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November statt September? Der Berlin-Marathon könnte später stattfinden.

© Soeren Stache/dpa

Überlegungen nach Verbot von Großveranstaltungen: Berlin-Marathon könnte im November stattfinden

Bis Ende Oktober sind Großveranstaltungen in Berlin untersagt. Veranstalter prüfen ein Rennen im November oder nur für Profis. Es geht um sehr viel Geld.

Zwei Tage nach dem Schock klingt Jürgen Lock am Telefon noch immer etwas mitgenommen. „Wir können jetzt nicht zum Alltagsgeschäft zurückkehren“, sagt der Geschäftsführer des SC Charlottenburg. „Das fühlt sich für meine Mitarbeiter und mich wie eine Art Schockstarre an.“

Am Dienstag war er von der Nachricht überrumpelt worden, dass Berlin in der Coronavirus-Krise Großveranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern bis zum 24. Oktober untersagt. Das Aus für die 47. Auflage des Berlin-Marathon mit seinen 44 000 Startern aus der ganzen Welt am 27. September. Kurz zuvor hat Lock noch Interviews gegeben und zuversichtlich von den Planungen berichtet, nun wird er „absolut überrascht“. In einem Meeting erfährt er vom Verbot – aus der Presse. Aus dem Senat hatte sich vorab niemand gemeldet.

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Ganz aufgegeben hat Lock die größte Laufveranstaltung Deutschlands noch nicht. Ein Ausweichtermin im November wird diskutiert. „Wir müssen alles prüfen“, sagt er, fügt aber hinzu: „Die Rahmenbedingungen für ein späteres Rennen sind eher schlecht.“ Eine Veranstaltung wie der Berlin-Marathon sei wie ein Puzzle. Jedes Stück muss sitzen für ein gelungenes Bild. Doch ein Marathon im November birgt viele Risiken – ganz unabhängig vom Verlauf der Coronavirus-Pandemie. Das Wetter ist unbeständiger, Kälte kann für Läufer und Zuschauer zum Problem werden, ebenso die Dunkelheit, die langsamen Teilnehmern drohen würde. „Wenn etwas passiert, bin ich persönlich dafür verantwortlich“, sagt Lock.

Straßensperren für 200 Menschen seien unverhältnismäßig

Eine weitere Idee hat der Erfinder des Berlin-Marathons, Horst Milde, aufgebracht. Ein reines Eliterennen mit nur wenigen Startern. Lock hält davon nichts. Man sei ein Event für die ganze Stadt, ein Profirennen liefere keine Emotionalität. „Zudem wäre es nicht verhältnismäßig, wenn wir für 200 Läufer 42 Straßenkilometer in Berlin sperren.“

Das sei für ein Profirennen gar nicht nötig, findet Jos Hermens. „Man könnte eine zehn Kilometer Runde mehrmals laufen, zudem könnte man bei einem Elitelauf die Straßen nach zweieinhalb statt sechs Stunden wieder freigeben.“ Jos Hermens ist der Profi hinter den Profis. Der Holländer und frühere Langstreckenläufer vertritt als Manager rund 150 Spitzenläufer, vor allem aus Kenia und Äthiopien. Seine bekanntesten Schützlinge sind der Vorjahressieger in Berlin Kenenisa Bekele und Weltrekord-Halter Eliud Kipchoge, der unter Laborbedingungen im vergangen Jahr in Wien als erster Mensch die 42,195 Kilometer in unter zwei Stunden lief.

„Die Jungs sind heiß auf Rennen“, sagt Hermens. Veranstalter und Politik sollten kreativ werden, Laufveranstaltungen könne man auch mit Abstand organisieren. „Fußball darf im Mai wieder gespielt werden, aber Laufen ist bis mindestens September verboten“, ärgert er sich. Hermens macht sich zu den Hintergründen nichts vor: „Es geht nur ums Geld.“ Im Nischensport Laufen steckt bei weitem nicht so viel wie im Volkssport Fußball.

Schnelle Männer. Marathonläufer Eliud Kipchoge (Kenia, l) und Kenenisa Bekele (Äthiopien) gelten als die besten Marathon-Läufer ihrer Zeit.
Schnelle Männer. Marathonläufer Eliud Kipchoge (Kenia, l) und Kenenisa Bekele (Äthiopien) gelten als die besten Marathon-Läufer ihrer Zeit.

