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WM-Vorrundenaus: Faktencheck: Warum scheiterte die Nationalmannschaft

Woran lag es denn nun, das Ausscheiden der deutschen Mannschaft? Ein Faktencheck der drei gängigsten Thesen.

Ein Mörder geht um, jemand hat die Hoffnung getötet. Die auf den fünften deutschen Stern, auf die Titelverteidigung bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Dass das deutsche Team bereits nach der Vorrunde ausgeschieden ist? Ein Ding der Unmöglichkeit! Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist die Fußball-Republik auf der Suche nach Schuldigen. Doch wie haltbar sind die Anklageschriften?

Mesut Özil

Ist so etwas wie der Quotenschuldige. Wann immer es nicht läuft bei der deutschen Mannschaft, zeigen Millionen Mittelfinger in seine Richtung: Der da war’s! An ihm hat es gelegen! Allein diese Körpersprache! Dass bereits Norbert Elgert, Özils Jugendtrainer beim FC Schalke 04, sagte: „Mesut war schon immer ein Spieler, der sich freischleicht. Der sich zwischen den Linien anbietet, ohne dass seine Gegenspieler es mitbekommen“? Was weiß der schon! Der Mann, der Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Leroy Sané und und und entdeckt hat. Der weiß sicher nicht so viel wie all jene, die Özil mal alle paar Monate in einem Länderspiel sehen. Und überhaupt: Die Experten sehen es doch genauso! Also vor allem jene Ex-Fußballer, die als Trainer gescheitert sind, die es zumeist nicht einmal auf Amateurniveau schaffen, einer Mannschaft eine Spielidee zu vermitteln. So sie denn eine haben. Die aber, wie etwa Mario Basler, verstanden haben: „Özil hat eine Körpersprache wie ein toter Frosch.“ Da die Körpersprache des Fußballspielers Mario Basler natürlich immer über alle Zweifel erhaben war, hier ein wenig Statistik. Basler: 30 Länderspiele, zwei Tore, sieben Vorlagen. Özil: 92 Länderspiele, 23 Tore, 40 Vorlagen.

Beratungsresistenz? Schüchterne Körpersprache? Diese Eigenschaften unterstellen viele Zuschauer Mesut Özil und geben ihm damit die Mitschuld am Scheitern der deutschen Nationalmannschaft.
Beratungsresistenz? Schüchterne Körpersprache? Diese Eigenschaften unterstellen viele Zuschauer Mesut Özil und geben ihm damit die Mitschuld am Scheitern der deutschen Nationalmannschaft.

© dpa

Überhaupt wird man nicht viele Spieler in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft finden, die eine bessere Statistik vorweisen können als Özil. Ebenso wird man wenige deutsche Spieler finden, über die internationale Topstars, Spieler wie Trainer, so sehr ins Schwärmen geraten wie über den Mann, den sie in England schlicht „Magier“ nennen. Schön und gut, mögen die Kritikaster nun einwenden, aber in den wichtigen Spielen! Gegen Südkorea! War Özil, Überraschung, überragend. Nach Toni Kroos die meisten Pässe gespielt, herausragende 62 Prozent seiner Zweikämpfe gewonnen und vor allem – aus dem freien Spiel heraus sieben Torchancen vorbereitet. Das gelang noch keinem Spieler im Laufe dieser Weltmeisterschaft. Aber diese Körpersprache! Übrigens der vielleicht größte Schleicher des Weltfußballs: ein gewisser Lionel Messi. Und der kann bekanntlich auch nichts.

Fehlende Führungsspieler

Mindestens so alt wie die Debatte um die Körpersprache einzelner Nationalspieler ist die um fehlende Führungsspieler. Ist an sich eher ein Fall für Therapeuten, denn: Auch diese Diskussion wird zumeist von Ex-Fußballern angeschoben. Oftmals von solchen, die sich dem Vorwurf ehemals selbst ausgesetzt sahen. Aktuelles Beispiel: Michael Ballack. Der twitterte nach dem Südkorea-Spiel in die Welt und sucht dabei vergebens nach Führungskräften, Persönlichkeiten und Mentalität. Angesichts gestandener Charaktere, Leistungsträger und Führungsspieler wie Manuel Neuer, Mats Hummels oder Toni Kroos, die mit ihren Vereinen alles gewinnen, was es zu gewinnen gibt, und die schon dem Frühstücksmüsli mit Kampfgeist zu begegnen scheinen, ist diese Debatte allerdings ungefähr so gehaltvoll wie Magerquark.

Jogi Löw

Der Verzicht auf Leroy Sané, immerhin in der englischen Premier League und im Dauerdienst des überragenden Meisters Manchester City zum Nachwuchsspieler der Saison gewählt, wird dem Bundestrainer ebenso angelastet wie ein fehlender Taktik-Plan B, eine mangelnde, defensive Grundordnung und die nicht vorhande Stammelf. Ob es Sané, Sandro Wagner und Co. gerichetet hätten? Hypothetisch. Und eher unwahrscheinlich. Denn sollten Wohl und Wehe einer Mannschaft tatsächlich an einem 22-Jährigen hängen, der bisher elf Länderspiele absolviert hat, wäre dies tatsächlich alarmierend. Plan B hingegen war durchaus vorhanden, hieß unter anderem Mario Gomez und Dreierkette und war schlicht vom Pech verfolgt. Wie übrigens die gesamte Vorrunde der deutschen Elf, das belegen auch die Zahlen. 72 Prozent Ballbesitz konnte die Mannschaft in den drei Spielen durchschnittlich für sich verbuchen, überragende 89 Prozent aller Pässe kamen an. Daraus entsprangen insgesamt 72 zu 32 Torschüsse. Auch die Qualität dieser Versuche sprach für das deutsche Team. Die Rate der „Expected Goals“, ein statistischer Wert, der für eine komplette Partie zur Grundlage nimmt, wie wahrscheinlich einzelne Torschüsse zu einem Torerfolg führten, sah die Mannschaft sowohl gegen Schweden (1,5 zu 1,4) als auch gegen Südkorea (1,8 zu 1,6) vorn.

Das sind keine gravierenden Unterschiede, sie zeigen aber auf, dass Jogi Löw und seine Spieler vor allem auch eines hatten: Pech. Dass dies am Ende ausschlaggebend wurde, überrascht dennoch. Zu groß schien die individuelle Klasse des deutschen Kaders. Groß genug zumindest, um den Unwägbarkeiten des Zufalls wenigstens in der Vorrunde ein Schnippchen zu schlagen. Weshalb das fehlende Glück schließlich eine solch prägnante Rolle spielte, hat seine Gründe. Ihnen auf die Spur zu kommen, wird nun die Aufgabe rund um die Nationalmannschaft sein, wird die Zeit zeigen. Ohne Einblicke in das Innenleben der Mannschaft ist eine qualifizierte Analyse allerdings unmöglich. Immerhin eines ist bis dahin wie immer gewiss: Mal verliert man, mal gewinnen die anderen.

Ilja Behnisch

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