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Englands Jungstar im Mittelfeld, Dele Alli, im Spiel gegen Schweden.

© EMMANUEL DUNAND/AFP

WM-Halbfinale Kroatien gegen England: Dele Alli – Juwel und Schwalbenkönig

Stürmer Harry Kane steht für den englischen Erfolg. Doch im Halbfinale gegen Kroatien könnte jetzt sein Kollege Dele Alli groß rauskommen. Ein Porträt.

Ein kurzes Zuspiel von Wayne Rooney im Mittelfeld. Ballannahme mit links, noch einmal vorgelegt mit rechts. Und dann ein satter Vollspannschuss, der sich über Hugo Lloris hinweg ins lange Eck senkt. Vieles war anders am 18. November 2015, als Dele Alli sein Länderspieldebüt mit einem Traumtor gegen Frankreich im Wembley-Stadion feierte. Rooney war immer noch Kapitän der englischen Nationalmannschaft und über der Rückennummer des damals 19-jährigen Alli stand sein offizieller Nachname. Mittlerweile steht dort einfach nur „Dele“. “Ich musste diese Entscheidung treffen“, lautet seine wortkarge Erklärung für die Wechselspiele auf der Rückseite seines Trikots.

Der Mittelfeldmann von Tottenham Hotspur hat keinen Kontakt mehr zu seinen leiblichen Eltern, die sich immer wieder in der englischen Boulevardpresse zu Wort melden und seine Aufmerksamkeit suchen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Dele Alli keine Familie hat. Sie heißt eben nur anders: Alli, der beim englischen Viertligisten Milton Keynes Dons ausgebildet wurde, zog als 13-Jähriger bei der Familie seines Mitspielers Harry Hickford ein. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so gut war wie er", schwärmt sein ehemaliger Teamkollege und heutiger Mitbewohner von Allis einzigartigen Fähigkeiten.

Im Hause Hickford erhielt er die dringend benötigte Stabilität, um sich aufs Fußballspielen zu konzentrieren. Gerade rechtzeitig, denn „ich habe mich mit den falschen Leuten rumgetrieben und war auf keinem guten Weg“, erzählt der Sohn eines Nigerianers von seiner schwierigen Jugend. Die Eltern trennten sich, als er noch klein war. Mal lebte Alli mit seinem Vater in Nigeria, mal in den Vereinigten Staaten. Dann kehrte er wieder zu seiner Mutter nach England zurück, die noch drei weitere Kinder von jeweils unterschiedlichen Männern großzog und mit Alkoholproblemen zu kämpfen hatte.

Alli ist ein Straßenfußballer der Generation Internet. Einer, der sich Tricks auf YouTube anschaut, und seine Gegenspieler auf dem Platz zu Versuchsobjekten degradiert. "Ein cleverer Bursche", sagt sein Vereinstrainer Mauricio Pochettino und mit seinen 1,88 Metern Körpergröße außergewöhnlich durchsetzungsstark. Im Viertelfinale bekamen die Schweden das zu spüren, als Alli sich am langen Pfosten davonschlich und per Kopf zum entscheidenden 2:0 traf. Der 22-Jährige bringt das volle Paket mit, um eine der prägenden Figuren des englischen Fußballs zu werden. Bereits jetzt sind die Engländer ihrem wohl größten Talent in einer Art Hassliebe verbunden, die vor ihm schon der in der Nationalmannschaft unvollendete Wayne Rooney zu spüren bekam.

Mit 19 Jahren ein Beinschuss gegen Luka Modric

Hatten Rooneys Aussetzer meist eine nahbare Tollpatschigkeit an sich, mit der sich die Fans identifizieren konnten, so fremdeln sie diesmal mit dem Auftreten ihres neuen Juwels. Denn der beste Nachwuchsspieler der Premier-League-Saisons 2015/16 und 16/17 folgt nicht immer dem „English Way“. Legenden wie Gary Lineker und Alan Shearer schimpften Alli bereits einen Schwalbenkönig. Und der schlechte Ruf kommt nicht von ungefähr.

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Seit seinem Ligadebüt im August 2015 wurde er bisher dreimal vom Schiedsrichter für seine Schauspieleinlagen verwarnt. Öfter als jeder andere Spieler in diesem Zeitraum. „Die einen nennen das Schummeln, die anderen nicht“, wiegelt Alli ab, ohne dabei entschuldigend zu klingen. Dazu ist er zu selbstsicher. Manche würden sagen arrogant.

Allerdings nicht Mike Dove, sein ehemaliger Jugendkoordinator bei den Milton Keynes Dons: „Dele ist angstfrei. Nichts kann ihm Sorgen bereiten. Er ist nicht arrogant, er will den Leuten einfach nur gute Unterhaltung bieten.“ Wie bei seinem ersten Testspieleinsatz im Trikot der Tottenham Hotspur. Als er, ein 19-jähriges Schnäppchen aus den Niederungen des englischen Fußballs, beim Audi Cup 2015 plötzlich dem großen Luka Modric gegenüberstand – und ihn mit einem frechen Beinschuss gleich mal ins Leere laufen ließ.

Diese Unbekümmertheit wird es am Mittwochabend wieder brauchen, wenn die „Three Lions“ gegen Kroatien bestehen wollen. Vielleicht nicht mit dem „English Way“, dafür aber mit dem „Dele Alli Way“. Und der könnte immerhin zum ersten WM-Finale seit 52 Jahren führen.

Niklas Levinsohn

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