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Blase in der Blase. Die Nationalspieler aus der Premier League – Rüdiger, Werner, Leno, Gündogan und Kai Havertz – werden vom Rest der Mannschaft weitgehend isoliert.

© Federico Gambarini/dpa

Viele Unwägbarkeiten rund um die Fußball-EM: Mit Vollgas durch die Nebelwand

Die Uefa hält trotz der Corona-Pandemie an ihren Plänen für die Europameisterschaft fest. Bei der deutschen Nationalmannschaft sehen sie das anders.

Am Freitag vor einer Woche hat das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) getagt und einige wichtige Beschlüsse getroffen. Unter anderem hat es entschieden, dass die Nationalmannschaft ihr letztes Testspiel vor der Europameisterschaft am 7. Juni in Düsseldorf gegen Lettland bestreiten wird. Oliver Bierhoff, der Manager des Nationalteams, wurde dazu mit der Aussage zitiert: „Wir wünschen uns sehr, dass gerade beim letzten Spiel vor dem Turnier Zuschauer im Stadion dabei sind. Das wäre für uns alle sicher ein weiterer Motivationsschub.“

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An jenem Freitag, dem 12. März, wurden in Deutschland 12.834 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Im Siebentagesschnitt waren es 9037, und die bundesweite Inzidenz betrug 72,4. Seitdem haben sich die Dinge rasant entwickelt. Die Neuinfektionen sind auf einen Siebentagesschnitt von 13.340 gestiegen, und die Inzidenz liegt inzwischen bei 108.

Oliver Bierhoff dürfte sich durch diese Entwicklung bestätigt fühlen. Nicht in seiner Aussage über mögliche Zuschauer beim Spiel gegen Lettland, sondern in seiner Einschätzung der allgemeinen Corona-Lage. Nur wenige Tage vor der Präsidiumssitzung hatte er davon gesprochen, dass alle Planungen während der Pandemie einer „Fahrt auf Sicht“ glichen.

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Es geht gerade durch eine dichte Nebelwand, und eigentlich kann es auch mit Blick auf die Europameisterschaft angesichts der Unwägbarkeiten nur eine Lösung geben. Es ist definitiv nicht die, die der europäische Verband Uefa in der vergangenen Woche verkündet hat.

Laut Uefa-Präsident Aleksander Ceferin gibt es für den Verband keinen Grund, von den bisherigen Planungen abzuweichen. Die EM findet in zwölf Städten, verteilt über den gesamten Kontinent, statt, und wer die Zulassung von Zuschauern nicht garantieren kann, der ist leider draußen. „Das ist eine sehr sportliche Forderung“, findet Manuel Neuer, der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft.

Die Rigorosität der Uefa hat selbst Leute überrascht, die ein gesteigertes Interesse an der Austragung der EM haben. Joachim Löw zum Beispiel, für den das Turnier der Abschluss seiner 15-jährigen Amtszeit als Bundestrainer werden soll. „So, wie sich die ganze Geschichte im Moment entwickelt, ist es nicht so einfach vorstellbar, dass die EM so stattfindet“, hat er in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk gesagt. Niemand wisse derzeit, wie die Situation in drei, vier Monaten aussehe. Die aktuellen Pläne der Uefa hält er daher für „nicht realistisch“.

Hat die Uefa einen Plan B?

Angesichts der Einschränkungen im Reiseverkehr erscheint die Vorstellung, dass die Teams und womöglich auch ihre Fans lustig über den Kontinent hinwegfliegen, derzeit mehr als abstrus. Löw will von einem Plan B der Uefa gehört haben, nach dem das Turnier auch in nur einem Land ausgetragen werden könnte. Manager Bierhoff hingegen glaubt, dass die Variante mit zwölf Städten in zwölf Ländern weiterhin die Präferenz des Verbandes sei. Eine Reduzierung auf acht Spielorte sei das Minimum. „Es gibt viele Gerüchte“, sagt Bierhoff. „Aber ich mache mich nicht zu sehr verrückt. Ich denke positiv, dass wir das so umsetzen können.“

Nachdem die EM vor einem Jahr abgesagt werden musste, soll sie in diesem Sommer als originalgetreue Kopie nachgeholt werden. Das gilt auch für die Planungen der Nationalmannschaft mit dem Trainingslager in Seefeld (Tirol) und dem Basisquartier in Herzogenaurach. So viel ist bereits klar, die genauen Abläufe aber sind es noch lange nicht.

