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Verloren. Die türkische Delegation mit Yildirim Demirören (r), Präsident des türkischen Verbands (TFF), während der Bekanntgabe-Zeremonie zur Ausrichtung der Fußball-EM 2024.

© Harold Cunningham/dpa

Unverständnis nach EM-Vergabe: Erdogan-Anhänger sehen „Rassismus“ als Sieger der Uefa-Entscheidung

Gründe für die Niederlage suchen Erdogan-Anhänger nicht in Mängeln in der EM-Bewerbung ihres Landes, sondern in anti-türkischen Verhaltensmustern der Europäer.

Mehmet Muharrem Kasapoglu war sich seiner Sache so sicher. „Wenn es mit rechten Dingen zugeht, werden wir das Rennen machen“, sagte der türkische Sportminister vor der Entscheidung der Uefa über die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft des Jahres 2024. Doch dann entschied sich die Uefa-Führung mit zwölf zu vier Stimmen sehr deutlich für Deutschland – und gegen die Türkei. Kasapoglu und andere Regierungspolitiker fielen aus allen Wolken. Die Erklärung für die unerwartete Niederlage suchen sie nicht in Mängeln in der Bewerbung ihres Landes, sondern bei angeblichen anti-türkischen Verhaltensmustern der Europäer. Von Gegnern von Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt dagegen Beifall für die Entscheidung des europäischen Fußballverbandes.

Anlass für Selbstkritik sieht Ankara nicht. Die eigentlichen Verlierer seien die Uefa und der europäische Fußball, sagte Minister Kasapoglu nach der Entscheidung von Nyon. Die Türkei habe „keinen Verlust erlitten“. Der ehemalige Vizepremier Bekir Bozdag warf den Uefa-Vertretern auf Twitter vor, sie seien „Geiseln ihrer Vorurteile“ und hätten das „Recht gebeugt“. Noch deutlicher wurde die Erdogan-treue Zeitung „Yeni Safak“, die das Abstimmungsergebnis mit dem Satz kommentierte, der „Rassismus“ habe gewonnen. Dazu stellte die Zeitung ein Foto von Mesut Özil, der bei seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft von Rassismus beim Deutschen Fußballbund gesprochen hatte.

„Ist es, weil wir Muslime sind?“ fragte ein enttäuschter türkischer Fan auf Twitter. Immerhin wäre eine Euro 2024 in der Türkei das erste Turnier dieser Art in einem islamischen Land gewesen. In einigen Kommentaren aus der religiösen Szene schimmerte am Freitag eine gewisse Erleichterung darüber durch, dass der Türkei nun ein Ansturm westlicher Fans erspart bleibt: Ein Kommentator des islamistischen Fernsehsenders Akit TV merkte an, in der Türkei seien biertrinkende Fußballanhänger nicht besonders willkommen. 

Ausdrücklich hatte die Uefa vor der Entscheidung zudem auf Defizite der Türkei im Bereich der Menschenrechte hingewiesen

Genau das ist der Punkt, sagen Erdogan-Kritiker. Die Ablehnung der türkischen Bewerbung liege auch an der gesellschaftlichen Atmosphäre im Land und daran, dass europäische Fans nicht unbeschwert in türkischen Städten feucht-fröhlich feiern könnten, kommentierte der Oppositionsjournalist Kadri Gürsel. Andere Gegner der türkischen Bewerbung stellten die Frage, wie ein Staat, der Paypal, Booking.com und Wikipedia verbiete, darauf hoffen könne, ein großes internationales Turnier ausrichten zu dürfen. Ausdrücklich hatte die Uefa vor der Entscheidung zudem auf Defizite der Türkei im Bereich der Menschenrechte hingewiesen.

Volkan Agir, ein in Köln lebender türkischer Sportjournalist, hält die Beschwerden über eine angebliche anti-türkische Voreingenommenheit bei der Uefa nicht für stichhaltig. Deutschland habe einfach die bessere Bewerbung eingereicht, sagte Agir dem Tagesspiegel. Die Finanzkrise und die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei hätten auch eine Rolle gespielt. Wenn die türkische Seite nun den Fall Özil ins Feld führe, sei das ein Zeichen dafür, „dass es an der deutschen Bewerbung sonst nichts auszusetzen gab“.

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