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Nadine Keßler wurde 2014 Weltfußballerin und leitet heute die Frauenfußballabteilung der Uefa.

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Uefa-Abteilungsleiterin Nadine Keßler im Interview: „Frauenfußball ist kein Anhängsel des Männerfußballs“

Am Sonntag steht das Finale der Women´s Champions League an. Nadine Keßler spricht über geplante Reformen und solidarische Verteilungsmodelle.

Nadine Keßler (33) wurde 2014 Weltfußballerin und ist heute Leiterin der Uefa-Abteilung Frauenfußball. Hier spricht sie über das Finale der Women’s Champions League, Fifa-Regularien und eine mögliche DFB-Präsidentin.

Frau Keßler, am Sonntag steht das Finale der Women’s Champions League an. Ab der nächsten Saison wird der Wettbewerb reformiert. Was sind die Neuerungen?
Wir haben das Format geändert und gehen erstmals in eine Gruppenphase. Es gibt zwei unterschiedliche Qualifikationswege dahin. So sind mehr Teams, aber auch mehr Top-Teams dabei. Das Design ist komplett neu und ebenso die Hymne, die hoffentlich genauso legendär wird wie die der Männer – oder besser.

Finanziell lohnt sich das mehr als bislang?
Die Erlöse für die Vereine sind viermal höher als zuvor, insgesamt 1,4 Millionen Euro. Das gab es weltweit in einem Frauenwettbewerb noch nie. Das einmalige solidarische Verteilungsmodell fokussiert sich nicht nur auf die Topklubs, sondern auch auf alle anderen. Die Erlöse gehen zu 23 Prozent an die nationalen Ligen. Das Modell lässt jeden Verein in ganz Europa, der nicht an der Champions League teilnimmt, am Erfolg teilhaben.

Woher kommen die 1,4 Millionen Euro?
Zum ersten Mal werden die Erlöse teilweise selbst generiert. Die Uefa wird keinen Cent behalten, sondern selbst noch investieren. Außerdem werden Einnahmen aus den Männerwettbewerben zur Subventionierung genutzt.

Das Modell zeigt: Frauenfußball ist kein Anhängsel des Männerfußballs. Ja, wir brauchen mehr Subventionen und werden die auch bekommen, aber wir müssen auch unsere eigenen Schritte gehen. Das machen wir jetzt mit der Champions League.

Einer dieser Schritte sind die neuen Regularien zum Schutz und zur Unterstützung von Müttern und Schwangeren, oder?
Das ist ein Problem, das in vielen Frauensportarten nicht thematisiert wird. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen es als Nachteil angesehen wurde, dass eine Spielerin schwanger wurde. Niemand sollte sich entscheiden müssen, werde ich Mama oder bin ich noch Leistungssportlerin.

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Deshalb hat die Fifa ihre Regeln verändert und die Uefa setzt sie in ihren Wettbewerben um. Die Spielerinnen haben mehr Rechte und sind per Vertrag vor der Kündigung geschützt. Die Vereine können im Falle einer Schwangerschaft auch außerhalb des Transferfensters nachverpflichten.

Sie haben eine klare Position zur geplanten und wieder verworfenen Super League der Männer bezogen. Warum?
Ich musste dazu einfach was sagen. Eine Super League gefährdet nicht nur die Champions League, sondern das ganze System, das den Frauenfußball unterstützt und auch finanziert.

Zudem fand ich es nicht angebracht, uns da mit einem Satz reinzuwerfen, nach dem Motto: Falls es im Männerfußball klappt, dann machen wir es vielleicht auch bei den Frauen.

Was störte Sie noch?
Auch wir haben in den jüngsten Jahren mit den Klubs verhandelt und es war alles in trockenen Tüchern. Wenn man sich außerdem die Klubs ansieht, sind das bis auf einige Ausnahmen nicht jene, die den Frauenfußball auf europäischer Ebene nach vorne gebracht haben.

Was ist mit Turbine Potsdam, dem VfL Wolfsburg, Olympique Lyon und den schwedischen Klubs? Für mich war die Super League eine Farce, weder durchdacht noch angebracht.

Im Halbfinale der Champions League standen die Bayern, PSG, Chelsea und der FC Barcelona. Auch in der Bundesliga spielen immer mehr Teams aus Klubs mit einer großen Männermannschaft. Ist es ein Vorteil oder Nachteil?
Ganz klar ein Vorteil! Ich habe selbst beim VfL Wolfsburg gespielt und gesehen, welche Bedingungen wir schon damals durch Infrastruktur, Personal, unterstützende Abteilungen, Kommunikation und Marketing hatten.

Finanziell und strukturell entstehen Vorteile und Dimensionen, die sonst schwer zu erreichen sind.

Mit dem VfL Wolfsburg und Turbine Potsdam gewann Keßler dreimal die Champions League, mit Deutschland den EM-Titel.
Mit dem VfL Wolfsburg und Turbine Potsdam gewann Keßler dreimal die Champions League, mit Deutschland den EM-Titel.

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Ist das nicht gefährlich für traditionelle Frauenfußballstandorte wie Potsdam?
Für Turbine ist es natürlich nicht einfach. Aus meiner Zeit dort weiß ich, wie sehr sich die Leute reinhängen. Jeder Baustein wurde einzeln gesetzt, um den Verein dahin zu bringen, wo er jetzt ist. Es ist natürlich eine Mega-Herausforderung, wettbewerbsfähig zu bleiben.

England hat die einzige voll professionelle Liga in Europa. Was wird dort besser gemacht?
Der Verband hat in den vergangenen Jahren extrem viel in die Liga investiert und musste schwierige Entscheidungen treffen. Die Anforderungen an die Klubs sind hoch. Es gibt ein rigoroses Klub-Lizenzierungsverfahren nach strengen Regeln, was beispielsweise Jugendakademie, Trainer und Kommunikationsmanager betrifft.

Wenn die Engländer schon am Anfang was richtig gemacht haben, dann war es die Vermarktung. Mit dem FA-Player kann jeder auf der ganzen Welt die englische Super League streamen. Jetzt gibt es einen großen Deal mit Sky und der BBC.

Sollten das auch in Deutschland die nächsten Schritte sein?
Absolut. Und ich glaube auch, dass der DFB und die Klubs genau darüber diskutieren. Vor fünf Jahren war Deutschland das A und O. Jetzt redet jeder über England. Aber ich würde mir langfristig vor allem mehr professionelle Ligen in Europa wünschen.

Deutschland bewirbt sich gerade gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden um eine Heim-WM? Kann der Effekt so einer Veranstaltung über die typischen Turnierfans hinausgehen?
Nach der letzten EM in den Niederlanden gab es dort ein Anstieg bei den Spielerinnen von 17 Prozent. Auch die Einschaltquoten sind immer noch unglaublich gut. In Frankreich war es genauso. Dafür müssen solche Turniere aber auch im Nachgang genutzt werden.

2020 jährte sich die Aufnahme des Frauenfußballs in die Satzung des DFB zum 50. Mal. Wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Das ist eine schwierige Frage. Die Liga ist immer noch hervorragend, muss aber mehr im Fokus stehen, davon bin ich überzeugt. Darauf würde ich als DFB mein Augenmerk legen.

DFB-Präsident Fritz Keller hat seinen Rückzug angekündigt. Ist es Zeit für eine Frau an der Spitze?
Warum nicht? Ich habe zwar keinen Einblick, wer sich da gerade aufstellt, aber der DFB sollte auf jeden Fall bereit sein, auch über eine Frau nachzudenken.

Luca Füllgraf

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