Nationalelf lebt in einer Blase

Der DFB spielt verschiedene Szenarien durch, auch was etwa die Begleitung der Mannschaft durch die Medien angeht. Tägliche Pressekonferenzen mit 250 Journalisten und 40 Kamerateams wären – sofern erlaubt – logistisch möglich. Aber auch rein digitale Veranstaltungen oder eine Hybridform mit einer beschränkten Anzahl an Medienvertretern vor Ort. Das Problem ist: Irgendwann muss eine definitive Entscheidung fallen, aber das ist schwierig, solange man nicht weiß, welche Pläne das Virus für Juni/Juli hat.

Sollte die Europameisterschaft tatsächlich in diesem Sommer stattfinden, wäre sie auch für die Nationalspieler ein besonderes Turnier. In diesen Tagen, da sie sich auf die WM-Qualifikationsspiele gegen Island und Nord-Mazedonien (in Duisburg) sowie in Rumänien vorbereiten, bekommen sie erneut einen Vorgeschmack darauf, was sie bei der EM erwartet. Mit ihrer Ankunft am Montag in Düsseldorf sind sie in eine Blase eingetreten, die sie erst am nächsten Mittwoch wieder verlassen dürfen.

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Joachim Löw hat die Erfahrungen in einem Interview mit dem „Kicker“ eindringlich beschrieben: „Es war eine hohe Belastung: essen mit Handschuhen. Mundschutz im Hotel. Immer auf einer Etage bleiben, also nicht rauskönnen und keinen anderen Menschen sehen, das Gefühl, eingesperrt zu sein. Sitzungen in kleinsten Gruppen, weil der Arzt sagte, bitte nicht alle in einen Raum. Ständig diese Vorsicht und die Hoffnung, keinen anzustecken oder angesteckt zu werden.“

Tim Meyer, der Arzt der Nationalmannschaft und einer der Erfinder des Hygienekonzepts, gilt als besonders vorsichtig und restriktiv – immerhin mit dem Ergebnis, dass es im Nachgang der Spiele des deutschen Teams bisher noch keinen einzigen Coronafall gegeben hat. „Wir in unserer Blase bekommen das hin“, sagt Manuel Neuer. Mit dem nötigen Aufwand natürlich. Die Mitglieder aus dem Betreuerstab sind allein vom vergangenen Donnerstag an bis zum Eintreffen der Mannschaft im Hotel am Montag viermal auf das Coronavirus getestet worden.

Aber auch für die Spieler gibt es strenge Vorschriften. Selbst im Hotel herrscht Maskenpflicht, sie essen im Schichtbetrieb, müssen sich Einweghandschuhe überziehen, wenn sie sich einen Teller oder die Suppenkelle vom Büfett nehmen. Es gibt feste Plätze an den Tischen, aber auch im Bus, und die vorgegebenen Wege sind penibel einzuhalten, damit man sich bloß nicht zu nahekommt. Und mal kurz vors Hotel treten, um frische Luft zu schnappen? Geht nicht.

Anders als Löw, der bisher nur drei Länderspielblöcke unter Coronabedingungen absolviert hat, sind die Spieler die Maßnahmen aus ihren Vereinen länger gewöhnt. „Für uns ist das schon fast Alltag“, sagt Neuer. „Es ist natürlich kein schöner Alltag. Trotzdem ist es so, dass wir uns schnell daran gewöhnen mussten und auch gewöhnt haben.“

Es drohen 50 Tage in der Bubble

Ein Turnier wäre allerdings noch einmal eine andere Nummer. Da geht es nicht um zehn Tage in der Blase, sondern – bei erfolgreichem Verlauf und inklusive Vorbereitung – um fast fünfzig. Mal eben am freien Tag ins Freibad verschwinden und wie Mats Hummels 2016 ein paar Kunststücke vom Dreimeterbrett vorführen, das wird diesmal nicht möglich sein.

Mitleid erwartet niemand. Auch die Spieler nicht. „Wir sind sehr froh, dass wir trotz der Umstände überhaupt zusammenkommen können“, sagt Florian Neuhaus von Borussia Mönchengladbach. „Deswegen ist das kein Problem. Es gibt Schlimmeres, als zehn Tage bei der Nationalmannschaft in der Bubble zu sein.“

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