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Feuer und Flamme. Begegnungen mit russischen Fußballfans können heiß enden.

© picture alliance/Tolga Bozoglu

Vor der WM 2018: Russlands professionelle Hooligans und ihre Nazi-Vorlieben

Rechts offen, Gewalt suchend: Vor der WM beherrschen in Russland noch immer Hooligans die Fankurven. Doch es gibt auch Widerstand.

Als es in Rom eskalierte, gab es für Robert Ustian keinen Weg zurück mehr. „Ich hatte schlaflose Nächte“, sagt der 34 Jahre alte Russe. Die Bilder vom Champions-League-Spiel seines Vereins, des ZSKA Moskau, gegen AS Rom erschütterten den damaligen Politikstudenten. Dabei schockte ihn nicht die 1:5-Pleite seines Klubs, den er „den Grundstein für mein Glück“ nennt. Es war das, was nach dem Spiel passierte.

Die wütenden Fans, die Raketen zündeten. Die Gewalt gegen die römische Polizei. Die vor den Sicherheitskräften posierenden Männer, Bierbauch über Gürtel schwappend, die schwarzen Tücher, aus denen grollende Augen hervorblitzten. Und die Flaschen, Messer, Raketen, die sie gegen Polizisten und Rom-Fans einsetzten.

Am Ende landeten zwei seiner Fankollegen mit Stichverletzungen im Krankenhaus. Und Robert Ustian wusste, dass er etwas tun musste. Er rief Freunde an, besprach die Situation. Sie waren ebenso geschockt über die Ausschreitungen. „Es gab eine große stille Mehrheit im Block, die keine Gewalt wollte“, sagt Ustian. Aber er gibt auch zu: „Es gab Zeiten, da waren in Russland die Wörter ,Fan‘ und ,Hooligan‘ fast synonym.“

Das gilt nicht nur für Russland: Gewalttätige Eskalationen wie die in Rom und vor allem die Straßenschlachten in Marseille während der EM 2016 in Frankreich prägen das Image der russischen Fans. Die Welt zu Gast bei Freunden? Schaut man sich die Bilder von den Eskalationen in Frankreich an, kommen einem Zweifel, ob die Vergabe der WM an Russland so eine gute Idee war.

Eine offen rechte Fanszene, die an Spieltagen innerhalb und außerhalb des Stadions martialische Kampfrituale zelebriert, prägt in vielen russischen Stadien die Fankurven. In Deutschland hat sich die Hooligan-Szene seit den Nullerjahren einerseits aus Altersgründen zurückgezogen und wurde zudem mal mehr, mal weniger von den jüngeren Ultras ersetzt. Warum ist das Hooligantum in Russland immer noch so attraktiv? Und welche Rolle werden russische gewaltsuchende Fans bei der WM in Russland spielen?

Ein Besuch im Stadion: Wer beim Halt „Spartak“ aus der U-Bahn steigt, kann einen Schock bekommen. Dezente Lichtpaneele tauchen die Station in kühles Licht und spiegeln sich auf den Hochglanz-Bodenfliesen. Abstrakte Grafiken in Primärfarben schmücken die Wände, als hätte jemand das Bild einer Wärmebildkamera auf die Wände übertragen um die Besucher des Montagabendspiels Spartak Moskau gegen Grosny auszuleuchten. Beim Verlassen der Metro erhebt sich das Stadion aus dem Abendhimmel, nagelneu und rot-weiß glänzend. In der Schlange vor der Sicherheitskontrolle stehen Fans in Camouflagehosen und -kappen zu ihren rot-weißen Schals.

Spartak Moskau genießt nicht den besten Ruf

Spartak Moskau ist ein Arbeiterverein. Die umliegenden Plattenbauten liegen ein gutes Stück außerhalb des Innenstadtrings. Mit dem zarenhaften und pompösen Moskau des Innenstadtrings hat das Viertel wenig zu tun.  Dementsprechend wenig sind die Leute hier an Ausländer gewöhnt. Die camouflierten Fans schauen irritiert bis aggressiv in Richtung der Englischsprechenden herüber, als ob eine lästige Mücke sie durch ihr Summen irritierte. Man merkt: Dies ist kein Bundesliga-Spiel, das Eventfans anlockt.

