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Extrem angespannt. Alexander Zverev gehört in New York nicht zu den Favoriten. Doch der Hamburger muss dort von Dienstag an viele Weltranglistenpunkte holen, um die ATP-Finals noch erreichen zu können.

© AFP

US Open in New York: Die Leiden des Alexander Zverev

Für den besten deutschen Tennisspieler sind die US Open die letzte Chance, in diesem Jahr den großen Durchbruch zu schaffen.

Die Krise kommt mit dem zweiten Versuch. Sie zeigt sich wuchtig oder zaghaft, je nachdem, ob es der Tennisball über das Netz schafft oder nicht. Und Alexander Zverev sieht sich ihr machtlos ausgesetzt. „Das Doppelfehlerthema muss ich irgendwie ein bisschen hinbekommen gerade. Das ist extrem viel in den letzten Wochen“, sagte Alexander Zverev.

Mitte Juni in Stuttgart war das, beim Rasenturnier am Weissenhof, wo er gerade gegen Landsmann Dustin Brown verloren und dabei 14 Doppelfehler fabriziert hatte. Seitdem hat Zverev bei fünf weiteren Turnieren zwölf Matches bestritten und 89 Mal seinen zweiten Aufschlag nicht ins Feld gebracht – im Schnitt also mehr als sieben Punkte pro Match an den Gegner verschenkt. Das Doppelfehlerthema ist akuter denn je und es ist ein Sinnbild für die Verfassung, in der sich Deutschlands bester Tennisspieler derzeit befindet.

„Es ist nicht so schlimm, wie alle denken“, hatte der 22-Jährige vor drei Wochen vor dem Masters-Turnier in Montreal gesagt. Nein, womöglich ist es sogar schlimmer, zumindest in diesem für ihn einigermaßen verkorksten Jahr 2019.

Bei den US Open, die am Montag in New York begonnen haben, ist Zverev keiner der Favoriten. Obwohl das auf der Internetseite der Veranstaltung ein bisschen anders klingt: „Wenn er eine gute Auslosung erwischt und lange Matches in den ersten Runden vermeiden kann, könnte er am Ende des Turniers derjenige sein, der übrigbleibt“, heißt es dort. Tatsächlich stehen ihm zumindest auf dem Weg in die zweite Woche beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres keine unlösbaren Aufgaben bevor, zum Auftakt bekommt er es am Dienstag mit dem Moldawier Radu Albot zu tun. Auch Zverev selbst hat die Hoffnung nicht aufgegeben, schon nach dem Erstrunden-Aus in Wimbledon gab er sich kämpferisch: „Ich habe immer gesagt, dass die US Open in diesem Jahr das Grand-Slam-Turnier sind, bei dem ich meinen Durchbruch haben will.“

Auf höchstem Niveau ist Zverev nicht konkurrenzfähig

So viel zur Theorie. Die Praxis zeigt, dass Zverev derzeit auf höchstem Niveau nicht konkurrenzfähig ist. Er hat in diesem Jahr noch keinen Top-Ten-Spieler schlagen können, von sechs Matches gegen Profis unter den besten 20 hat er zwei gewonnen. Und damit zwei weniger als im vergangenen November bei den ATP-Finals in London, wo er seinen bisher größten Triumph feiern konnte und Weltmeister wurde. Den Titel zu verteidigen, wird schwer. Derzeit wäre er als Zehnter der Jahreswertung nicht einmal für das Saisonfinale qualifiziert.

Umso wichtiger sind nun die US Open für ihn, hier kann er viele Punkte holen und endlich die Zweifler eines Besseren belehren. Und davon gibt es beim Thema Alexander Zverev traditionell viele. Zuletzt sind sie wieder lauter geworden, weil Anspruch und Wirklichkeit bei ihm dann doch ein wenig weit auseinander klaffen.

Boris Becker zum Beispiel kritisierte, dass sich das Spiel des Hamburgers nicht weiterentwickeln würde und er leicht ausrechenbar wäre. Dazu würde Zverev zu passiv agieren. Tatsächlich ist von dem Powertennis, dass er eigentlich spielen kann, zuletzt relativ wenig zu sehen gewesen. Zverev steht oft zu weit hinter der Grundlinie, wartet auf Fehler des Gegners anstatt selbst zu agieren und wirkt am Netz nach wie vor oft verloren. Dazu kommt der Aufschlag, eigentlich seine beste Waffe.

In der Ass-Statistik der ATP steht er auf einem respektablen siebten Platz, nach Punktgewinnen mit dem ersten Service liegt er als 22. noch im guten Mittelfeld. Doch dann wird es dramatisch – oder wie Zverev es selbst schon vor zwei Monaten ausdrückte: „Das Problem ist nicht mein Aufschlag. Das Problem ist mein zweiter Aufschlag.“ Und damit sind nicht nur die Doppelfehler gemeint. Sein gesamtes Spiel bricht zusammen, wenn er über das zweite Service kommen muss – nur 43 Prozent der Punkte macht er. Laut offizieller ATP-Statistik ist das der schlechteste Wert unter den besten 70 Tennisspielern der Welt.

Zverev braucht jemanden, der ihm aus der Krise hilft

Spielt der Kopf nicht mit, wird es für jeden Profi schwer. Ohne Ergebnisse kein Selbstvertrauen, ohne Selbstvertrauen keine Ergebnisse. Es ist ein Teufelskreis. Zverev bräuchte jemanden, der ihm aus der Krise hilft. Seine Familie wäre da die erste Anlaufstation. Allerdings kann sie zuweilen auch hinderlich sein. So fungiert Vater Alexander senior inzwischen wieder als alleiniger Trainer seines Sohnes, nachdem die Zusammenarbeit mit Ivan Lendl während des Turniers in Hamburg offiziell endete. Wohl auch aufgrund von Spannungen zwischen Papa Zverev und Lendl. „Zwei Trainer sind einer zu viel“, soll Alexander senior die Aufgabenteilung süffisant beschrieben haben.

Schon zuvor hatten die Zverevs mit Juan-Carlos Ferrero einen ehemaligen Topstar verschlissen. Die Weltranglistenersten von gestern tun sich schwer mit der potenziellen Nummer eins von morgen. So bleibt eigentlich nur Becker, mit dem die Familie ohnehin ein gutes Verhältnis pflegt. „Wenn ich Sascha etwas zurufen könnte, würde ich sagen: ’Geh doch mal auf Boris zu.’ Boris hätte auf jeden Fall das Know-how dazu, der perfekte Ratgeber zu sein“, sagte die deutsche Frauentennis-Chefin Barbara Rittner vor den US Open in einem Eurosport-Interview. Doch was nahe liegt, ist bisher nicht zur Lösung geworden.

Und so kommt Zverev auch außerhalb des Tennisplatzes nicht zur Ruhe, denn da ist auch der immer noch schwelende Rechtsstreit mit seinem Manager Patricio Apey. Und der kostet Zverev nun schon seit Monaten viel Energie. Wenn dieses Jahr mit nur einem Titel bei dem eher kleinen Turnier in Genf im Mai aber eines gezeigt hat, dann, dass Zverev ein Kämpfer ist. Er lässt sich trotz aller Probleme nicht hängen. Bei seinen insgesamt 17 Niederlagen in 47 Matches war er auch nur viermal wirklich chancenlos. Wenn er untergeht, dann mit wehenden Fahnen.

Und das wiederum macht Hoffnung. So viel fehlt ihm dann womöglich doch nicht, um bei den US Open die Wende zu schaffen. Alexander Zverev darf sich dabei nur nicht wieder vom Weg abbringen lassen.

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