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Bällehalter. Unions Torwart Rafal Gikiewicz, 31.

© Annegret Hilse/dpa

Unions Torwart Rafal Gikiewicz im Interview: „Nur über Fußball reden – das geht nicht“

Die Nummer Eins der Berliner spricht über den Unterschied zwischen Halberstadt und Bayern, meinungsstarke Spieler und Robert Lewandowski.

Von David Joram

Herr Gikiewicz, Sie gelten als besonderer Fußballprofi. Wissen Sie warum?
Ich habe immer meine Meinung! Es gibt viele Spieler, die sagen und kommentieren wenig. Wenn ich was zu besprechen habe, gehe ich gerne auf den Trainer, Co-Trainer oder meine Mitspieler zu. Das liebe ich auch: viel zu reden, viel zu lachen, das braucht ein Team auch für die Stimmung.

„Jede Mannschaft braucht einen Gikiewicz“, sagten Sie nach dem Bundesliga-Aufstieg des 1. FC Union. Gilt das speziell für den Aufstiegskampf oder generell?
Jetzt gerade hast du wieder mehr Stress. Das erste Pflichtspiel steht an, danach kommen Leipzig, Augsburg, Dortmund. Da brauchst du dann den Fokus - und neben dem Platz auch ein bisschen Spaß. Wir sind auch nur normale Leute, die normale Probleme haben; zuhause, mit den Kindern, dem Steuerberater, mit dem Auto, und so weiter. Deshalb muss man die Mischung finden. Nur über Fußball reden - das geht nicht.

Sind deutsche Spieler von der Mentalität her zu sehr auf Fußball fokussiert?
Natürlich hat das mit Mentalität zu tun, aber das hängt nicht so sehr mit dem Land zusammen. Es gibt aber nicht mehr so viele Charaktere wie mich, die noch eine echte Fußballermentalität haben.

Was heißt das?
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: In Polen, wo ich aufgewachsen bin, bekommst du als 17- oder 18-jähriger talentierter Fußballer 100 bis 200 Euro im Monat. Du weißt, wie schwer es ist, es ganz nach oben zu schaffen und wie schwer es ist, mehr Geld zu verdienen, sich mit besseren Spielern messen zu können. Heute fahre ich mit den jungen Spielern von Union ins Trainingslager. Dort sind die Plätze top, die Organisation ist top, unsere Teambetreuerin Susanne Kopplin kümmert sich um die Trikots, alles ist top. Das heißt, wir müssen uns nur noch auf den Fußball fokussieren. Als ich jung war, musste mich mein Vater 40 Kilometer von der Schule zum Training fahren. Ich musste mir selbst neue Vereine suchen, die mich weiterbringen. Und von keinem bekam man wie hier jeden zweiten Monat neue Fußballschuhe. Bei Union kann ich zwischen jedem Training schlafen, um mich zu regenerieren. Das ist Luxus, ich betone das gern. Und ich weiß auch, wie viele andere Torhüter gern nach Berlin kommen würden, um in der Ersten Liga zu spielen.

Inwiefern hat Sie der Aufstieg in die Bundesliga verändert?
Ich bin ein normaler Typ. Ich will so bleiben wie in der letzten Saison, egal was passiert, auch hier in der Kabine. Ich bin kein Superheld, nur weil ich Erste Liga spiele oder es vielleicht mal in die Nationalmannschaft schaffe. Der Kontakt zu meinen Nachbarn verändert sich deshalb nicht.

Die sind vor der Aufstiegssaison nach Berlin gewechselt, als Ersatztorwart. Wie war die Zeit dort ohne reelle Einsatzchancen?
Klar, ich war zwei Jahre die Nummer zwei in Freiburg. Aber ich wusste auch immer, wie viele Torhüter gerne nach Freiburg gekommen wären, auch für die Bank, um jedes Wochenende dabei zu sein, wenn es nach Dortmund oder nach München geht, um Punktprämien zu bekommen.

Frustriert waren Sie nie?
Natürlich war das zwei Jahre lang nicht immer schön. Das ist kein tolles Gefühl, kaum spielen zu dürfen. Aber ich habe bis heute ein gutes Verhältnis nach Freiburg. Ich glaube, jeder hat mich dort respektiert. Der Kontakt zu SC-Trainer Christian Streich ist nach wie vor da. Wenn du nur vier-, fünfmal in 24 Monaten spielst, aber trotzdem Druck machst, positiven Druck, und hart trainierst, um die Nummer 1 - Alexander Schwolow - zu pushen, dann wird das anerkannt. Das verschafft dir auch Respekt.

Zu Andreas Kronenberg, dem Freiburger Torwarttrainer, haben Sie auch noch ein gutes Verhältnis?
Bevor ich nach Freiburg kam, habe ich mich mit ihm und Streich im Hilton in Frankfurt getroffen. Es wurde klar abgemacht, dass Schwolow in meiner ersten Saison in Freiburg die Nummer 1 sein würde, ich die Nummer 2. Und ich akzeptiere klare Regeln.

Sie waren dann aber auch im zweiten Jahr nur Ersatz.
Wenn Schwolow den Verein verlassen hätte, wäre ich zum Zug gekommen. Aber nach einem Jahr hat er eben signalisiert, bleiben zu wollen. Da habe ich gesagt: ich will trotzdem nochmal ein Jahr kämpfen. Danach war aber klar, dass ich mich verändern musste. Dann spielt auch Geld keine Rolle, man will spielen. Nur dann ist man zufrieden.