Roman Kulguskin spricht unbeirrt weiter. Er weiß, dass sein Verein nicht den besten Ruf genießt und dass er vielen hier ein Dorn im Auge ist. „Kusmitsch“ nennen sie ihn und seine Freunde, abgeleitet vom russischen Wort für Sonnenblumenkerne „semetschki“. So bezeichnen Hooligans und Ultras solche, die sie nicht als echte Fanatiker betrachten, Freizeitfans also, die beim Spiel Sonnenblumenkerne essen und die Schalen ausspucken, anstatt zu leiden und mitzusingen.

Die Lieder bei Spartak handeln davon, Gott und dem Vaterland treu zu sein, übersetzt Kulguskin und blickt hinab auf die untersten Ränge, wo die Hooligans und Ultras stehen und die Fahnen schwenken. Etwa 400 bis 500 extrem gewaltbereite Fans soll es bei Spartak insgesamt geben, davon verhalfen etwa 200 dem Klub im Februar 2018 zu trauriger Berühmtheit. Bei einem Europa-League-Spiel in Bilbao verletzten sie einen Polizisten tödlich.

Kulguskin war vor Ort und sagt: „Einfach so hätten sie kaum einen Kampf angefangen“, sagt er. „Die Polizei stand einfach da und tat nichts.“ Bedingungslose Loyalität und Verteidigung des Klubs und seiner Fans gegen Kritik von außen, selbst, wenn die gerechtfertigt ist – das ist typisch, auch bei deutschen Ultras.

Kulguskin trifft dabei aber nicht immer auf die gleiche Unterstützung. Auf einer Auswärtsfahrt nach Samara griffen ihn die Fans seiner eigenen Mannschaft an – der 32-Jährige sah wohl nach einem leichten Ziel aus, mit seiner Brille, dem sanften Gesicht und der Outdoorjacke.

"Putin ist ein guter Grund, im Ausland zu leben"

Offene Unterstützung für linke Ideen ist verpönt in der Kurve. „Ich habe meine Freunde, die ähnlich denken wie ich“, sagt Kulguskin. „Aber wir könnten niemals offen mit T-Shirts oder einem Banner in der Kurve stehen.“ Er schaut auf sein Handy und zeigt auf die Hülle. „Putin is good“, steht da über dem Gesicht des russischen Präsidenten. Liest man die kleiner gedruckten Wörter zwischen den Zeilen, ergibt sich der Satz: „Putin is a good reason to live abroad.“ Putin ist ein guter Grund, im Ausland zu leben.

Roman Kulguskin liebt seinen Verein, aber er weiß: Es hätte auch ein anderer Klub sein können, zu dem ihn seine Freunde während seiner Studienzeit in Sankt Petersburg mitnahmen. Er ist Fotograf und Journalist, porträtierte blinde Fans und lädt zum IPA vor dem Spiel in eine Hipsterbar mit Craft Beer und zutätowierten Bartenderinnen ein.

Deswegen passt Spartak zu ihm, denn innerhalb Moskaus gilt immer noch eine strenge Aufteilung: Zu Spartak gingen früher die „einfachen Leute“, zu ZSKA die Armeeangehörigen, zu Dynamo die Polizisten und zu Lokomotive die Eisenbahner. Kurz: ZSKA und Dynamo galten als Apparatschiks, als Bonzen, die Rivalität zwischen Spartak und Dynamo ist legendär und Spiele zwischen den Mannschaften sind der Clásico der russischen Premjer-Liga, bei denen es regelmäßig zu Ausschreitungen kommt.

Auch wenn die Mehrheit der russischen Fans keine Hooligans sind – sie vermögen es trotzdem, die Stimmung in der Kurve zu gestalten und Fans mit linker politischer Haltung einzuschüchtern. An diesem Abend stehen mit Zé Luis, Adriano und Promes drei schwarze Spieler auf dem Spielfeld. Die Zeit der Affenrufe gegen dunkelhäutige Spieler ist zwar vorbei, aber der Hang zu rechtem Gedankengut und zu extremer Gewalt ist im russischen Fußball noch längst nicht passé.

