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Auf Mission. Jörg Börjesson in seiner Rolle als Doping-Aufklärer.

©  dpa

Vom Anabolika-Opfer zum Anti-Doping-Kämpfer: „Erst war es eine Tablette, dann wurden es bis zu zehn am Tag“

Der ehemalige Bodybuilder Jörg Börjesson hat seinen Köper mit Anabolika zerstört. Heute warnt er Jugendliche vor den Gefahren des Dopings im Breitensport.

Für einige junge Menschen kann es mit dem Muskelaufbau gar nicht schnell genug gehen. Getrieben vom Ehrgeiz und dem Willen nach einem möglichst definierten Körper, schwitzen sie in den Fitnesscentern mehrmals in der Woche. Dass manche dabei auch mit verbotenen Substanzen nachhelfen, geht auch aus der sogenannten „Operation Viribus“ hervor. Bei der Razzia zu Beginn der Woche wurden 3,8 Millionen Dopingmittel und gefälschte Medikamente aus dem Freizeitsport beschlagnahmt. Wie weit verbreitet Doping im Breitensport wirklich ist, kann auch Jörg Börjesson nur schätzen. Er glaubt, dass Millionen Menschen bereits mit Anabolika in Kontakt getreten sind. Börjesson war einer von ihnen. Seine tägliche Einnahme von Anabolika verursachte schwere gesundheitliche Probleme.

Börjesson ist inzwischen 52 Jahre alt, er lebt in Dorsten, das an das nördliche Ruhrgebiet angrenzt. Dort will er verhindern, dass andere das gleiche Leid erfahren wie er und erzählt in Fitnessstudios, Sportvereinen, Schulen und Universitäten von seiner Geschichte. Auch in Büchern und Videos hat er sein Schicksal dokumentiert. „Ich möchte vor allem junge Menschen vor Anabolika oder ähnlichen Substanzen abschrecken“, sagt Börjesson.

Als kleiner Junge spielt Börjesson noch gerne Fußball, jedoch stößt er schnell an seine Grenzen. Konditionell kann er mit seinen Mannschaftskameraden nicht mithalten, da er an Asthma leidet. Sport treiben will er dennoch. So entdeckt er den Kraftsport für sich. Sechs Mal in der Woche verbringt er unzählige Stunden im Fitnessstudio. Seine Muskeln wachsen rasch. Nach einem Jahr ist Schluss mit dem Erfolg auf natürlichem Wege. Mit seinen damals 19 Jahren erhält Börjesson, so erzählt er es, von einem prominenten Bodybuilder Tabletten. Was Börjesson in jener Zeit angeblich nicht weiß, dass es sich dabei um anabole Steroide handelt.

Anabole Substanzen sind die wohl bekanntesten und meist verbreiteten Dopingmittel in der Bodybuilder-Szene und im Breitensport. Die Nebenwirkungen reichen von Herzrhythmusstörungen bis zu Tumorentstehung und Krebs.

Geblendet vom schnellen Erfolg, verfällt der junge Börjesson dem Körperwahn und der Anabolikasucht. „Erst war es eine Tablette, dann wurden es bis zu zehn am Tag“, sagt er. Auf einmal stemmt Börjesson problemlos Gewichte von mehreren 100 Kilos und nimmt an Bodybuilding-Meisterschaften teil. Doch die Pumper-Karriere von Börjesson endet nach fünf Jahren jäh, als ihm während eines Trainings Blut aus seiner Nase schießt. Auch dass seine Brust wächst und der einer Frau ähnelt, gibt ihm zu denken. Er begibt sich in ärztliche Behandlung.

Im Jahr 2002 folgt die erste Operation – die erste von vielen. „Durch die Einnahme der Pillen habe ich heute noch massive Probleme mit der Magenschleimhaut“, sagt Börjesson. Auch das Fitnessstudio ist nicht mehr sein zweites Zuhause. Seit mittlerweile 17 Jahren ist Börjesson als Anti-Doping-Pionier unterwegs und möchte die Gesellschaft vor den Risiken warnen. Der Fitnesstrend und die Verlockung, mit Dopingpräparaten alles noch viel schneller und besser zu machen, sei nach wie vor in Deutschland groß, sagt er. „Das Problem ist, dass die Fitnessbetreiber nach wie vor kein Interesse verfolgen, gegen Doping vorzugehen.“

Soziale Medien verstärken das Problem

Zwar würden heute zunehmend Ernährungs- und Trainingsseminare angeboten, doch Doping sei kein Thema. „Dopingkontrollen in den Fitnessstudios wie in Schweden und Norwegen werden in Deutschland nicht durchgeführt.“ Anders als in den beiden skandinavischen Ländern, die das Dopingproblem als ein gesellschaftliches und wachsendes Jungendproblem ansehen und auch darauf eingehen würden, sei man in Deutschland überfordert und komme nicht an die Fitnesscenter heran.

Bei seiner Präventionsarbeit erkennt Börjesson, dass das Thema Doping besonders bei der jungen Generation präsent ist. Häufig seien es Jugendliche, die sich zum Doping verleiten ließen: „Sie haben keine sportlichen Ambitionen, möchten aber zur Clique gehören und Aufmerksamkeit erlangen, da wird schon mal auf unnatürliche Weise nachgeholfen.“ In ihren Köpfen sei der Gedanke verankert, man könne nur durch einen gestählten Körper zum Freundeskreis gehören. Die sozialen Medien, in denen Fotos und Videos verbreitet werden, verstärken das  Problem weiter. Aus Sicht des ehemaligen Dopers ist es auch heute noch zu leicht an die formsteigernden Präparate zu gelangen. In Umkleidekabinen der Fitnesscenter und sogar schon auf dem Schulhof käme man an die Mittel heran.

Börjesson sieht gerade die Fitnessstudios in der Pflicht, junge Sportler zu schützen und Dealern keine Möglichkeit zu bieten, ihre Netzwerke weiter auszuweiten, um an potenzielle Doping-Kunden zu kommen. „Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Studiobetreiber, die Nationale-Doping-Agentur und die Politik den Doping-Kampf im Breitensport nicht weiter ignorieren“, sagt Börjesson. Seine Mission ist noch nicht vorbei.

Kristina Smirnov

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