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Zuschauermagnet. Als der Katari Mutaz Essa Barshim Weltmeister wurde, waren plötzlich alle da.

© Andrej Isakovic/AFP

Wenig Zuschauer in Doha: Der gekaufte Jubel bei der Leichtathletik-WM

Weil so wenig Zuschauer zu den Wettkämpf kommen, werden Organisatoren bei der Leichtathletik-WM in Doha kreativ. An den Preisen kann es nicht liegen.

Es geht doch. Am Freitag, der in der gesamten Golfregion für die meisten ein freier Tag ist, war das Khalifa-Stadion in Doha erstmals während der Leichtathletik-Weltmeisterschaften nahezu komplett gefüllt. Der Hauptgrund dafür war das Hochsprungfinale mit Nationalheld Mutaz Essa Barshim, der unter den Augen des Emirs Sheik Tamin bin Hamad al Thani etwas überraschend seinen Titel von London verteidigen konnte. Dass etwas Besonderes an diesem Abend anstand, merkte man direkt vor dem sonst hermetisch abgeriegelten Zugangsbereich zu den einzelnen Blöcken.

Bis wenige Meter davor parkten reihenweise Luxus-Karossen aus britischer Produktion. Sie brachten viele Zuschauer, und so war die Atmosphäre erstmals bestens. Zuvor wurde ja vielfach kritisiert, dass die Wettkämpfe vor leeren Rängen stattgefunden haben. Dabei war die Kapazität des Stadion zu Beginn der Titelkämpfe schon von 40.000 auf 20.000 Plätze reduziert worden, indem bunte Banner auf den oberen Rängen angebracht wurden.

Am Freitag aber wurde jeder Sprung des 28-jährigen katarischen Hochspringers frenetisch bejubelt und mit Gesängen begleitet. Die Zuschauer aus dem Emirat fieberten aufgeregt mit und beschäftigten sich während des Wettkampfes ausnahmsweise einmal nicht mit ihren Smartphones. 

Dass zu einem Wettkampf auch eine Siegerehrung gehört, hatte sich ins leichtathletische Entwicklungsland Katar jedoch noch nicht herumgesprochen. Unmittelbar nach dem Hochsprung leerte sich das Stadion nahezu komplett. Die drei Medaillengewinner Barshim, Michail Akimenko und Ilja Iwanjuk standen etwas verloren auf ihrem Podium, blickten in ein leeres Rund – und es passierte nichts. Anscheinend waren Teile der Lautsprecheranlage ausgefallen, sodass die Organisatoren das peinliche Szenario nach knapp fünf Minuten abbrachen und die Protagonisten wieder in die Katakomben schickten.

Diese Situation kann sehr wohl als Symbolbild herhalten: Im Rückblick auf die zehn Wettkampftage kann das Zuschauerinteresse wohlwollend als sehr überschaubar und die Stimmung eher als unterkühlt beschrieben werden. Das 100-Meter-Finale, sonst einer der Höhepunkte jeder WM, wollten lediglich 10.000 Besucher sehen. Die Frauen ermittelten ihre Sprintkönigin vor geschätzt 3000 Zuschauern. Da sind fast deutsche Jugendmeisterschaften besser besucht.

An den Eintrittspreisen kann es nicht liegen. Diese beginnen bei ungefähr 15 Euro für eine Karte, die Tickets der hochklassigen Kategorie „Folge deinem Champion“ sind für rund 35 Euro zu haben. Lediglich ein paar größere Gruppen aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Schweden, die ihre Stars bei fast allen Titelkämpfen begleiten, lassen sich an den aufgehängten Fahnen im Stadion ausmachen.

Afrikanische Gastarbeiter sorgen für Stimmung

Woran das mangelnde Interesse im Emirat liegt, ist schwer nachvollziehbar. Am schlechten Ruf des Gastgeberlandes in Bezug auf die Ausbeutung von Gastarbeitern, die kaum vorhandenen Rechte für Minderheiten oder die nicht so transparente Handhabung bei der Vergabe von Sportveranstaltungen? Hinzu kommt die seit Jahren anhaltende politische Isolation in der Golfregion, sodass es auch aus den Nachbarstaaten so gut wie keine Gäste den Weg nach Doha fanden. 

An den sehr trostlosen ersten Tagen der WM waren es in erster Linie die Gastarbeiter aus den afrikanischen Ländern Kenia und Äthiopien, die beäugt von reichlich Security-Personal, für Stimmung sorgten, als ihre Idole auf den Mittel- und Langstrecken um den Einzug in die jeweiligen Finalläufe kämpften. Die örtlichen Ausrichter reagierten prompt und füllten einen Teil der leeren Plätze mit zivil gekleideten Kräften der Armee oder angeblich auch für ihren Besuch bezahlten Arbeitern auf. Deren Anwesenheit fiel sofort auf, jubelten sie doch nahezu durchgehend. Egal, ob ein Sprung beziehungsweise Wurf gültig war oder nicht. 

Leere Ränge. Vor der geplanten Siegerehrung der Hochspringer war das Stadion schon leer.
Leere Ränge. Vor der geplanten Siegerehrung der Hochspringer war das Stadion schon leer.

© Mike Egerton/dpa

Sicherlich ist es ein vertretbares Vorhaben, Leichtathletik als die olympische Kernsportart auch in Regionen populär zu machen, in denen andere Sportarten wie Kamelrennen, Langdistanzreiten oder Falkenjagd viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Disziplinen wie Dreisprung, Hammerwurf oder Stabhochsprung sind für Einheimische nahezu unbekannt. Da passt es ins Bild, dass ein Zuschauer bei der Einlasskontrolle fragte, ob es denn jeden Abend ein Finale über 100 Meter gibt.

Ob die WM-Vergabe an Katar, sie erfolgte noch der Amtszeit des mittlerweile in Frankreich unter Hausarrest stehenden Präsidenten des Weltverbandes, Lamine Diack, Werbung für die Leichtathletik war, wird sich in Zukunft zeigen. Diacks Nachfolger Sebastian Coe kann sich durchaus vorstellen, in Zukunft eine WM an Länder wie Jamaika, Kenia oder Äthiopien zu vergeben.

Jens Priedemuth

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