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Zum Verzweifeln. In der vergangenen Saison endete die neun Jahre währende Dominanz von Juventus Turin in der Serie A. Nun sind für Leonardo Bonucci (rechts) und Alex Sandro selbst die internationalen Ränge weit entfernt.

© Marini/Imago

„Wir sollten uns schämen“: Serienmeister Juventus Turin war einmal

Juventus Turin befindet sich in einer tiefen Krise und setzt auf eine ungewöhnliche Maßnahme. Zumindest in der Champions League läuft es.

Wenn nichts mehr hilft, dann vielleicht der Aberglaube. Das scheint zumindest die Hoffnung von Massimiliano Allegri zu sein. Nach zwei Niederlagen gegen US Sassuolo und Hellas Verona innerhalb von vier Tagen hat der Trainer von Juventus Turin seine Mannschaft für eine Woche ins Trainingslager auf dem Klubgelände bestellt. Das vereinseigene Hotel sollen die Profis nur für das Training und die Spiele verlassen, ihr Bewegungsradius dürfte sich damit auf wenige hundert Meter beschränken. An diesem Dienstag (21 Uhr, Dazn) ist Zenit St. Petersburg in der Champions League zu Gast in Turin, am Samstag dann der AC Florenz.

Die Maßnahme zeugt von einer gewissen Verzweiflung und es ist aktuell kaum vorstellbar, dass sie einen ähnlich mirakulösen Effekt entfalten kann wie vor ziemlich genau sechs Jahren. Damals schickte Allegri den Serienmeister nach schwachem Saisonstart ebenfalls in Klausur – es folgte eine der eindrucksvollsten Aufholjagden der Serie-A-Geschichte. Mit 15 Ligasiegen in Folge wurden aus elf Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze ein Punkt Vorsprung. Am Ende gewann Juve den fünften Meistertitel in Serie.

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Vom Scudetto wagen sie in Turin momentan nicht mal zu träumen und die Verantwortlichen würden wahrscheinlich sofort unterschreiben, wenn man ihnen Platz vier und damit die erneute Qualifikation für die Champions League garantieren würde. Denn an der Ligaspitze haben der SSC Neapel und der AC Mailand nach elf Spieltagen mehr als doppelt so viele Punkte geholt wie Juve. „Wir sollten uns dafür schämen, dass wir nur 15 Punkte haben“, sagte Allegri nach der erschreckend schwachen Darbietung beim 1:2 gegen Verona am Samstag. „Wir müssen die Klappe halten und arbeiten.“

Seine Rückkehr auf die Trainerbank von Juventus hatte sich Allegri nach zwei Jahren Pause ganz anders vorgestellt. Mit seiner Erfahrung, dem ihm eigenen Pragmatismus und der genauen Kenntnis des anspruchsvollen Vereinsambientes sollte der 54-Jährige das Team nach zwei durchwachsenen Spielzeiten unter dem Dogmatiker Maurizio Sarri und dem unerfahrenen Andrea Pirlo wieder auf Kurs bringen. Der Abschied von Superstar Cristiano Ronaldo sollte die Kassen entlasten und den Weg frei machen für eine wichtige Neuausrichtung. Doch bisher wirkt Juve mindestens so verunsichert wie in der vergangenen Saison, als mit viel Glück und Schützenhilfe noch Platz vier erreicht wurde.

Massimiliano Allegri hat in dieser Saison viel Grund für schlechte Laune.
Massimiliano Allegri hat in dieser Saison viel Grund für schlechte Laune.

© imago images/Xinhua

Die Probleme des italienischen Rekordmeisters sind vielfältig. An einem guten Tag kann die Mannschaft immer noch jeden Gegner schlagen, wie sie vor einem Monat beim 1:0-Sieg gegen Titelverteidiger FC Chelsea demonstriert hat. In der Champions League hat Juve alle drei Spiele gewonnen und kann schon mit einem Unentschieden gegen Zenit ins Achtelfinale einziehen.

National zeigen sich die Schwächen gegen tiefstehende Gegner aber glasklar. Abgesehen von Paulo Dybala ist Kreativität nur in homöopathischen Dosen vorhanden. Der bei der EM überragende Flügelspieler Federico Chiesa sucht noch nach seiner Form und hat mit physischen Problemen zu kämpfen. Mittelstürmer Alvaro Morata hadert mit seiner schwachen Torausbeute. Die italienischen Veteranen Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci werden nicht jünger. Zudem wirken gerade die Südamerikaner Juan Cuadrado, Alex Sandro und Danilo ausgelaugt von den langen Länderspielreisen.

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Am schlimmsten wiegt jedoch das mangelnde Konzept. Eine klare personelle Linie ist nicht vorhanden und die Trainerwechsel der vergangenen Jahre haben dem Team die Selbstsicherheit genommen. Auf den erfolgreichen, aber wenig spektakulären Allegri folgte Sarri mit einer völlig anderen Fußballphilosophie. Unter ihm gewann Juve zwar den Titel, doch bei den Spielern war er sehr umstritten. Unter Pirlo fehlte der sportlicher Erfolg – und in der Champions League sind die Italiener in den vergangenen vier Jahren gegen auf dem Papier unterlegene Mannschaften ausgeschieden.

Mittlerweile fragen sich allerdings schon viele Fans und Experten, ob doch nicht die Unerfahrenheit Pirlos der Grund für das schlechte Abschneiden war, sondern eine schlecht zusammengestellte Mannschaft. Bei einer Umfrage der „Gazzetta dello Sport“ gaben 64 Prozent der Teilnehmer der Vereinsführung die Schuld für die Misere. Auch Allegri steht schon in der Kritik. Das Bild, das Juventus zuletzt abgegeben hat, ist verheerend – und das nicht erst seit den Super-League-Plänen von Präsident Andrea Agnelli. Das vergangene Geschäftsjahr hat Juve mit einem Verlust von 210 Millionen Euro abgeschlossen. Allein deshalb ist die Qualifikation für die Champions League schon fast lebensnotwendig.

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