© picture alliance / Wolfgang Kumm

Was Hermens nicht sagt: Auch für ihn geht es um viel Geld. Er und seine Mitarbeiter organisieren Flüge, Visa und Versicherung der Läufer. Sie stellen Trainer, kümmern sich um die medizinische Betreuung und organisieren Trainingscamps. Dafür kassiert der Berater dann zehn bis 15 Prozent der Antritts- und Preisgelder. Doch solange es keine Rennen gibt, fallen sämtlich Prämien weg.

Prämien machen teils 50 Prozent der Einnahmen aus

„Bei manchen Profiläufern macht das bis zu 50 Prozent ihrer Einnahmen aus“, sagt Jan Fitschen. Er kennt sich aus im Profilaufsport, war Europameister über die 10 000 Meter und zigfacher Deutscher Meister über Mittel- und Langstrecken. Obwohl er sein Karriere bereits 2015 beendet hat, spürt auch er die Coronavirus-Krise. Seine Vorträge wurden storniert, Engagements rund um Wettkämpfe fallen weg. Immerhin würden sich jetzt viele Laufanfänger für sein Projekt "Laufen ist einfach" interessieren.

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Auch beim Berlin-Marathon war er die vergangenen Jahre stets im Einsatz. 2019 kommentierte Fitschen als Experte das Rennen in der ARD, davor für den RBB am Streckenrand. „Der Berlin-Marathon ist für die gesamte Laufszene enorm wichtig“, sagt er. Unter einer Absage würden nun Profis wie Amateure leiden. „Laufen funktioniert auch ohne Wettkampf, aber für die Motivation wird es sehr schwer.“

Verluste im fünfstelligen Bereich

Einen, den die vielen Absagen persönlich betreffen, ist Hendrik Pfeiffer. Er ist einer der schnellsten Marathon-Läufer Deutschlands, noch Ende Februar löste er in Sevilla mit 2:10:18 Stunden das Olympia-Ticket für Tokio – vier Wochen bevor die Spiele ins kommende Jahr verschoben wurden. „Es ist vollkommen richtig im Moment Läufe abzusagen, gleichzeitig ist jeder Monat ohne Wettkampf mental wie finanziell eine Belastung.“

Pfeiffer hat noch Glück. Er hat Sponsoren, wird von der Sporthilfe gefördert und mit dem TV Wattenscheid 01 einen starken Verein im Rücken. Vielen anderen Läufer geht es schlechter. Doch die Absage aller Events spürt auch er. Tief hinein in den fünfstelligen Bereich seien die Verluste schon jetzt. Mit dem Lauf in Sevilla hat er eigentlich seinen Marktwert gesteigert, jetzt stagniert er.

Profi unter Amateuren. Jan Fitschen mit der Checkpoint-Laufgruppe auf dem Tempelhofer Feld.
Profi unter Amateuren. Jan Fitschen mit der Checkpoint-Laufgruppe auf dem Tempelhofer Feld.

© Felix Hackenbruch

Pfeiffer hat noch ein anderes Problem. Profi-Marathonläufer haben einen extrem umfangreiches Pensum, das Training ist gezielt auf Wettkampftermine zugeschnitten. Jetzt kann Pfeiffer nur seine Grundfitness halten. Seine Wochenumfänge hat er von 200 auf 120 Kilometer gesenkt. „Das schlimmste ist die Ungewissheit. Bis jetzt habe ich auf die Herbst-Marathons gehofft, aber nach der Berlin-Absage mache ich mir nun große Sorgen.“ Und auch 120 Kilometer sind kein Spaziergang. „Ich liebe das Laufen, aber das Training macht nicht nur Spaß. Es ist immer auch eine Quälerei.“ Pfeiffer hofft deshalb, dass zumindest Eliterennen wieder zugelassen werden. Mit Übertragungen könnte dies auch antriebslosen Amateursportlern helfen. „Der Sport kann da eine Lücke füllen.“

Für Berlin sieht SCC-Geschäftsführer Lock dafür „keine Diskussionsgrundlage“. Wohl auch, weil ein Profirennen die finanziellen Ausfälle nicht annähernd kompensieren dürfte. Schon jetzt steht der SCC nach einem Jahr ohne Einnahmen mit dem Rücken zu Wand. Lock will deshalb in den kommenden Wochen mit den Berliner Behörden sprechen. Seinen Disput mit dem Sportsenator hat er bereits ausgeräumt. „Wir werden uns mit den Verantwortlichen zusammensetzen müssen und schauen, was es an Rettungsschirmen und Hilfen gibt.“ Immerhin profitiere Berlin in normalen Zeiten vom Marathon – finanziell, wie vom Image. Anders als Gastronomie und Kultur. Bislang sei der Sport aber vernachlässigt worden. „Sport ist mehr als nur die Bundesliga.“

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