zum Hauptinhalt
Großbritannien gegen Slowakei bei der ersten Tischfußball-WM des ITSF in Hamburg 2006.

© Imago

Weltbeste Kicker-Spieler treten in Berlin an: Tischfußball: Von der Kneipe zur WM

Kickern kennen viele nur aus der Kneipe. An diesem Wochenende findet die WCS, eine Tischfußball-WM, in Berlin statt. Das Spiel will endlich als Sport anerkannt werden und boomen wie Darts, Poker oder Snooker.

Die Abkürzung FKK steht, unter anderem, für Friedrichshainer Kicker-Kultur. Es ist eine von vielen verrauchten Berliner Bars, aber im Hinterzimmer übertönen Klackgeräusche die Rockmusik. Menschen stehen um Tische, ziehen und kurbeln an Stangen, Plastikmännchen wirbeln gegen winzige Bälle, Jubel, Flüche, ein Tischfußball-Turnier, wie es viele gibt. Doch zwei Spieler stechen heraus. Nicht äußerlich: beide um die 30, T-Shirt und Pulli, wie die meisten hier, aber sie spielen anders. Sie lächeln, aber ihre Augen analysieren gebannt jede winzige Bewegung, der Ball pendelt endlos zwischen den Reihen und auf einmal, ansatzlos, knallt er ins Tor, schneller und lauter, als der Zuschauer nachvollziehen kann.

Schütze Oke Harms ist aktueller Kicker-Nationalspieler, Gegenspieler Johannes Kirsch zweifacher Deutscher Tischfußball-Meister. Wäre jetzt schon Weltmeisterschaft, dann hätten sie sich wohl Golfhandschuhe übergestreift, Bänder um die Griffe gewickelt oder gleich eigene mitgebracht, für den perfekten Halt, das perfekte Spiel. Aber sie stimmen sich hier nur ein auf die WM am Wochenende in Berlin. „Das hier ist Spaß“, sagt Harms mit einem Bier in der Hand, „Turniere wie das WCS sind richtiger Sport.“

Von diesem Freitag bis Sonntag findet in Berlin die World Championship Series (WCS) statt. Etwa 600 Spieler werden an 100 Tischen im Hotel Moa in Moabit um mehrere WM-Titel spielen. Nach der Eröffnungszeremonie am Freitag um 16 Uhr beginnen die Wettbewerbe der Nationalteams, am Sonntag gibt es die Einzel-Finals. Auf der Tribüne werden etwa 500 Zuschauer erwartet, der Eintritt ist frei, unter www.kozoom.com werden die acht besten Tische übertragen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Was für viele nur ein Zeitvertreib in Bars, WGs oder Jugendherbergen ist, nehmen diese Spieler sehr ernst. Sie kämpfen für die Anerkennung als Sportart, darum, Profis zu werden. Raus aus der Kneipe, bis hin zu Olympia, sozusagen. Dabei plagt sich der Tischfußball mit Problemen, auf die viele angehende Sportarten treffen, aber auch mit hausgemachten Streits. Und der Frage: Ab wann wird ein Spiel ein Sport?

"Kickern will sich von der Kneipe distanzieren"

Millionen Deutsche haben irgendwann schon einmal gekickert, wohl nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Freizeitspieler. „Aber es gibt zwei Arten von Leuten“, sagt Johannes Kirsch, deutscher Tischfußballmeister 2006 und 2008. „Die einen sind nach Niederlagen frustriert, auch von der Arroganz des Gegenübers, und geben auf. Die anderen sagen: Das will ich auch lernen.“ Solche Leute treten oft einem Verein bei. Denn ab einem gewissen Niveau wird Kickern sehr komplex.

Harms und Kirsch führen am Tisch ihre Tricks vor. Wie den Pinshot, bei dem die Figur den Ball erst eingeklemmt, bevor sie schießt. Oder den Jet, eine Art 360-Grad-Fallrückzieher. Fast 60 Stundenkilometer schnell kann der Ball werden, aber das sparen sich die Profis bei Turnieren meist, um kein unnötiges Risiko einzugehen, auch gesundheitlich.

Viele Spieler bekommen Rückenprobleme, Kirsch musste seine aktive Karriere wegen Handgelenkschmerzen beenden. Aber er kann als einer von ganz wenigen von Tischfußball leben. Doch nur, weil er seine eigene Agentur betreibt, die Tische vertreibt, die Weltmeisterin Lilly Andres vermarktet und für Firmen Kickerevents veranstaltet, aber auch das WCS-Turnier sponsert und organisiert.

Kirsch sieht sich um und entschuldigt sich erst einmal für die verranzte Bar. „Kickern will sich eigentlich von der Kneipe distanzieren“, sagt der 32-Jährige. Es gebe mittlerweile offizielle Leistungszentren, kindergerecht, ohne Rauch und Bier. Kirsch betont wie viele Spieler, dass Tischfußball schon als Sport anerkannt sei. Das stimmt nur halb. Die Kickervereine erklagten 2010, dass der Bundesfinanzminister sie als gemeinnützig anerkennt und nicht mehr auf eine Stufe stellt mit Skat oder Tipp-Kick. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat aber eigene Kriterien und die zählen, wenn man an Olympischen Spielen teilnehmen oder staatliches Fördergeld will. Das Hauptkriterium des DOSB für Sport, „motorische Aktivität“, erfüllt Kickern sogar. Andere Kriterien wie 10 000 Mitglieder sind schwieriger. Vor allem, da Tischfußball intern zersplittert ist und für Außenstehende schwer zu überblicken.

