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Kevin de Bruyne nach der 1:0 Niederlage.

© dpa/AP/Frank Augstein

WM-Aus gegen Frankreich: Und wieder bleibt Belgien nur das schönste Trikot

Unser Autor ist seit den Achtzigern Fan der "Red Devils". Über die Jahre hat sich eine abenteuerliche Liebschaft mit dem ewigen Geheimfavoriten entwickelt. Eine Leidensgeschichte.

Im Sommer 1986 dachte ich für ein paar Tage, Belgien sei die beste Mannschaft der Welt. Ach, nein, entschuldigen Sie, dieser Text muss anders beginnen, und zwar so: Im Sommer 1986 war ich neun Jahre alt, ein Fußballneuling, der gerade seine erste Bundesligasaison hinter sich hatte. Ich war davon überzeugt, dass Deutschland in Mexiko Weltmeister wird, auch wenn ich die Mannschaft nicht sonderlich mochte.

Auf den Panini-Bildern schauten mich Karl-Heinz Rummenigge, Hans-Peter Briegel oder Dieter Hoeneß an wie 50 Jahre alte Kneipenschläger. Zerfurchte Gesichter, Halbglatzen, Kastenkörper. Sie waren Maschinen, die allerdings erfolgreich spielten. So sah ich das. Zumindest bis zu dem Tag, als Dänemark diese DFB-Kastenmänner 2:0 rasierte. Warum hatte mir mein Vater nichts von dieser Wundermannschaft aus dem Norden erzählt?

Wenige Tage später war ich wieder schlauer. Die Dänen gingen nämlich gegen Spanien im Achtelfinale unter, 1:5, was für eine Schmach. In meiner kleinen Fußballwelt waren nun die Spanier heißer Titelanwärter, eine wahrlich tolle Mannschaft. Aber dann, potzblitz, das Viertelfinale gegen Belgien. Ich war sprachlos. Wie konnten Butragueno und Salinas gegen dieses mir noch ganz unbekannte Team verlieren? Was, um Himmels willen, war das für ein seltsamer Sport? Unvorhersehbar, unverstehbar.

Als Belgien daraufhin im Halbfinale gegen Argentinien verlor, blieb ich trotzdem Sympathisant der Roten Teufel, denn es schien ein unfaires Duell gewesen zu sein. Der Gegner lief mit einem kleinen Spieler auf, den sie Gott nannten und der Tore mit der Hand erzielen durfte.

Vincenzo Scifo strahlt Abenteuerstimmung aus

Besonders an einem Belgier fand ich Gefallen: Vincenzo Scifo. Auf dem Panini-Bild trug er eine Goldkette, die dichten schwarzen Haare hatte er mit Gel nach hinten fixiert. Ein paar Jahre später hätte er formidable Chancen beim Casting zum dritten Teil von „Der Pate“ gehabt. Damals sah alles an ihm nach Abenteuer und Aufbruch aus: die Frisur, der Blick, der Name. Ja, vor allem: der Name!

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Er war kein Dieter, kein Karl-Heinz, kein Hans-Peter. Er war ein Vincenzo, den sie Enzo nannten. Ein Sohn sizilianischer Einwanderer, die in den Siebzigern nach Brüssel gekommen waren. Auch das war: aufregend. Scifo war „eine Zehn“, und er trug die zwei tonnenschweren Ziffern seiner Rückennummer über den Platz als seien sie seine Flügel. Ein Feingeist am Ball, ein Genie. Es gab sie damals zuhauf: Platini, Baggio, Zico, Gullit. Scifo aber war, so malte ich es mir aus, einer für Fußballkenner. Die B-Seite einer Hitsingle, die bei genauerem Hinhören interessanter ist als die A-Seite.

