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„Wenn die Wessis in unserem Stadion jubeln, krieg ich das Kotzen“, echauffiert sich Quiring in einem TV-Interview.

© dpa/ Lukas Schulze

Wenn Union und Hertha aufeinandertreffen: Mal lustig, mal chaotisch und immer emotional

Zum achten Mal spielen die Profiteams um Punkte gegeneinander. Wir blicken auf die bisherigen Duelle zurück: Sieben Spiele, sieben Geschichten zum Derby

Streit ums Stadion: Mitte September 2010 steht das erste Derby an. Da geht es natürlich schon im Vorfeld zur Sache, ein Thema ist schnell gefunden: Dass der Berliner Senat Hertha nach dem Abstieg in die Zweite Liga die Miete für das Olympiastadion gestundet hat, insgesamt etwa 2,5 Millionen Euro, erzürnt Dirk Zingler. Unions Präsident und Werner Gegenbauer, sein Amtskollege bei Hertha, treffen sich vor dem Derby auf Einladung des Tagesspiegels zum Streitgespräch.

Das Thema Stadionmiete wird kontrovers diskutiert. „Jetzt ist aber mal Schluss“, sagt Gegenbauer nach einer Aussage Zinglers. Dieser lacht, woraufhin Gegenbauer kontert: „Da brauchen Sie jetzt gar nicht zu lachen.“ Das Feld ist bereitet für ein Derby voller Emotionen bei allen Beteiligten. Es endet in Köpenick 1:1. Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister und Hertha-Mitglied, spricht von einem gerechten Ergebnis und äußert sich zur von Union angestoßenen Diskussion: „Mal ehrlich, ich fand diese Debatte blöd.“

Freistoß-Held im Forum gefordert: Derby Nummer zwei steigt vier Monate später an einem Samstag im ausverkauften Olympiastadion. Um „13 Uhr morgens“, wie Daniel Rimkus in seinem Lied „Hertha und Schulle“ über die Anstoßzeit in der Zweiten Liga singt. Die Gastgeber führen recht früh durch Roman Hubnik. Was anschließend passiert, verewigt der 1. FC Union später auf T-Shirts („Hier regiert der FCU“). Falls es jemand im rot-weißen Lager vergisst, kann es dort nachgelesen werden.

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Wird aber keiner vergessen. Die Shirts, für 14,95 Euro das Stück, gehen natürlich trotzdem weg wie nichts. „1:1 Mosquera (38.), 1:2 Mattuschka (72.)“ steht dort unter anderem. Dazu die Aufstellung von Union inklusive Einwechslungen, die Namen der Reservisten ohne Einsatz und der Name des Trainers: Uwe Neuhaus. Freistoß-Held Torsten Mattuschka erinnert sich noch lange danach an eine Autogrammstunde im Forum Köpenick: „Mosquera und ich, wir beiden Torschützen haben vier Stunden lang Autogramme gegeben. Vier Stunden! Und die Leute haben sich alle brav und geduldig angestellt und die Erinnerungsshirts vom Derbysieg signieren lassen.“

Quiring findet es zum Kotzen: Hertha verlässt am Saisonende die Zweite Liga nach oben. Kehrt aber nur ein Jahr später zurück, hat daher knapp 19 Monate nach dem 1:2 die Chance zur Revanche und nutzt sie: 2:1 im Stadion An der Alten Försterei, was Herthas Fans im Gästeblock ausgiebig bejubeln. Das wiederum lässt die Stimmung bei Unions Christopher Quiring, der das 1:1 erzielt hatte, tief in den Keller sinken. „Wenn die Wessis in unserem Stadion jubeln, krieg ich das Kotzen“, echauffiert sich Quiring in einem TV-Interview.

Am Tag danach lässt er über die Presseabteilung des Vereins ausrichten: „Ich war direkt nach dem Spiel einfach nur stinksauer und richtig geladen. Es genügt wohl ein Blick auf mein Geburtsdatum, um zu erkennen, dass das nicht politisch gemeint war.“ Quiring wurde Ende November 1990 geboren.

Unions Torsten Mattuschka sorgte im zweiten Aufeinandertreffen für den ersten Sieg im Berlin Derby.
Unions Torsten Mattuschka sorgte im zweiten Aufeinandertreffen für den ersten Sieg im Berlin Derby.

