Karabach, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig erklärte. Zwei Jahre führten Aserbaidschan und Armenien Krieg gegeneinander, bevor mit einem Waffenstillstand die Situation eingefroren wurde. Das ist sie bis heute.

Fifa und Uefa ignorieren den Konflikt keineswegs. Peinlich wird darauf geachtet, dass sich die beiden Länder nicht in WM- oder EM-Qualifikationsrunden begegnen. Einen „Fall Mchitarjan“ aber hatte man offensichtlich nicht im Blick.

Der Teppich wird nicht für alle ausgerollt. Henrich Mchitarjan vom FC Arsenal verzichtet aus Sicherheitsgründen auf die Teilnahme am Europa-League-Finale in Baku. Hintergrund ist der historische Konflikt zwischen seiner Heimat Armenien und Aserbaidschan.
Der Teppich wird nicht für alle ausgerollt. Henrich Mchitarjan vom FC Arsenal verzichtet aus Sicherheitsgründen auf die Teilnahme am Europa-League-Finale in Baku. Hintergrund ist der historische Konflikt zwischen seiner Heimat Armenien und Aserbaidschan.

© AFP

Für Arsenals deutschen Torhüter Bernd Leno ist das schlicht „ein Skandal“. Eigentlich hatten Arsenals Spieler vor, sich geschlossen in Mchitarjan-Trikots warm zu machen. Doch die Uefa erlaubt das nicht. Auch auf eine geplante Stellungnahme vor Ort wollen die Verantwortlichen laut „Daily Mail“ verzichten, weil sie den Konflikt nicht schüren möchten. Stattdessen beharrt der europäische Verband Uefa auf dem offiziellen Hauptargument für die Vergabe des Finales an Baku: Man habe auch einmal ein Spitzenspiel in ein Land vergeben wollen, das nicht im Zentrum des europäischen Fußballs steht.

Tatsächlich ist der aserbaidschanische Fußball international völlig unbedeutend. Der Weltverband Fifa führt das Nationalteam seit Jahren in ihrer Rangliste jenseits von Platz 100. Zwischenzeitlich schien es, als hätte das Land am Kaspischen Meer größere Ambitionen. 2008 wurde Berti Vogts als Nationaltrainer engagiert. Der ehemalige Bundestrainer versuchte es immerhin sechseinhalb Jahre, bevor er sichtlich entnervt aufgab. Vogts erzählte später, in einem Abschiedsgespräch habe er dem Präsidenten klar gesagt, so könne das nichts werden. Es fehlten professionellen Strukturen. Zudem sei ein Wille, sie zu schaffen, nicht zu erkennen.

Baku gehört 2020 zu den 13 EM-Spielorten

Seither sind die Verantwortlichen offenbar zu dem Schluss gekommen, dass sich das Prestige des Staates heben lässt, ohne dass Aserbaidschan guten Fußball spielen muss. Schon 2013 schloss der aserbaidschanische Öl- und Gaskonzern Socar, einer der größten Rohstoff-Exporteure der Welt, einen Sponsorvertrag mit der Uefa. Das Ergebnis war während der EM 2016 und der WM in Russland 2018 gut sichtbar: als Bandenwerbung für ein bis dahin im Westen weitgehend unbekanntes Unternehmen.

Dass sich das Wohlwollen internationaler Institutionen kaufen lässt, hatten die Mächtigen rasch gelernt. Während die Unesco Dresden den Status „Weltkulturerbe“ wegen einer Brücke aberkannte, konnte Socar ohne jede Konsequenz gleich neben der liebevoll rekonstruierten Altstadt Bakus seine phallusartigen Bürotürme in Brutalo-Architektur errichten. Ebenso wenig intervenierten die Kulturwächter gegen die systematische Vernichtung der Zeugnisse armenischen Lebens in Aserbaidschan.

Auch der Konflikt um Henrich Mchitarjan wird wohl rasch wieder vergessen sein. Dass er während der bevorstehenden EM 2020 wieder aufflammt, ist eher unwahrscheinlich. Baku gehört zwar zu den 13 Spielorten des Turniers. Dass eine armenische Auswahl in das Nachbarland reisen muss, ist aber eher unwahrscheinlich. Die ersten beiden Spiele der Qualifikation haben Mchitarjan und seine Teamkollegen bereits verloren.

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