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Die Lok zieht immer noch - auch in der Oberliga kommen zu Spielen bis zu 3.000 Fans ins altehrwürdige Bruno-Plache-Stadion.

© Frank Willmann

Willmann in Leipzig: Die Lok zieht immer noch

2003 wurde der traditionsreiche 1. FC Lokomotive Leipzig neubelebt und hat sich seither bis in die Oberliga zurückgekämpft. Und das soll noch nicht das Ende sein - obwohl der Ruf schlecht und die Konkurrenz groß ist.

Meiner Nase schmeichelt kein duftendes Zedernholz. Die Holztribüne im Bruno-Plache-Stadion zu Leipzig riecht nach Schweiß- und Tränensoße. Seit 2003 gibt es den 1. FC Lokomotive Leipzig wieder. Eine Neubelebung durch Fans, nachdem die in VfB Leipzig rück-, bzw. unbenannte Loksche 2003 die Hufe hob. Damals wählten ein Dutzend Fans den VfB-Fanbeauftragten Steffen Kubald zum Präsidenten. Der Lok wieder in die Spur brachte. Durch geschickte Marketingaktionen machte Lok in der Folge auf sich aufmerksam. Diverse Altstars wie Lothar Matthäus oder Bernd Hobsch wurden aus ihren Ruheräumen geholt und gaben Kurzgastspiele. Angefangen in der untersten Klasse, folgten Aufstiege und eine Fusion, die Lok einige Ligen überbrücken ließ. Seit der Saison 2008/2009 kickte Lok wieder in der Oberliga. Und stagnierte.

Um das Ziel Regionalliga Nordost im nächsten Jahr zu erreichen, musste ein Plan her. Seit Februar 2011 ist Michael Notzon neuer Lok-Präsident. Er ist mit dem Hauptsponsor eng verwoben. Seit kurzem verwaltet ein hauptamtlicher Geschäftsführer Lok, am Spielfeldrand steht seit Anfang Januar 2012 ein Mann mit einem bekannten Namen. Willi Kronhardt erhörte den Lok-Ruf im fernen Arabien und übernahm den Trainerposten.

Im Februar 2011 legte RB Leipzig dem 1. FC Lokomotive ein Kooperationsangebot vor. Für die Lok-Mitglieder stellte sich die Frage nach der Identität des Vereins. RB hatte eine bestimmte Summe pro Jahr ausgelobt. Der damalige Präsident Kubald brachte das RB-Angebot vor. Die Mitglieder votierten mit 90% der Stimmen dagegen und sammelten Geld. Nach wenigen Wochen hatte man die gleiche Summe zusammen. Sie lag bei der entscheidenden Abstimmung vor.

Wie aber weiter, dachten sich einige findige Lok-Mitglieder. Man dachte hin, man dachte her und gründete am Ende einen Förderverein. Dieser schrieb sich auf die Fahnen, künftig ehrenamtlich Geld für Loks Zukunft zu sammeln, soziale Lok-Projekte ins Leben zu rufen, vorhandene Projekte zu unterstützen und auszubauen, den Verein zu entlasten. Bindeglied sein zwischen Verein und Zivilgesellschaft. Die 10.000 Euro vom Februar 2011 gingen zu großen Teilen an Loks Nachwuchsteams.

Loks Ruf ist nicht der Beste. Es gab in der Vergangenheit Probleme mit einer rechten und gewalttätigen Fan-Klientel. Das fällt dem Förderverein beim "Klinken putzen" immer wieder auf die Füße. Viele Türen werden wieder zugeschlagen, oder man bekommt zu hören: "bei Lok sind doch nur Hooligans und Nazis unterwegs". It's a Long Way to Tipperary. Trotzdem machten die Leute weiter. Es gilt abzuwarten, doch es wächst etwas bei Lok. Zarte Pflanzen sollte man nicht mit dem Spaten bearbeiten.