Wie bitte? Am 9. Spieltag der vergangenen Zweitliga-Saison erzielte Gikiewicz den 1:1-Ausgleich für Union gegen Heidenheim per Kopf.
Wie bitte? Am 9. Spieltag der vergangenen Zweitliga-Saison erzielte Gikiewicz den 1:1-Ausgleich für Union gegen Heidenheim per Kopf.

© Annegret Hilse/dpa

Ihnen wird ein großer Ehrgeiz nachgesagt. Taucht der Name Gikiewicz mal in einer Reihe mit den großen polnischen Torhütern wie Janik, Tomaszewski, Mlynarczyk, Dudek oder Szczesny auf?
Sagen wir es mal so: Aktuell stehe ich in der zweiten Reihe. Aber ich spiele jetzt Bundesliga, so wie nur noch vier andere polnische Spieler aktuell: Lukasz Piszczek, Robert Lewandowksi, Dawid Kownacki, Adam Bodzek. Die bekommen viel Respekt, Resonanz. Das gilt künftig auch für mich. 44 Millionen Polen werden dann wissen: Aha, der Gikiewicz spielt in Berlin, Bundesliga, die kommt live im Fernsehen. Wenn ich eine gute Saison spiele, mache ich vielleicht noch einen Schritt in Richtung der Großen. Aber ein Tomaszewski ...

... der mit der polnischen Auswahl 1974 WM-Dritter wurde ...
... werde ich dann trotzdem noch nicht sein.

Wie nah dran sind Sie an einem Nationalelf-Einsatz?
Wenn ich keine gute Saison spiele, bin ich weit weg. Um es zu schaffen, brauche ich auch gute Mitspieler – und die brauchen ja auch mich.

Sie gelten als sehr professionell und haben Ihren Rhythmus mal so beschrieben: „Essen, Training, schlafen, essen, Training, schlafen.“ Sind Sie leistungstechnisch eigentlich schon am Limit?
Ich trainiere seit ein paar Wochen noch mehr im Kraftraum, weil ich weiß, dass ich mehr Bälle als in der letzten Saison halten muss.

Mit Bayerns Robert Lewandowski haben Sie in der dritten polnischen Liga in einem Team gespielt. Hat man da schon gesehen, wie gut er mal wird?
Nein, nein. Er ist damals auch kein Stammspieler gewesen. Aber man hat gesehen, wie überragend er gearbeitet hat; härter als normale Spieler. Er hat immer Extra-Einheiten absolviert – jetzt macht sich das bezahlt. Es heißt immer, man bräuchte viel Talent, um Profi zu werden. Ich sage: 60 bis 70 Prozent sind Kopfsache. Ohne klaren Kopf kannst du nicht in Topligen wie Spanien, England, Italien oder eben in der Bundesliga spielen.

Sie feiern am 26. Oktober Geburtstag. An dem Wochenende wird Union in München spielen. Wird das Spiel gegen Bayern und Lewandowski ihr größtes sein?
Für uns ist jedes Spiel wichtig!

Das ist eine Floskel!
Ohne Scheiß. Als Bundesligaklub stehst du immer unter Strom, das ist eine andere Anspannung als in der Zweiten Liga, das merke ich schon jetzt vor dem Pokalspiel in Halberstadt. Der Druck ist jetzt ein anderer.

Bayern ist aber nochmal eine andere Nummer als Halberstadt.
Ich war zwei Jahre mit Freiburg in der Bundesliga unterwegs, ich kenne alle Stadien. Auch Gladbach oder Schalke sind besonders, auch dort ist die Stimmung top. Jeder Bundesligaklub hat tolle Spieler, die vielleicht nicht ganz so gut wie Lewandowski sind, aber auch ihre Qualität haben. Diese Saison wird bei jedem Union-Spieler neue Gefühle wecken, das wird etwas Historisches. Wir müssen lernen damit umzugehen, egal ob in München oder woanders.

Was wird anders sein?
Wenn wir jetzt eine Stunde vor dem Spiel auf den Platz kommen, um uns den Rasen anzuschauen, sind halt schon 20 000 Zuschauer im Stadion. Nicht so wie in Sandhausen, wo zum Spiel nur 5000 kommen.

Welchen Stellenwert haben die Derbys gegen Hertha, verglichen mit Spielen gegen Gladbach, Schalke oder Bayern?
Ich komme nicht aus Berlin, deshalb sage ich: Bis Anfang November haben wir noch genug Zeit, um uns damit zu beschäftigen. Klar ist natürlich, dass dieses Spiel für unseren Präsidenten und unsere Zuschauer vom Gefühl her eine ganz andere Bedeutung haben wird. Wir Spieler müssen uns aber in erster Linie auf die ersten vier, fünf Spiele konzentrieren. Da brauchen wir auch die Punkte.

Wir schauen jetzt mal von Spiel zu Spiel. Was ist Ihre Lieblingsfloskel im Fußball?
Wir haben verloren, weil der Gegner besser war. Wenn man verliert, sagen das im Interview mindestens acht Spieler aus dem Team.

Nochmal Klartext: Das Pokalspiel in Halberstadt muss ein Pflichtsieg sein, oder?
Die zweite Runde ist unser Ziel, klar. Aber wir müssen schon noch ein paar Dinge trainieren und fokussiert bleiben. Spiele im DFB-Pokal sind immer schwierig, egal ob du gegen einen Dritt-, Viert- oder Fünftligisten spielst.

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