zum Hauptinhalt
Dreiradfahrer. Im Regen von Spa verliert Michael Schumacher nicht nur einen Reifen, sondern auch die Fassung.

© dpa

Vor dem 1000. Rennen: Die größten Helden und Skandale der Formel 1

In China startet die Formel 1 in ihr 1000. Rennen. Ein Rückblick auf spektakuläre Rennen, Fahrer – und die kubanische Revolution von 1959.

Von David Joram

Seit dem ersten Rennen am 13. Mai 1950 im britischen Silverstone erzählt die Formel 1 von schnellen Fahrern und cleveren Ingenieuren. Giuseppe Farina gewann den ersten Grand Prix, seither sind 999 Rennen und 322.184 Rennkilometer vergangen. Der 1000. Grand Prix findet an diesem Sonntag in Schanghai statt (8.10 Uhr/live bei RTL und Sky). Dann fährt auch Sebastian Vettel um den Sieg mit.

Inzwischen ist es ja fast schon selbstverständlich, dass die Deutschen vorne dabei sind, wenn der Rennzirkus durch die Welt zieht. Doch das war nicht immer so. Die Autofahrernation war zwar bereits 1951 erstmals Schauplatz eines Formel-1-Rennens, aber erst zehn Jahre später folgte der erste Sieg eines deutschen Piloten.

Bis zum ersten WM-Titel sollte es noch viel länger dauern: 1994 löste Michael Schumacher mit dem ersten seiner noch immer unerreichten sieben WM-Triumphe einen Hype aus, der jahrelang anhielt. Sein Skiunfall nach der großen Motorsportkarriere und die schlimmen gesundheitlichen Folgen bewegen viele bis heute.

Die Autos haben sich über die Jahre verändert, sie sind schneller, besser und natürlich auch sicherer geworden. Schlimme, teils tödliche Unfälle sind anders als in der Vergangenheit die absolute Ausnahme geworden. In den Rennwagen funktioniert heute viel über Knöpfe und Automatismen.

Die Faszination ist über die Jahre, bei allen Triumphen und Tragödien, jedoch geblieben – genau wie die Geschichten, die schönen wie skandalösen. Sie erzählen viel über diesen Sport, der immer schon ein großes Geschäft war, ein Zirkus in allen Farben – wie zum Beispiel im Februar 1958 beim Großen Preis von Havanna, als sich das vielleicht größte Drama der Formel 1 abspielte.

Ein doppeltes Fiasko für Fulgencio Batista

Juan Manuel Fangio, die Legende aus frühen Formel-1-Tagen, und der eher unbekannte Kubaner Armando García Cifuentes standen dabei im Mittelpunkt. Cifuentes steuerte sein Auto durch eine Öllache und rutschte folgenreich von der Piste, mitten hinein in eine Menschenmenge. Fünf Zuschauer starben, 28 wurden verletzt.

Eine Katastrophe, vor allem für Diktator Fulgencio Batista. Als Cifuentes abflog, waren gerade mal fünf Runden gedreht, der Rennwagenzirkus, von dem sich Batista schöne Bilder für sein Gewaltregime versprach, endete im totalen Fiasko. Der britische Fahrer Stirling Moss behauptete, dass die Batista feindlich gesinnten Rebellen die Strecke mit Öl übergossen hätten. Eine nicht gänzlich abwegige Überlegung, immerhin hatten jene Rebellen, angeführt von einem gewissen Fidel Castro, vor dem Rennen bereits Weltmeister Fangio entführt. Das war mindestens ein genauso großes Fiasko für Batista wie die Tragödie selbst. Der Diktator gab vor, die Bewegung des 26. Juli um Castro und Che Guevara existiere gar nicht. Bis die Nummer mit Fangio kam.

Der „Spiegel“ schrieb später: „Die Entführung des berühmten Gashebeltreters war offensichtlich der schmerzlichen Einsicht des Rebellenhäuptlings Castro entsprungen, daß man der freien Welt einen Freiheitskampf, der nicht ins antikommunistische Klischee paßt, genau wie Damenstrümpfe und Bibelfilme nur durch Publicity-Sensatiönchen verkaufen kann.“

Die Entführung lief ab wie im Film: Zwei Männer passten Fangio in dessen Hotellobby ab, hielten dem Rennfahrer eine Waffe vor und nahmen ihn trotz zahlreicher Zeugen mit. Das Statement dazu fiel knapp aus: „Hier spricht der 26. Juli. Wir haben Juan Manuel Fangio um 20:55 Uhr entführt.“ Direkt nach dem Rennen ließen sie ihn wieder frei.

„Ach, das ist einfach nur ein weiteres Abenteuer. Wenn das, was die Rebellen getan haben, für einen guten Zweck war, dann werde ich als Argentinier das akzeptieren“, soll Fangio nach seiner Freilassung erzählt haben. Ein paar Monate später stürzte Batistas Regime – auch wegen Fangios Abenteuer und der Formel 1. Solch eine politische Kraft geht vielleicht heute nicht mehr vom Rennsport aus. Doch der Blick in vergangene Zeiten lohnt allemal.