Eigentlich stand er stellvertretend für Belgiens Nationalelf, denn an ihr klebte schon damals das Etikett „Geheimfavorit“, was so viel bedeutete wie: Genial, aber für den ganz großen Triumph nicht gut genug. Der belgische Fußball war in jenen Jahren auch auf Vereinsebene ansehnlich. Hier holten die Teams sogar Titel: Anderlecht gewann zweimal den Pokalsieger-Cup und den Uefa-Pokal. KV Mechelen siegte ebenfalls im Pokalsieger-Wettbewerb.

Ende der Achtziger, die WM in Mexiko noch in guter Erinnerung, verkündete der Trainer Guy Thys, dass die große Zeit für Belgien noch kommen werde. Scifo, dieser Wunderknabe, war schließlich gerade mal Anfang 20. Aber hatte er vergessen, dass seine Leistungsträger Jean-Marie Pfaff, Jan Ceulemans und Eric Gerets alle über 30 waren?

Die Leidensgeschichte der Belgier

Bis zur diesjährigen WM in Russland kam Belgien nur einmal noch ins Viertelfinale, beim Turnier in Brasilien. Davor ein paar Achtelfinalteilnahmen, besonders bitter war das Aus 1990 gegen England. Zweimal traf Belgien in dem Spiel den Pfosten, einmal Ceulemans, einmal Scifo. Englands Trainer Bobby Robson resümierte: „Belgien war uns sicherlich überlegen.“ Aber England hatte David Platt, der in der 119. Minute das 1:0 machte.

1994 dann die Achtelfinal-Niederlage gegen Deutschland, 1998 schied Belgien nach drei Unentschieden in der Gruppenphase aus, 2002 konnte sich das Team nicht mal mehr qualifizieren. Belgien hat immer solide Nationalmannschaften gehabt, gute Spieler wie Emile Mpenza, Timmy Simons oder Marc Wilmots. Aber eigentlich war die Qualität des Teams nie mehr so hoch wie 1986, mit Scifo in Topform, mit den treffsicheren Stürmern Nico Claesen und Jan Ceulemans, mit Jean-Marie Pfaff, damals einer der besten Torhüter der Welt.

Bis es eben in die Qualifikation zu dieser WM ging. Neun Siege, ein Unentschieden, keine Niederlage, 43:6 Tore. Eine Ansage. Die Mannschaft ging nicht mehr mit zwei oder drei guten Spieler in eine Partie, sondern mit elf. In Kaliningrad traf ich vor dem Gruppenspiel gegen England einen Fan aus Lüttich, der jubelte: „Die Premier League ist die beste Liga der Welt. Aber die besten Spieler in der Liga kommen alle aus Belgien.“

Eine euphorische Fanperspektive, aber auch nicht ganz falsch. Belgien war zu einer Premier-League-All-Star-Mannschaft geworden. Kompany, Hazard, De Bruyne, Lukaku, alles Stammspieler bei den Topvereinen. Wie kann man von so einer Mannschaft sagen, dass sie nur ein Geheimfavorit sei, schrieben während des Turniers viele Journalisten in ihren Artikel.

Nun, einen Ruf kann man sich recht leicht erarbeiten. Einen Ruf wieder loszuwerden, das ist die Kunst. Die belgische Nationalelf wird dieses Etikett wohl erst abstreifen, wenn sie eines Tages Weltmeister wird. Am Dienstagabend hat die Mannschaft nicht so gut gespielt wie gegen Brasilien, aber sie hätte den Sieg gegen Frankreich verdient gehabt.

Auch das ist vielleicht: eine Fansicht. Aber was bleibt einem auch, wenn man seit den Achtzigern auf ein WM-Finale mit Belgien wartet? Auf den Tag wartet, den Guy Thys versprochen hat? Ein paar Dribblings von Eden Hazard, ein paar Zauberpässe von Kevin de Bruyne – und die Erkenntnis, dass Belgien wie immer das schönste Trikot der WM hatte. Und eine Floskel von Trainer Roberto Martinez: „Einer muss gewinnen, einer verlieren.“ Dabei ist die Sache eigentlich ganz schön tragisch.

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