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Immer nur nach oben? Die Biografie von Bundestrainer Joachim Löw – hier vor der EM 2008 mit Michael Ballack (rechts) – hat im Sommer einen klaren Bruch erlebt. Foto: Gilliar/AFP

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Unsere Empfehlungen: Die besten Fußballbücher: Von Löws Krise, Retro-Trikots und dem Fall Özil

Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Wir könnten ein paar Fußballbücher empfehlen - und eine DVD.

Als der Ullstein-Verlag im Frühjahr das Erscheinen einer neuen Biografie über Bundestrainer Joachim Löw angekündigt hat, hat wohl kaum jemand damit gerechnet, dass das Buch vor der Veröffentlichung noch einmal grundlegend überarbeitet werden müsste. Ursprünglich sollte es im Oktober auf den Markt kommen, erschienen ist es letztlich erst Ende November. Das liegt daran, dass im Sommer noch etwas Unvorhergesehenes in Löws Berufsleben geschehen ist, das zwingend Eingang in dieses Buch finden musste. Aus einer Biografie über den Weltmeister-Trainer wurde quasi die Doppel-Biografie eines Weltmeisters und eines Vorrunden-Ausscheiders. In einer Person.

Für die Dramaturgie des Buches war das frühe Aus in Russland, dieser scharfe Bruch in einer scheinbar stetigen Erfolgsstory, mit Sicherheit kein Nachteil. Löw hat im Sommer einen Sturz erlebt wie kaum ein Trainer vor ihm: aus den höchsten Höhen in den tiefsten Schlund. „Wie konnte es nur so weit kommen?“, fragt Autor Mathias Schneider am Ende des ersten Kapitels, in dem er von Löws versuchter Aufarbeitung des WM-Desasters in Russland berichtet.

Löw umgibt ein "Fluidum der Souveränität"

Schneiders Buch bewegt sich zwischen den Extremen, was ohnehin nicht ungewöhnlich ist für Löws Vita: Sein Talent galt früh als so herausragend, dass die Lokalzeitung ihm bereits nach seinem zweiten Einsatz für die U 21 auch „höhere Aufgaben“, die Nationalmannschaft also, zutraute; am Ende aber wird es Löw, auch wegen einer schweren Verletzung, gemessen an seiner Begabung nur zu einer lächerlichen Zahl an Bundesligaspielen gebracht haben. Als Trainer wiederum hat er 2014 mit dem WM-Triumph in Rio de Janeiro nicht nur das Höchste erreicht, was ein Trainer erreichen kann; Löw hat auch die Erfahrung gemacht, nach drei Monaten in der türkischen Provinz plötzlich ohne Job und als kaum noch vermittelbar dazustehen.

Schneider, Reporter beim „Stern“ und seit knapp zwei Jahrzehnten journalistischer Begleiter der Nationalmannschaft, hat mit vielen wichtigen Weggefährten Löws gesprochen. Das Buch enthält dadurch nicht nur viele unbekannte Details; Schneider zeichnet auch ein konsistentes Bild von Löws Persönlichkeit. Bereits Mitte der Achtziger, als lokaler Star beim Zweitligisten SC Freiburg, besetzte Löw die Rolle des freischaffenden Künstlers. Ihn habe „ein Fluidum der Souveränität“ umgeben, erinnert sich sein früherer Mitspieler Thomas Stickroth.

Vor 20 Jahren beim VfB Stuttgart, seiner ersten Station als Cheftrainer im Profifußball, erkennt man schon den Löw von heute. „Ich mache keinen Spieler zum Sündenbock“, sagt er, als seine Mannschaft mehr und mehr in ihre Einzelteile zerfällt. „Das habe ich mir zum Grundsatz gemacht, daran halte ich mich.“ Bevor Löw eine falsche Entscheidung trifft, trifft er lieber keine. Rainer Adrion, sein Co-Trainer beim VfB, erzählt über seinen alten Chef: „Es ging ihm immer schon sehr nahe, etwas zu entscheiden und dann die Konsequenzen zu tragen.“ Daran scheint sich – man denke an Michael Ballack oder Lukas Podolski – über die Jahre nichts Grundlegendes geändert zu haben.

War es Selbstgewissheit oder doch Selbstüberschätzung?

