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Für andere Spieler sei Fußball Krieg, sagt sein Ex-Trainer, für Xabi Alonso dagegen ein Konzert.

© afp

Xabi Alonso beim FC Bayern München: Der Symphoniker

Wir legen uns jetzt schon fest: Xabi Alonso ist für uns der Spieler der Bundesliga-Hinrunde. Wer die aktuelle Dominanz des FC Bayern München begreifen möchte, der muss diesen Virtuosen verstehen.

Besondere Spiele schaut Raynald Denoueix immer allein. Dann verzieht er sich ins Arbeitszimmer seines Hauses in Nantes und trinkt heißen Tee. In den vergangenen Monaten war Denoueix sehr oft allein mit seinem Tee, weil er sehr oft die Spiele des FC Bayern München angeschaut hat. Wegen Pep Guardiola, dem Trainer, der so offensiven Fußball spielen lässt, vor allem aber wegen: Xabi Alonso.

Denoueix war zu Beginn von Alonsos Karriere sein Trainer. Zwei Jahre lang, 2002 bis 2004, arbeiteten sie zusammen bei Real Sociedad San Sebastian. „Xabi beim Fußballspielen zuzusehen, ist ein Genuss“, sagt der Franzose. Das finden auch viele Zuschauer in Deutschland. Xabi Alonso ist der meistbestaunte und wohl auch der beste Fußballer dieser Bundesliga-Hinrunde.

Der Wert des 33-jährigen Spaniers für den FC Bayern München lässt sich auch an der Tabelle ablesen. Vor dem Spiel am Sonnabend gegen Bayer Leverkusen führt Bayern die Bundesliga mit sieben Punkten Vorsprung an. Die Titelverteidigung ist gefühlt schon im Dezember sicher, und das, obwohl mit Bastian Schweinsteiger, Javier Martinez, Thiago Alcantara, Franck Ribery und Philipp Lahm sehr wichtige Spieler im Mittelfeld verletzt fehlen oder fehlten. Doch die Balance zwischen Abwehr und Angriff stimmte immer. Denn dafür ist nun Alonso verantwortlich. Mit Erfolg, 32 Münchner Toren stehen nur drei Gegentreffer gegenüber.

Wer Bayerns aktuelle Dominanz verstehen will, der muss Xabi Alonso verstehen

Selbst im vergangenen Jahr waren die Zahlen nicht so beeindruckend. Damals war Toni Kroos noch da. Er ging im Sommer zu Real Madrid, Alonso kam nach München. Nicht im Tausch, aber die beiden wurden verglichen. Kroos ist neun Jahre jünger, aktueller Weltmeister, was dachten sich die Bayern bloß?

Diese Frage stellt heute niemand mehr, Xabi Alonso wird gelobt und gelobt und gelobt. So sehr, dass es einigen auf die Nerven geht. In den sozialen Netzwerken etwa regte sich Kritik, als der Fernsehkommentator Marcel Reif Alonso beim Spiel der Bayern in Mönchengladbach mit an Verehrung grenzenden Elogen bedachte. Fragen kamen auf: Steckt hinter all den Lobpreisungen auch die Sehnsucht nach internationaler Strahlkraft, die der Bundesliga so lange abging? Ist Alonso wirklich so gut? Wenn ja, was macht er so viel besser als andere? Oder ist er überbewertet?

„Um Xabi zu erklären, muss man sich nur sein erstes Spiel für die Bayern anschauen. Was er da machte, können auf der Welt vielleicht noch zwei Spieler - Xavi und Andrea Pirlo“, sagt Denoueix. „Ich hatte Spieler, für die war Fußball Krieg. Für Xabi ist das Spiel ein Konzert.“ Er meint die Art und Weise, die Körpersprache, mit der Alonso bei seinem Debüt gegen Schalke 04 auftrat. Knapp 48 Stunden nach seiner Vertragsunterzeichnung dirigierte er die Bayern-Mannschaft, als hätte er nie woanders gespielt. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, gab er Anweisungen. Mit den Händen, der Brust, dem ganzen Körper. So dominant hatte sich noch kein Spieler dem deutschen Publikum vorgestellt.

Mit 19 Jahren bewahrte Xabi Alonso Real Sociedad als Kapitän vor dem Abstieg

In Frankreich goss sich Denoueix vor lauter Begeisterung noch einen Tee ein beim Zuschauen. Er kannte diese Führungsqualitäten. Alonso war 19 Jahre alt, als er Real Sociedad als Kapitän vor dem Abstieg bewahrte. „Er sprach am Anfang nicht gerade viel, ganz anders als die Älteren im Team. Aber seine Ruhe am Ball, die Übersicht, das machte Eindruck. Xabi verschaffte sich nicht durch Worte Respekt, sondern mit seinen Füßen.“ In Deutschland verschob sich nach dem Schalke-Spiel die Wahrnehmung. Auf einmal waren Anpassungsprobleme nur noch etwas für durchschnittliche Spieler.

Alonso wurde von einem Augenblick auf den anderen zur prägenden Figur im Spiel des FC Bayern München und sorgte für einen irrwitzigen Rekord, als er gegen Köln den Ball in 90 Minuten 206 Mal berührte. Das heißt, er war rund alle 26 Sekunden am Ball. In der Regel kommen Spieler in der Bundesliga zwischen 70 und 110 Mal pro Begegnung an den Ball.