Warum Kickern wie Darts, Poker oder Snooker explodieren könnte.

Großbritannien gegen Slowakei bei der ersten Tischfußball-WM des ITSF in Hamburg 2006.
Großbritannien gegen Slowakei bei der ersten Tischfußball-WM des ITSF in Hamburg 2006.

© Imago

Es gibt einmal den Deutschen Tischfußball-Bund. Der DTFB hat etwa 7000 Aktive, führt unter seinem Dach Kreis- bis Bundesliga, organisiert Ranglistenturniere und ist Mitglied im Weltverband ITSF. Im Prinzip wie bei DFB und Fifa im großen Fußball. Aber es gibt eine zweite große Kicker-Organisation in Deutschland mit etwa 6500 Mitgliedern: Players 4 Players (P4P) organisiert eigene Turniere in Deutschland und vergibt parallel eigene Meister- und WM-Titel. Kickerspieler können an beiden Formaten teilnehmen und so eine ganze Menge Pokale sammeln. Viele Spieler fürchten aber, bald nicht mehr die Wahl zwischen zwei zerstrittenen Veranstaltern zu haben. „Wir müssen weg von diesem Sammelsurium an Titeln, das ist unseriös“, fordert etwa DTFB-Präsident Klaus Gottesleben allgemein.

Die Zersplitterung hat historische Gründe. Früher organisierte jeder Hersteller eigene Turniere, um den Verkauf seiner Tische anzukurbeln. Jedes Land hatte seinen eigenen Lieblingstisch. Der Weltverband ITSF versucht, dieses Durcheinander zu vereinheitlichen und erkennt offiziell fünf Turniertische an, die ziemlich unterschiedlich gebaut sind. US-Hersteller Tornado etwa setzt auf drei Torhüter, Galando auf eine Glasplatte über dem Tisch. Kickerspieler vergleichen es mit Tennisbelag: Der eine spielt lieber auf Sand, der andere auf Rasen.

In Deutschland ist die Marke Leonhart verbreitet, an diesen Tischen wird beim WCS-Turnier in Berlin gespielt. Die Sieger gelten in Fachkreisen als Weltmeister dieser Variante. Sie qualifizieren sich für die Multi-Tisch-WM mit allen fünf Modellen, die nächste ist 2017 in Hamburg. Es gibt aber viele Titel, für Einzel, Doppel, Anfänger, Profis, Junioren, Frauen, Senioren. Es laufen also ziemlich viele Weltmeister herum. Frédéric Collignon, der jahrelang alle fünf Tische dominierte und in Berlin nochmal antritt, hat über 100 WM-Titel gewonnen. Mehr als er zählen kann. Besäße der Belgier nicht ein Autohaus, könnte er auch vom Preisgeld leben. Fast alle haben normale Berufe.

In Luxemburg wird Kickern gefördert, in der Türkei ist es als Glücksspiel verboten

Kickerspieler beklagen, dass der DTFB zwar Strukturen aufbaue, aber das Preisgeld kaum reiche, damit Teilnehmer ihre Anfahrtskosten hereinspielen. Bei P4P sind die Siegprämien deutlich höher, dafür ist dort Jugendarbeit egal. Es ist die alte Grundsatzfrage beim Aufbau einer Sportart: Will man den Breitensport fördern, seriös wirken, aber amateurhaft bleiben? Oder Profis auf bestmöglichen Niveau, die von ihrem Sport auch leben können? Luxemburg fördert Kickern sogar schon als Sport, die Türkei hat es dagegen als Glücksspiel verboten

Darts, Snooker und Poker haben es vorgemacht, sind von Kneipensport zum Fernsehsport geworden. Johannes Kirsch glaubt an eine große Zukunft für seinen Sport. „Sobald die Medien aufmerksam werden, ein Fernsehsender die Turniere überträgt und große Sponsoren kommen, kann Tischfußball explodieren“, sagt der Agenturbetreiber.

Der Sport hat seinen Reiz, aber der ist für das ungeübte Auge schwer zu erkennen. Kickern gleicht mehr Tennis als Fußball: Es geht um Schlagvariationen, um Finten und Laufwege, darum, die Konzentration zu halten und den Gegner einzuschätzen. „Ab einem gewissen Niveau ist es ein Mind Game“, schwärmt Gregor Scheibler. Der Welt- oder Europameister, je nachdem, wer es anerkennt, sitzt an der Theke des FKK vor seinem Weizenglas. Nationalspieler Harms raucht daneben. Sie haben Spielpause und sinnieren über die Zukunft ihres Spiels, das immer professioneller wird. Fußballklubs wie Hannover 96 und der Hamburger SV finanzieren nun eigene Tischfußball-Abteilungen, aus den Leistungszentren rücken neue Talente nach, die bald dominieren könnten. Noch aber ist Tischfußball ein Sport, bei dem sich Weltmeister und Nationalspieler in der Kneipe treffen.

Der eine Verband will die Jugend fördern, der andere Profitum mit höherem Preisgeld ermöglichen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false