Löw bewegt sich permanent zwischen Selbstbewusstsein und Selbstzweifel; Schneider nennt es die „Dialektik seiner Persönlichkeit“. Und diese Selbstgewissheit macht er auch für das Scheitern bei der WM in Russland verantwortlich. Entschiedenere Kritiker des Bundestrainers würden sagen: nicht seine Selbstgewissheit, sondern seine Selbstüberschätzung.

Die Biografie ist von einer grundsätzlichen Sympathie für Löw durchzogen. Das ist nichts Ehrenrühriges, auch wenn Schneider am Ende vielleicht etwas dick aufträgt. „Zeitlos attraktiv schaut er bis heute aus, als wäre irgendwann in den Vierzigerjahren seines Lebens die Zeit für ihn stehen geblieben“, heißt es da. „Zugänglich, sanft und doch irgendwie unerreichbar entrückt, gepaart mit Erfolg und einem guten Stil – das ist sein Magnetismus.“ Den positiven Gesamteindruck schmälert es trotzdem nicht.

- Mathias Schneider: Löw. Die Biographie. Ullstein extra, 333 Seiten, 20 Euro.

Schön war die Baumwollzeit

Die Saison 1967/68 hätte für den 1. FC Nürnberg nicht besser laufen können. Der Traditionsklub aus dem Frankenland feiert in der Bundesliga seinen neunten Meistertitel. Was am Ende der Spielzeit wohl wenige ahnen: Es wird bis heute der letzte für den Club bleiben. (Und was ganz bestimmt niemand ahnt: Ein Jahr später steigen die Nürnberger als amtierender Meister aus der Bundesliga ab, aber das nur am Rande.) Der FCN ist in dieser Zeit ein stolzer Klub, auch Rekordmeister des deutschen Fußballs. Man denkt groß. Das äußert sich auch in der Ausstattung der Meistermannschaft. Die Nürnberger tragen in dieser Saison Trikots von Umbro, genauso wie es zwei Jahre zuvor das englische Nationalteam beim Gewinn der Weltmeisterschaft getan hat. Zumindest tragen die Nürnberger sie bis zur Pause des letzten Saisonspiels gegen Borussia Dortmund. In der Kabine ziehen sich die Spieler geschlossen um und streifen ihre alten Palme-Trikots aus der Vorsaison über – aus Sorge darüber, dass ihnen die übermütigen Fans die guten Umbro-Teile nach dem Abpfiff vom Leib reißen könnten.

Diese und viele andere kuriose Anekdoten erzählt Stefan Appenowitz in seinem Buch über die Geschichte der Bundesligatrikots. Es ist eine höchst ergiebige Chronik, die von der Baumwollzeit bis in die High-Tech-Ära reicht, in der Fußballtrikots auch schon mal aus recycelten Plastikflaschen hergestellt werden. Appenowitz selbst hat rund 20 Trikots seines Lieblingsvereins im Schrank, aber keines, das von einem Profi getragen, also matchworn, ist. Er ist kein Sammler und verfügt trotzdem über profunde Fachkenntnis – und vor allem über eine ausgeprägte Liebe zum Detail.

Das Buch erzählt die Geschichte der Kommerzialisierung

Das Buch mit vielen Fotos von historischen Trikots ist keine Bibel für Freaks, obwohl vermutlich auch deren Interesse ausreichend bedient wird. Das Schöne ist, dass Appenowitz, quasi en passant, die Geschichte der fortschreitenden Kommerzialisierung im Profifußball erzählt – weil für die Gestaltung der Trikots ab Mitte der Siebziger eben nicht nur die jeweiligen Sportartikelhersteller, sondern in mindestens ebenso hohem Maße die jeweiligen Trikotsponsoren verantwortlich sind. Wenn man bedenkt, dass in Sachen Trikotgestaltung heute nichts dem Zufall überlassen wird, ist es erstaunlich, wie sympathisch dilettantisch das Thema noch bis in die achtziger Jahre gehandhabt wurde.

Die Klubs bekamen ihre Trikots damals nicht direkt von einem Ausrüster gestellt, sie bezogen sie – wie normale Freizeitsportler – beim örtlichen Sportfachhändler ihres Vertrauens. Wenn auf den Trikots Puma oder Adidas stand, hieß das nicht zwingend, dass sie tatsächlich von Puma und Adidas waren. Und es war auch keine Seltenheit, dass ein Klub innerhalb einer Saison zwischen Trikots verschiedener Hersteller wechselte. Es ist eben die Zeit, in der Werbung nicht nur auf Trikots, sondern selbst auf der Trainingskleidung vom Deutschen Fußball-Bund „im Interesse der sportlichen Ordnung und des Ansehens des Fußballsports verboten“ ist.