Alonsos Zahlen verraten viel über sein Spiel – und das seiner Mannschaft. Ballbesitzfußball mit vielen kurzen Pässen über zwei, drei Meter ermöglicht den Spielern sehr viele Kontakte innerhalb kurzer Zeit. Entgegenkommen, prallen lassen, weiterspielen – so funktioniert Bayerns Ballzirkulation. Oder wie Herthas Trainer Jos Luhukay es gern ausdrückt: „Klatsch, Klatsch, Klatsch!“

Xabi Alonso ist der Meister des Klatsch, Klatsch, Klatsch. Durch ihn wurde das Spiel der Bayern weiter guardiolarisiert, es gibt noch mehr kurze Pässe, noch höhere Ballzirkulation. Das ist wichtig. Je schneller der Ball durch die eigenen Reihen läuft, desto schwieriger wird es für den Gegner, in die Zweikämpfe zu kommen und den Ball zu erobern. Jos Luhukay konnte sich am vergangenen Sonnabend davon aus der Nähe überzeugen. Waren Herthas Spieler einmal an den Bayern dran, war der Ball schon wieder ganz woanders.

Staunen beim Gegner: Wenn andere Spieler fallen würden, spielt Xabi Alonso noch Fußball.
Staunen beim Gegner: Wenn andere Spieler fallen würden, spielt Xabi Alonso noch Fußball.

© dpa

Im Olympiastadion spielte Xabi Alonso so, wie er es inzwischen am liebsten mag. Er ließ sich oft zwischen die beiden Innenverteidiger Dante und Jerome Boateng fallen. Von dort hatte er den Gegner komplett vor sich, konnte das Spielfeld überblicken und meist ohne Druck entscheiden, wo er den Ball hingab. Weil die Außenverteidiger Rafinha und Juan Bernat sehr weit aufgerückt an den Außenlinien standen, war Xabi Alonso in der Lage, sie immer gleich anspielen zu können. Oder er passte zu Arjen Robben oder Franck Ribery, die ihm beide von den Halbpositionen entgegenkamen. Prallen lassen, weiterspielen.

Klatsch, Klatsch, Klatsch. Und dabei immer in Bewegung bleiben. Xabi Alonso gehört bei den Bayern meistens zu den besten drei, wenn es um die Laufleistung geht. Knapp unter 12 Kilometer legt er im Schnitt pro Spiel zurück. Sein Tempo variiert kaum, auf kräftezehrende Sprints verzichtet er meist – weil er andere Qualitäten besitzt, die ihm das erlauben. „Ich habe nie zuvor und nie danach einen Spieler trainiert, der das Spiel so gut lesen konnte. Xabi weiß schon lange vorher, was gleich auf dem Feld passiert“, sagt Denoueix. „In dem Moment, wo es im Mittelfeld eng wird, steht er schon längst außerhalb des Getümmels und löst die Situation auf, indem er den Ball ganz woandershin spielt.“ Der 66-Jährige nennt das eine natürliche Gabe Alonsos. Vererbt durch den Vater Periko, einen frühreren Profi, der für San Sebastian und den FC Barcelona spielte. Xabis zweiter Bruder ist ebenfalls Fußballer, der dritte, Jon, ist Schiedsrichter.

Mit Erfahrung kompensiert Xabi Alonso seine Schnelligkeitsdefizite

Mit seinem Wissen und seiner Erfahrung kann Alonso auch in der Defensive Schnelligkeitsdefizite durch sein Positionsspiel kompensieren. Das passiert durch Dinge, die in keiner Statistik auftauchen und sich nicht messen lassen. Dinge, die im Fußball noch immer entscheidend sind. In Berlin stellte er oft mit einem einfachen Schritt nach links oder rechts einen freien Raum zu. Herthas Spieler drehten meist sofort ab, wenn sie sahen, dass die von ihnen zuvor erkannte Lücke nicht mehr bestand. Oder sie versuchten es erst gar nicht. So hatten die anderen Bayern Zeit, sich wieder zu positionieren.

Das Spiel lesen, Situationen erkennen, bevor sie entstehen, das ist, was Pep Guardiola von Xabi Alonso verlangt. Dazu kurze Pässe, je kürzer desto besser, um das Fehlpassrisiko zu minimieren. Alles ideal für Xabi Alonso, weil er bis zu seinem Rücktritt so jahrelang mit der spanischen Nationalmannschaft spielte. Wie alle Welt- und Europameister dieser spanischen Generation verfügt er über ein hervorragendes Ballgefühl. Entscheidende Fehlpässe, wie zuletzt im Spiel bei Manchester City, sieht man von ihm ganz selten.

Anders als etwa Xavi, Andres Iniesta oder Sergio Busquets ist Xabi Alonso ein sehr viel kompletterer Fußballer. 1,83 Meter groß, 77 Kilo schwer, ausgestattet mit einem passablen Kopfballspiel und robuster Zweikampfhärte, nervenstark. Dabei darf er noch nicht einmal alle seine Qualitäten zeigen. Alonsos eigentliche Spezialität waren immer Diagonalbälle über 40, 50 oder 60 Meter. Kein Spieler schlägt sie so präzise. Nur ist diese Stärke beim FC Bayern München nicht mehr so gefragt, hin und wieder streut er sie aber noch ein, als weiteres Stilmittel. Auf diese Weise schoss Alonso für den FC Liverpool mal ein Tor aus 55 Metern.

Liverpool. Madrid. München. Xabi Alonso spielte in allen großen Ligen, überall hatte er Erfolg. Egal unter welchem Trainer, ob Rafael Benitez oder José Mourinho, egal in welchem Spielsystem. „Er ist von seiner Mentalität her sehr Baske, sehr fleißig und loyal“, sagt Denoueix. Während seiner Zeit bei Real Madrid gehörte Alonso zu den treuesten Gefolgsleuten von Mourinho. Nun arbeitet er mit dessen ewigem Gegenspieler Pep Guardiola problemlos zusammen. „In nicht allzu langer Zeit wird Xabi selbst Trainer sein“, sagt Raynald Denoueix. Daran gibt es kaum Zweifel. Alonso spielt bereits, als wäre er einer.

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