Die besten Fahrer

Der Regenkönig. Ayrton Senna verzückte bis zu seinem tragischen Unfall 1994 vor allem die brasilianischen Fans.
Der Regenkönig. Ayrton Senna verzückte bis zu seinem tragischen Unfall 1994 vor allem die brasilianischen Fans.

© picture alliance/dpa

Platz 1: Michael Schumacher
Norbert Haug, der frühere Motorsportchef von Mercedes, erlebte den Aufstieg Michael Schumachers von Beginn an mit und war 2012 dessen letzter Teamchef. „Michael war als Rennfahrer im Formel-1-Auto über ein Jahrzehnt lang Messlatte für alle Wettbewerber“, sagt Haug über den Rekordweltmeister. „Keiner ging tiefer in die Details, wertschätzte mehr, forderte mehr, ohne zu überfordern. Und dieses Maß für Umgang, Respekt, Teamplay als Basis für den Erfolg wird noch sehr, sehr lange Bestand haben.“ Und Schumachers Duelle gegen Damon Hill, Jacques Villeneuve oder Mika Häkkinnen sind sowieso legendär.

Platz 2: Ayrton Senna
Am 1. Mai jährt sich die Tragödie um Ayrton Senna zum 25. Mal. Der Tag der Arbeit wird 1994 der letzte im Leben des brasilianischen Volkshelden. Als die Formel 1 zum Großen Preis von San Marino in Imola gastiert, starren den Fans nach sieben Runden fassungslos auf die Strecke. Sennas Wagen fliegt in der Tamburello-Kurve von der Strecke ab und kracht brutal in die Streckenbegrenzung. Wenige Stunden später stirbt er in einem Krankenhaus in Bologna. Drei Weltmeistertitel (1988, 1990, 1991) hat er bis dahin geholt, er gilt als Regenkönig und erhält den Spitznamen „The Magic“. Zehn Jahre, von 1984 bis 1994, begeistert er die Fans und liefert sich vor allem mit Alain Prost heiße Zweikämpfe.

Platz 3: Juan Manuel Fangio
Der Argentinier ist der Star in den 1950er Jahren. Er holt vier Weltmeistertitel in Serie, was nur noch Michael Schumacher gelingt, und hat mit gleich vier Teams (Alfa Romeo, Mercedes, Ferrari, Maserati) großen Erfolg. Weil die Formel 1 zu Fangios Zeiten mit sieben Rennen pro Jahr begann, kommt der insgesamt fünfmalige Weltmeister auf lediglich 24 Siege. Bei 51 Grand-Prix-Starts ergibt dies allerdings eine Traumquote, die bis heute unerreicht ist. Zu seinem 80. Geburtstag erhält Fangio 1991 Gratulationen aus aller Welt, auch aus Kuba. Von dort wird Fangio mit diesen Schlussworten gegrüßt: „Deine Freunde, die Entführer“.

Platz 4: Niki Lauda
Die Geschichte von Niki Lauda ist filmreif, was allein schon die Tatsache beweist, dass sie auch verfilmt wurde. 2013 erschien der Streifen „Rush – Alles für den Sieg“. Die Zeile täuscht ein wenig, denn Lauda ist einer der wenigen Fahrer, die im entscheidenden Moment den Mut hatten, auf den Erfolg zu verzichten. Beim letzten Rennen der Saison 1976, dem Großen Preis von Japan in Fuji, stellt Lauda sein Auto nach der zweiten Runde ab. Es ist dunkel und regnet in Strömen, die Sicherheit geht vor, erst recht bei Lauda, der einen Horrorunfall im selben Jahr nur knapp überlebt hat. Drei Weltmeisterschaften (1975, 1977 und 1984) holt er trotzdem.

Platz 5: Alain Prost
Der Franzose gilt als einer der cleversten Formel-1- Piloten – und einer der erfolgreichsten ist er zudem. Viermal gewinnt er die WM (1985, 1986, 1989, 1993) und testet dabei alle Grenzen des Machbaren aus. „Wenn ich nur den Frontflügel beschädigt habe, fühlte ich mich krank“, verriet er jüngst dem Magazin „Auto, Motor und Sport“.

Die spektakulärsten Rennen

Die erste Legende. Der Argentinier Juan Manuel Fangio holte 1957 auf dem Nürburgring seinen fünften WM-Titel der Formel 1.
Die erste Legende. Der Argentinier Juan Manuel Fangio holte 1957 auf dem Nürburgring seinen fünften WM-Titel der Formel 1.

© picture-alliance/dpa

Großer Preis von Belgien, 1998
Es regnet und regnet und regnet. Eigentlich perfekte Bedingungen also für den damaligen Regenkönig Michael Schumacher, der im belgischen Spa seinem dritten WM-Titel näher kommen will. Vor dem Rennen liegt der Ferrari-Pilot läppische sieben Punkte hinter seinem großen Rivalen Mika Häkkinen (McLaren-Mercedes).