Bringen Klubs, die etwas auf sich halten, heute zu jeder neuen Spielzeit drei verschiedene Trikotversionen (Heim, Auswärts, Event) auf den Markt, so musste in der Anfangszeit der Bundesliga ein einziger Trikotsatz auch mal drei Jahre halten. Und wenn später mal der Trikotsponsor wechselte, war es keineswegs so, dass die alten Trikots mit dem alten Sponsorenlogo aussortiert wurden. Sie wurden einfach mit dem des neuen Sponsors überklebt.

Interessant wäre es gewesen, wenn Appenowitz moderne Trikots den historischen Modellen gegenübergestellt hätte, denen sie nachempfunden worden sind; wenn es zudem eine Übersicht aller Bundesligisten und ihrer Trikotsponsoren gegeben hätte. Die Kurzporträts sämtlicher Hauptsponsoren hingegen lesen sich auf Dauer etwas ermüdend. Und trotzdem ist „Bundesligatrikots“ eine höchst verdienstvolle Teilstudie zur Geschichte des deutschen Fußballs.

- Stefan Appenowitz: Bundesligatrikots. 1963 bis heute. Geramond, 255 Seiten, 29,99 Euro.

Der Zauber des FC Barcelona

Xavi Hernandez lehnt sich aus seinem Sitz hervor, er nimmt ein paar Gläser, rote und weiße, und drapiert sie auf dem Couchtisch. In die Mitte schiebt er zwei Schalen mit Chips und Keksen. Es sollen die beiden defensiven Mittelfeldspieler von Manchester United sein, die sich 2011, im Finale der Champions League, vergeblich dem Offensivwirbel des FC Barcelona entgegenzustellen versuchten. Warum sie keine Chance hatten, das erklärt Xavi Hernandez mal eben mit Hilfe von ein paar Wassergläsern.

Zu sehen ist diese aufschlussreiche Szene in der überhaupt sehr aufschlussreichen DVD „Take the ball, pass the ball“, die dem Zauber des FC Barcelona vor allem unter Trainer Pep Guardiola nachspürt. Mit Erfolg. So wie sich der FC Barcelona für mehr als einen Klub hält, so war das Team in den Jahren 2008 ff. auch mehr als eine Mannschaft, nachzuempfinden in dieser beeindruckenden Dokumentation von Graham Hunter. Das einzig Nervende sind die epileptisch geschnittenen Spielszenen, die gar nicht zum erhabenen Erzählstil des Films passen.

Hunter hat die wichtigsten Protagonisten der Guardiola-Ära vor die Kamera bekommen: Andres Iniesta, Xavi Hernandez, Lionel Messi – und ganz am Ende, während des Abspanns, auch Guardiola, den Meister höchstselbst. „Würde Pep sagen: ,Spring von der Tribüne’, würde ich es tun – weil es einen Grund gibt“, erzählt Dani Alves. Aber auch der größte Zauber verfliegt. In Guardiolas letzter Saison als Trainer und nach etlichen Triumphen ist vieles anders: „Wenn Pep gesagt hätte ,Spring von der Tribüne’“, erzählt Alves, „wäre ich die Treppe runtergelaufen.“

- Take the ball, pass the ball. Das Geheimnis des perfekten Fußballs. 109 Minuten.

Lob des Fußballs

Grassierende Langeweile, ausufernder Kommerz, entrückte Funktionäre: Der Fußball besitzt gerade aus guten Gründen nicht den besten Leumund. In diesen kritischen Zeiten ein Buch mit dem Titel „Lob des Fußballs“ zu schreiben, zeugt daher im Mindesten von einer gewissen Originalität. Aber dass man den Fußball zugleich lieben und an seinen Zuständen leiden kann, das ist nicht zwingend ein Widerspruch, wie Jürgen Kaube beweist. Der Fußball ist und bleibt ein ganz besonderes Spiel, „eine beispiellose Attraktion“. Auch weil stets die Erinnerung an bessere oder vermeintlich bessere Zeiten mitspielt. „Was man sich nicht alles, bis heute, gemerkt hat“, schreibt Kaube, einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Seltsame Vereinsnamen wie Olympia Ülpenich, Größe und Gewicht von Bundesligaspielern, die heute niemand mehr kennt. „Fußball ist ein Netzwerk von Eindrücken, Zahlen und Geschichten.“ Und „Lob des Fußballs" ein Buch, das einem, zumindest ein bisschen, über die gegenwärtigen Zumutungen hinweghilft: weil es klug, pointiert und prägnant geschrieben ist.

