zum Hauptinhalt
Querdenkerin. Megan Rapinoe macht nicht nur sportlich auf sich aufmerksam.

© Lionel Bonaventure/AFP

Vor dem Finale der Frauen-WM: Megan Rapinoe ist Heldin und Feindbild zugleich

Die lesbische Ikone Megan Rapinoe steht stellvertretend für die gespaltene Gesellschaft in den USA. Jetzt will sie in Frankreich den WM-Titel holen.

Von

Ein paar Minuten nach Spielende treten die Heldinnen vor die Kameras und Mikrofone. Torhüterin Alyssa Naeher, die einen Elfmeter gehalten hat. Stürmerin Alex Morgan, die Siegtorschützin. In den Katakomben des Stadions von Lyon drängen Reporterinnen und Reporter an die beiden US-Fußballerinnen heran, die mit ihrem Team gerade England 2:1 besiegt haben und ins Finale der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen eingezogen sind. Morgan, Kapitänin der Mannschaft, lächelt viel. Naeher blickt so konzentriert, als müsse sie noch mal einen Elfmeter parieren.

Dann kommt Megan Rapinoe in die Interviewzone, das Reporterknäuel verdichtet sich noch einmal. Kühl und fast ausdruckslos blickt Rapinoe umher, keine Schweißperlen auf der Stirn und im pink gefärbten Haarschopf, keine grasbefleckte Hose. Ihre Antworten, die in den vergangenen Wochen für so viel Aufregung gesorgt haben, diesmal bleiben sie kurz. Toll habe das Team gespielt, großartig sei der Finaleinzug. Doch die starre Mimik passt nicht zu den Worten. Rapinoe nimmt das Ergebnis des Spiels eher freudlos zur Kenntnis, wegen Problemen am rechten Oberschenkel hat sie nicht mitspielen können. Ersatzspielerin, das passt nicht zu Megan Rapinoes Mission.

Und eine Antwort, auf die alle warten, steht ja noch aus. Die entscheidende Frage nach dem Halbfinale: Wird Megan Rapinoe im Endspiel am Sonntag in Lyon gegen die Niederlande (17 Uhr, live in der ARD) mitwirken? „Ich denke, dass ich am Sonntag bereit sein werde“, sagt Rapinoe. Bereit für das Spiel, bereit für die Aufmerksamkeit. Bereit für alles, was danach auf sie zukommt.

Megan Rapinoe, gerade 34 Jahre alt geworden, knapp 1,70 Meter groß, Tochter einer eher konservativen Familie aus Nordkalifornien mit fünf Geschwistern, trägt seit 2006 das Trikot der US-Nationalmannschaft. Das Finale wird ihr 151. Länderspiel sein, die Mittelfeldspielerin war schon Weltmeisterin und Olympiasiegerin, sie macht Werbung für Nike und Visa. Doch erst bei dieser WM ist sie weltweit bekannt geworden. Und zu einem Symbol dafür, wie stark die Gesellschaft in ihrer Heimat gespalten ist.

Rapinoe will nichts mit Trump zu tun haben

Vor dem Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich verbreitete ein US-Fußballmagazin einen Clip, in dem Rapinoe gefragt wird, ob sie sich darauf freue, nach dem möglichen Gewinn des WM-Titels von Präsident Donald Trump ins Weiße Haus eingeladen zu werden, wie es Tradition ist für siegreiche Teams. Ihre Antwort, mit gerunzelter Stirn: „I’m not going to the fucking White House.“ So gerne sich der US-Präsident mit Topathleten wie dem Golfer Tiger Woods schmückt, so empfindlich reagiert er, wenn Stars ihn kritisieren. Trump pampte via Twitter zurück: „Sie sollte nicht respektlos gegenüber unserem Land, dem Weißen Haus oder unserer Flagge sein“ und „erst mal GEWINNEN, dann REDEN.“

Das tat Rapinoe dann auch, und wie. Bereits im Achtelfinale gegen Spanien hatte sie beide Tore für ihr Team erzielt, in einem fulminanten Viertelfinale gegen Frankreich erzielte sie wieder beide Treffer zum 2:1-Sieg. Ihre Tore feierte sie an der Eckfahne, mit durchgedrücktem Rücken, die Arme weit ausgebreitet, ein selbstbewusstes Lächeln im Gesicht. Die Geste schien auszudrücken: Schaut mich an, hier bin ich, ob euch das gefällt oder nicht. „Captain America“, betitelte die „Washington Post“ das Foto des Jubels, das über Nacht zu einer Ikone wurde.