Während man im deutschen Fußball der Achtzigerjahre etwa auf dem Stand war, auf dem der russische Fußball heute ist – kleine Fanszenen, aktive und gewaltbereite Hooligans, teilweise offener Rassismus –, unterscheiden sich die Szenen in Deutschland und Russland nun deutlich.

Wie Fanforscher Robert Claus in seiner Szenestudie „Hooligans“ schreibt, ist in Russland eine neue Generation an Hooligans herangewachsen. Während in Deutschland die auf Choreographie und Kreativität ausgelegte Ultra-Szene die Alt-Hools um die Jahrtausendwende vielerorts fast verdrängte, absorbierte die russische Hooliganszene die Ultras.

Ein entscheidender Faktor war das Machtvakuum im postsowjetischen Russland in den Neunziger Jahren. Frustration und Orientierungslosigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sowie ein abwesender Staat trieben frustrierte Männer – und zu einem kleinen Teil auch Frauen – in die Stadien und auf die sogenannten Äcker, die Kampfplätze außerhalb des Stadions.

Teil einer neuen Generation

Denn den Hooligans geht es kaum noch darum, was auf dem Feld passiert. Entgegen dem Klischee vom zügellosen Hooligan sind die russischen Hools äußerst professionell. Viele praktizieren Kampfsport, meist Mixed Martial Arts (MMA), das hierzulande wegen der grausamen Kampfverläufe in der Kritik steht; sie trinken keinen Alkohol und ernähren sich teilweise sogar vegan; und häufig kokettieren sie – paradoxerweise – mit Nazi-Symbolen, wie etwa die ZSKA-Fans in Rom, die Symbole der Waffen-SS zeigten.

Was die Russen an der Nazi-Ideologie fasziniert, ist das Bild des starken Mannes, die Selbstermächtigung, das Gefühl von Überlegenheit, wenn sie im Gleichschritt auf einem Feld aufeinanderzumarschieren, um sich dann für einige Minuten zu prügeln und sich danach die Hände zu geben, wie etwa in einem Video eines Kampfes zwischen einer Fangruppe aus St. Petersburg gegen die Dynamo-Moskau-Hooligans.

Solche Szenen könnte es auch während der WM geben: Auf Youtube sind Videos zu sehen, in denen sich russische und deutsche Hooligans gemeinsam auf die WM vorbereiten. Kämpfe auf Äckern und in Waldstücken sind also schon lange geplant.

Fan-Experten, der DFB und der Weltverband Fifa beharren allerdings darauf, dass es zu Ausschreitungen wie in Marseille in Russland nicht kommen werde. Aus zwei Gründen: Erstens benötigen Zuschauer eine Fan-ID, die gleichzeitig als Visum für Russland gilt. Bekannte Hooligans, die in der Kartei „Gewalttäter Sport“ verzeichnet sind, dürfen gar nicht erst einreisen.

Außerdem verweigern die russischen Sicherheitsbehörden den eigenen Hooligans entweder die Fan-ID oder statten den gewaltbereiten Fans sogar Hausbesuche ab. Falls doch ausländische Hooligans ins Land kommen sollten, ist es wahrscheinlicher, dass sie sich fernab der Städte zu Kämpfen treffen.

Robert Ustian will das Problem anders angehen als durch Druck von oben: Nach der Eskalation von Rom gründete er die erste und bisher einzige antirassistische Faninitiative Russlands. Aus der stillen Mehrheit sollte eine sichtbare werden. Er bekam die Unterstützung des Vereins, der sich seither in den sozialen Medien gegen Rassismus ausspricht. Doch wie wirksam ist dieses Aufbäumen?

Kulguskin und Ustian sind Teil einer neuen Generation, die liberal denkt und international vernetzt ist. Ustian studierte am American College in Istanbul und holte sich Inspiration zum Thema Fanarbeit beim Berliner Verein „Ostkurve“. Kulguskin liebt den Zweitligisten 1. FC Union Berlin. Ustians Initiative klärt über rechte Symbole auf, deren Bedeutung viele Fans gar nicht verstehen. Aber können sie Präsenz in der Kurve zeigen? „Wir können uns dort nicht als geschlossene Gruppe zeigen“, gibt er zu, bevor er zu seinem Job bei einer Bank zurückkehrt. „Das würde körperlichen Schaden für uns bedeuten.“

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