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 Fabian Hambüchen, 30, ist einer der erfolgreichsten deutschen Turner überhaupt. 2016 holte er olympisches Gold am Reck. Anschließend beendete er seine internationale Karriere.

© picture alliance / Marijan Murat

Turn-Weltmeisterschaften in Katar: Fabian Hambüchen: "Es könnte die schwierigste WM werden"

Fabian Hambüchen über die WM-Chancen der Deutschen in Katar, Turn-Kultur im Nahen Osten und Sexismus im Turnen.

Fabian Hambüchen, heute beginnt die Turn-WM in Katar und Sie sind nicht dabei. Macht Sie das traurig?

Nein, natürlich nicht. Ich habe meine Karriere wohlüberlegt beendet und führe ein ausfüllendes Leben, auch wenn ich am Anfang Schwierigkeiten mit der Umstellung hatte. Aber ich vermisse den Leistungssport mit dem großen Druck und den großen Erwartungen nicht.

Die deutschen Turner könnten bei der WM in Katar einen Ausnahmesportler wie Sie gut gebrauchen.

Tatsächlich könnte dies die schwierigste WM überhaupt für die deutschen Männer werden. Andreas Bretschneider ist wegen einer Verletzung nicht dabei, Andreas Toba und Marcel Nguyen sind angeschlagen und auch Lukas Dauser ist nach seiner langen Knieverletzung noch nicht bei 100 Prozent.

Das klingt wenig erbaulich.

Ich sehe Finalchancen bei den Männern eigentlich nur bei Dauser am Barren. Im Mannschaftsfinale unter die besten Acht zu kommen, wird schon wahnsinnig schwer. Zumal das das Niveau im Männer-Turnen derzeit brutal hoch ist. Ich habe mir in den vergangenen Tagen Bilder vom Training aus Katar angesehen. Und was die Turner aus den unterschiedlichsten Nationen da schon gezeigt haben, war sehr beeindruckend und auch ein bisschen erschreckend. Das Ziel für die deutschen Männer muss daher sein, unter die besten 24 Teams zu kommen, damit man im nächsten Jahr auch bei der Heim-WM in Stuttgart dabei ist.

Lukas Dauser wird der Einzug ins Barren-Finale zugetraut.
Lukas Dauser wird der Einzug ins Barren-Finale zugetraut.

© imago/Schreyer

Und wie ist die Situation bei den Frauen?

Wesentlich besser. Trotz des Ausfalls von Pauline Schäfer und Tabea Alt haben die deutschen Frauen definitiv zwei, drei Chancen mehr als die Männer, Finals zu erreichen. Ich denke da auch an vermeintliche Außenseiterinnen wie etwa Sarah Voss.

Vor wenigen Jahren noch war die Situation im deutschen Turnern noch umgekehrt.

Das stimmt. Bei der WM 2007 in Stuttgart ging es für die Männer um die Medaillen und für die Frauen um die Qualifikation für die Finals. Das ist jetzt anders.

Das liegt aber nicht nur an den Verletzungen und der Stärke der anderen, oder?

Ein großes Problem ist, dass es an hauptamtlichen Trainern mangelt. Ich habe in meinem nahen Umfeld viele großartige Trainer gesehen, die aufhören mussten, weil sie nicht mehr bezahlt werden konnten. Es geht vor allem um die Sichtung und das Training von Kindern. Die Förderung muss schon im Kindergarten losgehen. Aber nur mit ehrenamtlichem Personal geht das nicht. Das ist eine Erklärung, warum es an den ganz großen Talenten bei den Männern derzeit mangelt.

Also kein neuer Fabian Hambüchen in Sicht?

Derzeit leider nicht. Bei mir war alles auch extrem. Ich habe mit 15 Jahren schon bei einer WM geturnt, mit 16 bei Olympia. Auf der anderen Seite: In sehr jungem Alter schaffen manche extreme Leistungssprünge. Das war bei mir damals auch so. Wir haben ein paar große Talente wie Nick Klessing oder Felix Remuta. Wenn sie es schaffen, massiv viel aufzubauen, können sie uns in Stuttgart vielleicht überraschen.

Marcel Nguyen wird mit einer angebrochenen Rippe antreten, Andrea Toba hatte lange Probleme mit an der Achillessehne. Letzterer machte bei den Olympischen Spielen in Rio Schlagzeilen, weil er mit gerissenem Kreuzband turnte. Ist die Leidensfähigkeit der deutschen Turner nun löblich oder nicht eher zu verurteilen?

Das ist alles mit Mannschaftsarzt Hans-Peter Boschert abgesprochen. Da wird nicht fahrlässig entschieden. Die Frage ist vielmehr, warum die angeschlagenen Turner trotzdem dabei sind. Wie gesagt, ich hoffe sehr, dass bald etwas nachkommt im deutschen Männer-Turnen.

Was halten Sie generell von der WM in Katar, der ersten großen Turn-Veranstaltung im Nahen Osten?

Es gibt ja schon seit Jahren dort den Weltcup, der sehr gut funktioniert. Grundsätzlich haben diese Länder durch das Öl sehr viel Geld und das ist schon einmal eine schöne Voraussetzung, um eine reibungslose Veranstaltung durchzuführen.

Sehen Sie es kritisch, dass arabische Länder, die keine große Turn-Kultur haben, nun so eine WM durchführen?

Es gibt eine Turn-Kultur etwa im Iran oder Jordanien. Nur hat es keiner bislang in die Spitze geschafft. Eine Turn-WM findet jedes Jahr statt, warum also nicht da, wo sie bisher noch nie stattgefunden hat?

Auch Simone Biles wird nach dem Missbrauchsskandal in den USA erstmals wieder bei einer Großveranstaltung an den Start gehen. Wie haben Sie das alles aufgenommen?

Ich war erschüttert, als ich davon hörte. Ich kenne den verurteilten Mannschaftsarzt Nasser ja oberflächlich von vielen Wettkämpfen. Man hat sich gegrüßt und mal gequatscht. Ich konnte und wollte mir das nicht vorstellen. Ich finde es jedenfalls toll, dass Simone Biles nun zurückkommt und vielleicht stärker ist denn je.

Sexueller Missbrauch im Turnen – war das für Sie ein gänzlich neues Thema?

Ich selbst habe in meinem Umfeld nie etwas davon mitbekommen. Klar, man hat immer wieder mal was gehört. Aber querbeet in allen Sportarten. Ich denke nicht, dass dies ein turnspezifisches Problem ist. Es sind Einzelpersonen, die diese Taten begehen, und das kann dann überall passieren.

Das Gespräch führte Martin Einsiedler.

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