„C’est magnifique, ce soir“, ein großartiger Abend, hauchte Rapinoe nach dem Sieg ins Mikrofon. Auf Französisch, sie hat ein Jahr als Profi in Lyon gespielt. Das Spiel mit den Medien beherrscht sie kaum schlechter als das auf dem Rasen.

Statement. Megan Rapinoe erhält von den US-amerikanischen Fans viel Zuspruch.
Statement. Megan Rapinoe erhält von den US-amerikanischen Fans viel Zuspruch.

© Benoit Tessier/Reuters

Wenn am Sonntag die Hymne der USA im Stadion von Lyon erklingt, wird Rapinoe nicht wie ihre Mitspielerinnen eine Hand aufs Herz legen, sondern die Arme hinter dem Rücken verstecken. 2016 kniete sie vor Länderspielen sogar nieder, aus Solidarität mit dem Football-Star Colin Kaepernick, der mit derselben Geste gegen Diskriminierung protestierte und später von Trump dafür beschimpft wurde. Auch andere US-Sportler schlossen sich Kaepernick an und haben Trump in der Vergangenheit kritisiert. Basketball-Superstar LeBron James kommentierte einen Tweet des Präsidenten mit „U bum“, du Penner. Und gerade erst weigerten sich der Trainer und die halbe Mannschaft des Baseball-Champions Boston Red Sox, am Meisterschaftsempfang im Weißen Haus teilzunehmen. Grund war Trumps herablassendes Verhalten gegenüber Puerto Rico nach dem verheerenden Hurrikan Maria.

Und dennoch: Die Auseinandersetzung zwischen Rapinoe und Trump hat eine neue Dimension. Schon deshalb, weil hier ein US-Präsident eine amerikanische Sportlerin persönlich angreift, während diese ihr Land bei einem internationalen Turnier repräsentiert. Allerdings hält sich Rapinoe auch wenig zurück, sie nennt Trump einen „Sexisten“ und „Rassisten“, bezeichnet sich selbst „a walking protest“, einen wandelnden Widerstand.

Für viele Amerikaner ist Rapinoe eine Heldin, für ebenso viele ein Feindbild. Der Vorwurf, der ihr in der Heimat gemacht wird, ist schwerwiegend. Die Kritik am Präsidenten, die Solidarität mit Kaepernick, ihr Verhalten insgesamt: alles unamerikanisch.

Rapinoe will die USA verbessern

Querdenkerin. Megan Rapinoe macht nicht nur sportlich auf sich aufmerksam.
Querdenkerin. Megan Rapinoe macht nicht nur sportlich auf sich aufmerksam.

© Lionel Bonaventure/AFP

Am Tag nach dem Halbfinalsieg bezieht Rapinoe zu diesem Vorwurf Stellung. Im US-Fernsehen ist zu sehen, wie sie auf einem Parkplatz vor dem Mannschaftsbus steht, im dunkelblauen „USA“-Trainingsanzug mit weißen Sternen auf der Brust. Drei silberne Ketten um den Hals, eine verspiegelte Sonnenbrille im Gesicht. Megan Rapinoe sagt, sie sei sogar „extrem amerikanisch“. Vielleicht seien einige Menschen nicht einverstanden mit ihren Aussagen und Handlungen, aber man könne über alles reden. „Ich weiß, ich bin nicht perfekt“, sagt sie. „Aber ich denke, ich stehe für Ehrlichkeit und Wahrheit und dafür, ein Gespräch führen zu wollen.“

Die USA, sagt sie, seien ein großartiges und wunderbares Land, sie schätze sich glücklich, dort leben zu dürfen. „Aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht verbessern können. Dass wir nicht danach streben sollten, uns zu verbessern.“ Nach einem Tor bei der Weltmeisterschaft 2011 rannte Rapinoe zu einem der Außenmikrofone an der Seitenlinie und sang die ersten Worte des Refrains von Bruce Springsteens „Born in the USA“ hinein. Den Olympiasieg 2012 in London feierte sie mit der amerikanischen Flagge um die Schultern.