- Jürgen Kaube: Lob des Fußballs. C. H. Beck, 125 Seiten, 14,95 Euro.

Der Hamburger SV: Absturz sondergleichen

Der Abstieg, heißt das Buch, wie Funktionäre einen Verein ruinieren. Es klingt, als ginge es um eine allgemeingültige Phänomenologie über den Niedergang eines Fußballklubs. In Wirklichkeit handelt das Buch ganz konkret vom Hamburger SV, der in Rekordzeit zur Lachnummer degeneriert ist. Ein solcher Absturz ist vermutlich beispiellos, taugt gerade deshalb als Warnung – und ist daher nicht nur für Fans der Hamburger interessant. Vor nicht mal zehn Jahren stand der HSV sowohl im DFB-Pokal als auch im Uefa-Cup im Halbfinale, und manchmal reicht der Flügelschlag eines Schmetterlings, um eine Katastrophe auszulösen. Oder eine Papierkugel. „Alles begann mit einer Papierkugel“, schreiben die Autoren am Ende ihres Prologs. Diese Papierkugel, Überbleibsel einer Choreografie, irritiert den Hamburger Verteidiger Michael Gravgaard im Uefa-Cup-Spiel gegen Werder Bremen so, dass er den Ball versehentlich ins Toraus tritt. Nach der anschließenden Ecke fällt das 3:1 für Werder – der HSV scheidet aus.

Seitdem haben die Hamburger ziemlich alles, was man falsch machen kann, falsch gemacht. Escher und Jovanov haben dies alles mit großer Sach- und Fachkenntnis aufgeschrieben. Und auch wenn man sich hier und da etwas mehr sprachliche Raffinesse gewünscht hätte, ist die Lektüre überaus informativ – mal abgesehen davon, dass einem so viel Inkompetenz auf allen Ebenen wie beim HSV beim Lesen fast körperliche Schmerzen bereitet.

- Tobias Escher/Daniel Jovanov: Der Abstieg. Wie Funktionäre einen Verein ruinieren. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 269 Seiten, 12,99 Euro.

Der Fall Özil

Dass Dietrich Schulze-Marmeling zu den produktivsten deutschen Fußballbuchautoren gehört, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Spätestens seit dem Sommer weiß man: Schnell ist er auch noch. Am 22. Juli erklärt Mesut Özil seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft, tags darauf schließt Schulze-Marmeling sein Manuskript zum „Fall Özil“ ab. Ein Schnellschuss ist sein Buch trotzdem nicht. Weil Schulze-Marmeling die Geschehnisse des WM-Sommers in einen größeren Zusammenhang stellt, ist sein Buch auch eine gesellschaftspolitische, historische und kulturelle Abhandlung zum Thema Migration in Deutschland geworden. Sehr erhellend ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Ilker Gündogan, der das Verhalten seines Bruder Ilkay quasi wissenschaftlich seziert.

Die ganze Debatte um Özil (mehr als um Gündogan) habe „etwas durch und durch Bigottes“ gehabt, schreibt Schulze-Marmeling. Er wirft die Frage auf, was wohl zwei Nationalspielern passiert wäre, die sich nicht mit Erdogan, sondern mit Putin hätten ablichten lassen. „Gündogans und Özils Pech war es, dass ,ihr’ Autokrat keine WM ausrichtete.“ Ein gewisser Eifer ist Schulze-Marmeling nicht abzusprechen. Aber das muss nicht unbedingt gegen ihn verwendet werden.

- Dietrich Schulze-Marmeling: Der Fall Özil. Über ein Foto, Rassismus und das deutsche WM-Aus. Verlag Die Werkstatt, 191 Seiten, 14,90 Euro.

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