Verhöhnungen von RB Leipzig gehören wie selbstverständlich zum Sangesrepertoire

Nebenher hat RB Leipzig gut in den Jugendmannschaften Loks gewildert. Der Nachwuchs folgte gern ins Fußballparadies RB. Wer will es der Jugend verübeln? Hier Lok, dass außer schlechtem Ruf und Leidenschaft nichts zu bieten hat. Dort RB mit perfekten Trainingsbedingungen und einer Perspektive nach oben. Allein das neue und großartige Trainingszentrum der Rasenballer bietet Bundesligastandard. Bei Lok ist die Trainingshalle baufällig, um im Winter überhaupt trainieren zu können, müssen Freizeitsporthallen angemietet werden. Auch ein Fall für den Förderverein, wo viele Dinge gebündelt werden. Hüpfburg besorgen, Aufpasser stellen, die Jugend begleiten, Vereinsgefühle stärken. RB hat für solche Fälle die große Brieftasche. RB schickt Werber in die Uni, Freikarten werden flächendeckend in Leipzig verteilt, den Kindern in die Zuckertüten gesteckt. Das zeigt langsam Wirkung. Zuschauertechnisch ist RB in Leipzig inzwischen Krösus. Eine radikale Fanklientel gibt es nicht. Noch nicht. Wenn RB im großen Fußball mitmischt, werden sie lukrativ für Idioten aller Art, die den Fußball für ihre Zwecke missbrauchen.

Lok will heute Kiezverein sein. Eine Gemeinschaft, wo sich die Leute wohlfühlen und von der Verstrahlung des puren Kommerzgedankens verschont bleiben. Nebenher wird Lok sicher langfristig von der perfekten Jugendarbeit RBs profitieren, da nur wenige Talente den Sprung in RBs erste Mannschaft schaffen werden.

RB Leipzig ist für Lok-Fans der Feind. Das schweißt zusammen. Verhöhnungen der Rasenballer gehören inzwischen selbstverständlich zum Sangesrepertoire. Obwohl das Liedgut bei Lok etwas begrenzt erscheint. Immer wieder hört man auf der Tribüne ein langgezogenes LLL-OOO-KKK. Das liegt auch an der Vati-Dichte im Stadion. Der Lok-Fan ist mehrheitlich um die vierzig Jahre alt, ist männlichen Geschlechts und sieht normal aus. Bürger eben. Und mehrheitlich kein wüster Haufen. Die Tribünen-Bourgeois stehen für ein bürgerliches Engagement als Gegenpart zu RB, die sich alles kaufen können.

NOFV-Oberliga Nordost-Süd. Freitagabend, Flutlichtspiel. Lok gegen Erfurt II. Eine traurige Ansetzung, doch ist man bei Lok froh, überhaupt wieder eine kleine Rolle im deutschen Fußball zu spielen. LLL-OOO-KKK jodeln die Fans. Knapp 3000 Zuschauer sind zugegen, fette Beute für den Lokkassierer.

Erste Frage: Wo sind die Hools? Drei Dutzend Muskelprotze mit bösem Blick und unerheblicher Kopfbehaarung stehen rechts unterhalb der Tribüne und machen einen auf dicke Hose. Unangenehmes Volk. Was auffällt, es gibt keine Ultras oder junge Fans, die für Stimmung sorgen. Es soll mal Ultras gegeben haben, die aber von gewalttätigen Idioten aus dem Stadion geboxt wurden. Auch ein Fall für den Förderverein. Im Stadion ertönt als Anfeuerungsinferno rhythmisches Klatschen. Die Vatis wieder. Alles Sportfest oder was? Erscheint gleich Manfred Ewald?

Die Heimspiele trägt Lok im Bruno-Plache-Stadion aus. Sehenswert die alte Holztribüne aus den 30er Jahren des letzten Jahrtausend. Ein ansehnliches architektonisches Modell für eine große Holztribüne in deutschen Fußballstadien der Zeit. Erinnert sehr an alte, englische Tribünen vor den großen Renovierungen. Die Rückwand ist gelbblau bemalt, unterhalb der Tribüne ein großer Stehplatzbereich. Die Tribüne ist oldscoolmäßig mit Teppichbelag ausgelegt. Gleichwohl ein echter Hingucker. Allein die Tribüne lohnt einen Ausflug nach Leipzig. Aber sucht euch ein harmloses Spiel aus. Sicherheitsspiele muss Lok im Zentralstadion austragen. Lok gegen Erfurt II war so ein Spiel. Lok gewann souverän und ist eindeutig ein Kandidat für den Aufstieg in die Regionalliga.

Nach dem Spiel Pressekonferenz im VIP-Raum. Allerdings bezahlt man hier für Speis und Trank. Viele Tische mit Bürgern und Tischdecken. Wieder dieses rhythmische Klatschen. Willy-, Willy-Rufe. Der neue Fußballmessias der Loksche.

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