Es ist gut möglich, dass sich Megan Rapinoe am Sonntag erneut in die Fahne mit den Sternen und Streifen hüllen wird, in das WM-Endspiel gehen die Amerikanerinnen als große Favoritinnen. Angesichts der US-Dominanz erscheint die Frage, ob Rapinoe spielen kann und wie sie sich auf dem Platz verhält, fast wichtiger als alle sportlichen Aspekte. Das weiß auch Jill Ellis, die Trainerin der USA. „Wir denken nur an eines: Wir wollen den Titel gewinnen“, sagt Ellis. Alles andere sei ihr egal – auch und gerade die Ablenkung, die das Thema Rapinoe erzeugt. Die Spielerin überstrahlt ihr Team aber längst.

Sichtbar. Megan Rapinoe ist auch in den USA eine große Nummer.
Sichtbar. Megan Rapinoe ist auch in den USA eine große Nummer.

© Timothy Clary/AFP

Unter den vielen Individualistinnen im US-Team, die alle mit einem gesunden Egoismus ausgestattet sind, gilt Rapinoe als jene mit dem größten Selbstbewusstsein. 2012 outet sie sich homosexuell – als erste aktive US-Fußballerin – und gibt ihre Beziehung zu einer australischen Spielerin bekannt. Später verlobt sie sich mit der Folk-Sängerin Sera Cahoone, seit 2016 ist sie mit der Profi-Basketballerin Sue Bird zusammen. Gemeinsam posierten sie nackt auf dem Cover des Magazins „Sports Illustrated“, als erstes gleichgeschlechtliches Paar.

Vor der WM verklagten die amerikanischen Spielerinnen den US-Fußballverband wegen Diskriminierung. Der Grund: Ihre männlichen Kollegen werden deutlich besser bezahlt, dabei sind sie viel weniger erfolgreich. Rapinoe sagte, sie sehe es als ihre Pflicht, für ihre Überzeugungen zu kämpfen – „für künftige US-Spielerinnen, für Fußballerinnen weltweit – und ehrlich gesagt auch für Frauen weltweit“. Megan Rapinoe will auch deshalb im Endspiel unbedingt auflaufen. Am Samstag meldete sie sich fit. Alles andere als ihr Mitwirken wäre auch ein eher mattes Ende dieser WM, ein irgendwie unvollendetes für den gesamten Frauenfußball.

US-Präsident sendet niederrangige Delegation

Donald Trump hat angekündigt, er werde die gesamte amerikanische Mannschaft, ob mit oder ohne WM-Titel, nach Washington einladen. Die demokratischen Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sprach eine Art Gegeneinladung aus, ins Repräsentantenhaus. Rapinoe antwortete sofort per Twitter: „consider it done“, abgemacht. Der Linken-Jungstar Ocasio-Cortez passt auch viel besser zu Rapinoes Engagement gegen Rassismus und Homophobie. Trump und seine Nähe zu erzkonservativen Evangelikalen, von denen manche glauben, Homosexualität sei heilbar, muss ihr ein Graus sein.

Der US-Präsident reagiert auf seine Weise – und sendet eine niederrangige Delegation zum Endspiel. Angeführt wird die siebenköpfige, rein weibliche Gruppe von der stellvertretenden Handelsministerin Karen Dunn Kelley, eine eher wenigen Amerikanern bekannte Politikerin. Beim letzten Mal, vor vier Jahren, war das anders. Barack Obama schickte seinen Vizepräsidenten Joe Biden. Nach dem WM-Triumph besuchten die Fußballerinnen inklusive Rapinoe den damaligen Präsidenten.

Zur Startseite