© imago images

Mit Tebe im Kadewe: Das vierte Aufeinandertreffen (Endstand 2:2) findet erneut an einem Montagabend statt, diesmal im Februar 2013. Beide Fanszenen stimmen sich nachmittags in der City West ein. Es gibt eine dritte – deutlich kleinere – Gruppe, die dort ebenfalls vorbeischaut. Elf Anhänger von Tennis Borussia nehmen für eine späte Mittagspause im sechsten Stock des KaDeWe an der Champagnerbar Platz und gönnen sich ein schönes Gläschen Schampus – 0,1 Liter für 9,90 Euro.

Die Fans sehen sich als Derby-Experten, weil ihre Mannschaft in der Berlin-Liga antritt und daher nur gegen Teams aus der eigenen Stadt spielt. Gleichzeitig pflegen sie im KaDeWe das dem Verein, trotz häufig auftauchender finanzieller Probleme, weiterhin anhaftende Image des Klubs der Reichen. Einige Fans tragen passend dazu Shirts mit der Aufschrift „Schnösel West-Berlin“.

Chaos in Köpenick: 2019 spielen Union und Hertha in der Bundesliga. Selbstredend mit noch ein bisschen mehr Bohei im Vorfeld des direkten Duells. Dieses Vorfeld beginn gleich nach Unions Aufstieg im Mai. Hertha gratuliert via Twitter, freut sich auf erstklassige Derbys und „sechs Punkte“. Unions Präsident Zingler ruft im Sommer den „Klassenkampf“ aus. Hertha schlägt dann vor, das Derby doch am Tag des Mauerfalls auszutragen, Union lehnt ab.

Am 2. November wird endlich gespielt. Es gibt reichlich Pyrotechnik, Raketen fliegen auf den Rasen, die Partie wird unterbrochen. Union gewinnt durch ein Elfmetertor von Sebastian Polter in der Schlussphase 1:0. Torwart Rafal Gikiewicz drängt nach Abpfiff Fans zurück, die in Richtung des Gästeblocks stürmen wollen.

Hertha BSC ließ in der Woche vor dem ersten Derby der laufenden Saison nachts in ganz Berlin 60.000 Fahnen verteilen.
Hertha BSC ließ in der Woche vor dem ersten Derby der laufenden Saison nachts in ganz Berlin 60.000 Fahnen verteilen.

© imago images/Nordphoto

Ruhe im Rückspiel: So aufgeladen das erste Berliner Derby in der Bundesliga nach mehr als 42 Jahren ist, so ruhig geht es beim zweiten zu. Das Coronavirus ist da. Acht Tage vor dem eigentlichen Austragungstermin wird die Liga unterbrochen. Statt am 21. März wird schließlich am 22. Mai gespielt, aber kein Fan darf dabei sein. Hertha gewinnt 4:0, nachdem es zur Pause noch 0:0 geheißen hatte.

„Geistreicher Stadtmeister“ titelt diese Zeitung. Die Spieler springen nach dem Abpfiff über die Werbebanden, laufen in die Ostkurve und machen die Welle. Hinter ihnen steht Trainer Bruno Labbadia und klatscht. Vor ihnen steht – niemand.

Fahnenmeer begeistert Fanszene: Auf einmal ist die Stadt blau-weiß. Hertha lässt in der Woche vor dem ersten Derby der laufenden Saison (Endstand 3:1 für Hertha, wieder ohne Zuschauer) nachts in ganz Berlin 60.000 Fahnen verteilen. Die Aktion passt zu einer Kampagne mit dem Motto „Wo die Fahnen blau-weiß weh'n“. Die Resonanz auf das Fahnenmeer ist ganz überwiegend positiv, heißt es von Vereinsseite.

Vor allem die eigenen Fans sind begeistert, was wahrlich nicht von jeder Marketingaktion behauptet werden kann. Die Politik ist weniger angetan. „Wenn wir bei Hertha nichts machen, kommt nächste Woche vielleicht Coca-Cola und will seinen Weihnachtstruck aufstellen“, sagt Arne Herz (CDU), Charlottenburg-Wilmersdorfs Stadtrat für Ordnungsangelegenheiten, zu der nicht genehmigten Aktion. Ein Ordnungswidrigkeitsverfahren folgt.

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