Als das Rennen beginnt, ist das Wetter mit sintflutartigem Regen noch nett umschrieben. Und tatsächlich knallt es auf der schwer zu kontrollierenden Fahrbahn bei schlechter Sicht kurze Zeit später. McLaren-Pilot David Coulthard rutscht quer über die Piste, die nachfolgenden Autos können nicht ausweichen, es kommt zur Massenkarambolage, 13 Fahrer sind beteiligt. Nach einer Stunde Unterbrechung geht es trotzdem weiter – übrigens mit Coulthard, der noch eine andere Rolle spielen wird.

Als nach dem Re-Start auch Häkkinen ausscheidet, ist die Chance für Schumacher groß, die WM-Führung zu übernehmen. Überlegen führt er das dezimierte Feld an – bis er auf Coulthard trifft, um diesen pflichtgemäß zu überrunden. 24 von 44 Runden sind gefahren. Beim Überholmanöver minimiert Coulthard das Tempo, Schumacher reagiert zu spät und rummst ihm ins Heck, dabei verliert er ein Vorderrad. Beide scheiden aus.

Noch in der Boxengasse will Schumacher Coulthard an den Kragen gehen. „Du Scheißkerl wolltest mich umbringen“, schreit er seinen Konkurrenten an. Das Chaos-Rennen gewinnt übrigens Damon Hill vor Ralf Schumacher (beide Jordan). Es ist der 22. und letzte Formel-1-Sieg des Ex-Weltmeisters Hill.

Großer Preis der USA, 2005
In Indianapolis erlebt die Formel 1 einen ihrer ganz großen Skandale – obwohl kaum Autos am Rennen beteiligt sind. Um genau zu sein: Sechs Fahrer gehen an den Start, weil der Reifenhersteller Michelin keine vernünftigen Pneus für den Kurs liefern kann. Vor allem in Kurve 13 sind die Belastungen für die französischen Gummiwalzen – anders als für Konkurrent Bridgestone – zu hoch.

Im Freien Training hat Ralf Schumacher in der steilen Kurve 13 einen schweren Unfall, Michelin rätselt vergebens über die Ursache. Einen weiteren Reifentyp darf Michelin nicht anliefern lassen, das würde einen Regelbruch und die Disqualifikation aller Piloten nach sich ziehen. Weil weitere Lösungsvorschläge – unter anderem ein Tempolimit im betroffenen Abschnitt – von Formel-1-Rennleiter Whiting nicht akzeptiert werden, müssen die Michelin-Autos in der Box bleiben. Vom „Indygate“ schreiben die Medien nach dem Debakel. Dass Michael Schumacher im Ferrari siegt, gerät zur Nebensache.

Großer Preis von Deutschland, 1957
Juan Manuel Fangio macht seinem Namen als seinerzeit bester Formel-1-Fahrer alle Ehre. Auf dem Nürburgring spricht wenig für ihn. Es läuft einfach nicht, die Zeiten sind schlicht zu langsam, um die führenden Ferrari-Piloten abzufangen. Doch dann geschieht das Wunder. Bis zu 14 Sekunden pro Runde holt ein teuflisch fahrender Fangio auf, er fliegt förmlich über den Ring.

Als es zum letzten Mal auf die Schleife geht, hat er die Führenden im Blick. Auf den letzten Metern schiebt er sich tatsächlich noch an die Spitze und feiert seinen 24. und letzten Grand-Prix-Sieg – damit krönt er sich zum fünften Mal zum Champion der Königsklasse. „Ich habe mich derart gefordert, dass ich zwei Nächte nicht schlafen konnte. So bin ich nie zuvor gefahren, aber ich wusste auch: So schnell würde ich nie mehr fahren können“, sagt Fangio nach der wilden Fahrt, die sonst kaum einer erklären kann.

Großer Preis von Brasilien, 2012
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagt Sebastian Vettel nach dem verrückten Rennen in São Paulo. Dort fällt in der Saison 2012 die Entscheidung zwischen ihm und Fernando Alonso um den WM-Titel. Die Vorzeichen sind klar: Mit 13 Punkten Vorsprung geht Vettel in das letzte Saisonrennen, viele Platzierungen reichen ihm zum Titel.

Doch das Rennen beginnt mit einem Schock. Am Start verliert der Deutsche mehrere Plätze, dann fährt ihm Bruno Senna in seinen Red Bull. Vettels Auto dreht sich, steht gegen die Fahrtrichtung, er landet am Ende des Feldes. Alonso hingegen liegt plötzlich auf Rang drei und damit voll auf Titelkurs.

Eine starke Aufholjagd beginnt, die Vettel auf Position fünf spült, direkt hinter Alonso. Nach zwei Boxenstopps fällt er auf Platz zehn zurück, an der Spitze profitiert Alonso von Hamiltons Ausfall und rückt kurz darauf auf Platz zwei vor. Doch das letzte Wort hat Vettel, der noch Platz sechs erreicht und mit drei Punkten Vorsprung Weltmeister wird.

Zur Startseite