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Alexander wer? Nübel heißt der junge Mann, der sich gerade als Nummer eins bei der U 21 versuchen darf.

© picture alliance / Tim Rehbein/dpa

U 21: Notstand auf der Paradeposition: Wo sind die jungen deutschen Torhüter?

Neuer, Leno, ter Stegen, Horn - die deutsche U-21-Nationalmannschaft konnte in der jüngeren Vergangenheit auf gestandene Keeper zurückgreifen – das ist derzeit anders.

Leute, die Alexander Nübel bisher nicht kannten, haben am Freitag beim 6:1-Sieg der deutschen U-21-Nationalmannschaft gegen Aserbaidschan einen guten Eindruck von seinen fußballerischen Fähigkeiten erhalten. Der junge Schalker ist beidfüßig, er kann die Bälle mit dem linken Außenrist genauso fehlerfrei stoppen wie mit der rechten Innenseite; er spielt saubere Pässe von hinten heraus und ist auch im Dribbling stark. Einmal ging er im eigenen Fünfmeterraum in den Infight mit Ilkin Sadigow und löste die knifflige Situation souverän. Über die Fertigkeiten in seinem eigentlichen Ressort aber brachte der Abend leider wenige Erkenntnisse.

Alexander Nübel, seit einer Woche 21 Jahre alt, ist Torhüter der U 21. Und als solcher wurde er in Cottbus kaum gefordert. Das Gegentor fiel fünf Minuten vor dem Ende, nachdem Jonathan Tah als letzter Mann den Ball verloren hatte. Bis dahin hatte Nübel einen einzigen Schuss aufs Tor bekommen: einen harmlosen Roller genau auf Mann. Dazu versuchte er sich einmal im Luftkampf, griff aber – ohne schlimmere Folgen – am Ball vorbei. Nübel war später froh über diesen Fehler. Er habe lieber solche Aktionen dabei, „wo ich was mitnehmen kann“, als Spiele, in denen er gar nichts zu tun bekommt wie vor einem Monat bei seinem U-21-Debüt gegen Kosovo. Das hängt auch mit seiner sportlichen Situation bei Schalke 04 zusammen.

Bis vor einem Jahrzehnt war die U 21 noch der Tüv-geprüfte Reparaturbetrieb des deutschen Profifußballs. In der U 21 – und zwar nur da – kamen die Talente aus der Ersten und Zweiten Liga zu den Einsätzen, die ihnen im Verein verwehrt blieben, weil ihre Plätze von den sogenannten mittelmäßigen Ausländern besetzt waren. So ist das jetzt auch wieder – bei den Torhütern. „Die U 21 ist perfekt für mich“, sagt Nübel. „Sie ist die einzige Möglichkeit, auf hohem Niveau Spielpraxis sammeln zu können. Auf Schalke sitz’ ich im Moment immer nur auf der Bank.“

Die Kandidaten spielen in der dritten oder vierten Liga

Gegen Aserbaidschan standen in der Startelf EM-Teilnehmer (Tah), Confed-Cup-Sieger (Henrichs), Olympiamedaillengewinner (Klostermann), dazu Spieler mit Champions-League- (Dahoud) und Europa-League-Erfahrung (Ochs, Kehrer). Die potenziellen Torhüter aber – Alexander Nübel, Nils Körber (Preußen Münster), Moritz Nicolas (Borussia Mönchengladbach) und Svend Brodersen (St. Pauli) – kommen auf die geballte Erfahrung von einer Minute Bundesliga. Nübel ist am letzten Spieltag der Saison 2015/16 kurz vor Schluss für Ralf Fährmann eingewechselt worden. Er dachte zuerst an einen Scherz, als ihm sein Trainer mitteilte: „Alex, komm rein!“

Nübel hat jetzt mehr Bundesligaeinsätze (eins) als Ballkontakte (null). Trotzdem sei die Erfahrung überragend gewesen. „Bundesliga ist ein geiles Gefühl.“ Es ist ein Gefühl, das ihm und seinen Altersgenossen bisher weitgehend verwehrt geblieben ist. Nils Körber, ausgeliehen von Hertha BSC, ist immerhin Stammtorhüter in der Dritten Liga. Nicolas und Brodersen spielen meist in der viertklassigen Regionalliga gegen Teams wie Westfalia Rhynern oder Eutin 08. „Wir müssen mit dieser Situation leben“, sagt U-21-Torwarttrainer Klaus Thomforde. „Wir haben ja noch zwei Jahre bis zum nächsten Turnier. Diese Zeit müssen wir den Jungs geben, damit sie sich entwickeln können.“

Es ist noch nicht lange her, da war auch die Torhüterposition der U 21 erstklassig besetzt. Nübels Vorgänger hießen Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Bernd Leno, Timo Horn und Loris Karius. „Die Jungs von damals hatten schon Spielpraxis in den höchsten Ligen, teilweise sogar in Europa“, sagt Thomforde. „Natürlich ist es jetzt ein bisschen schwieriger.“ Wie soll er Nübel bewerten, wenn der nie spielt? „Wir sind sehr eng in Kontakt mit Schalke“, antwortet Thomforde. Statt zu Spielen der Schalker fährt er jetzt eben zu deren Trainingseinheiten.

Die extrem jungen Torhüter von einst sind immer noch jung

Zweiter Torhüter bei Schalke, das sei ja auch schon was, findet Thomforde, aber Nübels Vorgänger hatten in seinem Alter eben schon einen Stammplatz in der Bundesliga. Ter Stegen, Leno und Horn waren extrem jung, als sie bei den Profis debütierten; jung sind sie auch jetzt noch. Das ist die Crux, unter der Nübels Generation gerade zu leiden hat – der Fluch der guten Tat gewissermaßen. „Du kannst die jungen Torhüter nicht durch die noch jüngeren ersetzen“, sagt Thomforde. „Das ist das Problem.“

Hinzu komme, dass viele Bundesligisten auf ausländische Nationaltorhüter setzten, anstatt dem eigenen Nachwuchs eine Chance zu geben, klagt Thomforde. In der höchsten Klasse der selbsternannten Torhüternation Deutschland sind nur zehn der achtzehn Stammkeeper Deutsche. Die anderen sind Nationaltorhüter aus der Schweiz (Sommer, Bürki, Hitz), aus Finnland (Hradecky), Belgien (Casteels), Norwegen (Jarstein), Ungarn (Gulasci) und Tschechien (Pavlenka).

„Wir haben einen größeren Pool an Torhütern, den wir beobachten“, sagt Thomforde. Von denen darf sich Alexander Nübel aktuell als Nummer eins fühlen, nachdem er in beiden EM-Qualifikationsspielen im Tor gestanden hat. Ein gutes Selbstvertrauen bescheinigt ihm Thomforde, dazu sei er „sicher mit dem Ball am Fuß“. Die kurzfristige Perspektive auf mehr Spielpraxis im Verein aber hat Nübel erst einmal nicht. Ralf Fährmann ist 29, er kommt also eigentlich erst jetzt ins beste Torhüteralter – und ist bei Schalke seit dieser Saison sogar Kapitän. Selbst Alexander Nübel sagt, er kenne keinen, der besser sei als Fährmann. „Ralf macht es sehr gut“, sagt er. „Das ist das Problem.“

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