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Knappes Ding. Luca Maria Graf von Turbine rettet kurz vor der Linie.

© Matthias Koch/Imago

Turbine Potsdam startet in die Bundesliga-Saison: Eine Klasse, zwei Ligen

Turbine Potsdam trifft zum Auftakt der Saison am Samstag auf den VfL Wolfsburg, ein Team, dass unter ganz anderen Bedingungen um andere Ziele spielt.

Wer die Ansetzungen des ersten Spieltags sieht, könnte sich fragen, um welche Bundesliga es sich überhaupt handelt. Zum Auftakt spielen am Freitag die TSG 1899 Hoffenheim und der SC Freiburg gegeneinander. Abgeschlossen wird der Spieltag vom Meister aus München, der allerdings auf Werder Bremen trifft.

Die Bundesliga der Frauen liest sich immer mehr wie die der Männer. In Bremen haben die Fußballerinnen ihre männlichen Kollegen inzwischen überholt, zumindest was die Ligazugehörigkeit betrifft. Aber auch ohne Werder haben sieben der zwölf Mannschaften der Bundesliga ein Pendant in der höchsten Spielklasse der Männer.

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Eine der wenigen Ausnahmen ist Turbine Potsdam. Der Klub ist immer noch attraktiv für viele Spielerinnen in Deutschland. So sagt Anna Wellmann, von Bayer Leverkusen nach Potsdam gekommen: „Schon immer habe ich es mir zum Ziel gesetzt das Maximum zu erreichen. Mit dem Schritt und dem Wechsel zu Turbine Potsdam eröffnen sich neue Chancen, die ich ergreifen und nutzen will.“ Allerdings wird die 26-Jährige Torhüterin wohl um ihren Stammplatz kämpfen müssen – obwohl keine Spielerin gesetzt sei, wie ihr Trainer Sofian Chahed sagt.

„Turbine hat immer noch ein Alleinstellungsmerkmal als reiner Frauenfußballklub“, sagt Chahed. Neben dem ehemaligen europäischen Topklub Turbine kommen nur die SGS Essen, der SC Sand und Carl Zeiss Jena ohne einen Großenverein im Rücken aus. Lizenzspielerabteilung heißt das Zauberwort. Entstammt das Frauenteam wie in Köln oder München einem Verein mit der hochklassigen Männermannschaft oder wird wie in Frankfurt in einen solchen Verein eingegliedert, sind die Möglichkeiten ganz andere, personell, finanziell und was die Infrastruktur betrifft.

rei für Platz drei? Nina Ehegoetz, Trainer Sofian Chahed und Merle Barth (von links nach rechts) wollen sich nicht auf ein genaues Saisonziel festlegen. Foto: imago/Eibner
rei für Platz drei? Nina Ehegoetz, Trainer Sofian Chahed und Merle Barth (von links nach rechts) wollen sich nicht auf ein genaues Saisonziel festlegen. Foto: imago/Eibner

© Eibner/Imgao

„Die Lizenzmannschaften Wolfsburg, Bayern, Hoffenheim, selbst Leverkusen haben alle das Nachwuchsleistungszentrum der Männer hinter sich“, sagt Chahed. „Das heißt sie haben bessere Trainingsmöglichkeiten und können mehr Trainer einstellen um auch im Frauenbereich noch spezieller zu arbeiten.“ Deshalb „muss eben auch klar sein, dass man in der Liga nicht ganz oben mitspielen kann, das geht gar nicht“, ist er sich der unterschiedlichen Ausgangslagen bewusst. Da helfe auch Turbines Kooperation mit Hertha BSC, dort hat er früher selbst als Profi gespielt, nur wenig.

Auch finanziell bewegen sich die Vereine in verschiedenen Sphären. Turbine, Jena, Essen und Sand müssen sich selbst finanzieren und haben statt einem großen Sponsor eher drei oder vier kleine auf der Brust oder dem Oberschenkel. So machten die Vereine in den letzten Jahren aber regelmäßig plus. Bei den Teams mit einem starken Verein im Rücken sieht das anders aus. Sie gaben zuletzt durchschnittlich doppelt so viel Geld aus wie sie einnahmen. Was jedoch im Frauenfußball viel Geld ist, zahlt der Männerfußball quasi aus der Portokasse. Mehr als 50 Spielerinnen wechselten im Sommer in der Bundesliga das Trikot. Dabei ist nicht ein einziger Euro an Ablöse geflossen. „Man schaut immer wer, wo, wie ablösefrei ist und versucht dann so zu verhandeln, dass man die Spielerin rechtzeitig bekommt“, sagt Chahed.

Auch international geht die Entwicklung weg vom traditionellen Frauenfußballklub. Im Halbfinale der Champions League standen mit dem FC Bayern, Chelsea, Paris St. Germain und Sieger FC Barcelona vier Großvereine. Der italienische Meister hieß Juventus Turin und in Spanien setzte sich der FC Barcelona im Titelkampf gegen Real Madrid durch. In der englischen Women’s Super League, die aufgrund ihrer hohen Professionalisierung vielen europäischen Ligen zum Vorbild dient, stammen in der kommenden Saison ausnahmslos alle Mannschaften von einem Männerverein ab. „Wir hinken da immer einen Schritt hinterher. Wir sind dran es auch besser zu machen bei Turbine. Aber es ist nicht so, dass man da mithalten kann, muss man klipp und klar mal sagen“, sagt Chahed zur Lage.

„Wir wollen weniger Gegentore bekommen, mehr Tore schießen und mehr Punkte haben als letzte Saison“, sagt Chahed

Anders sieht es beim ersten Potsdamer Gegner der Saison aus. Am Samstag tritt Turbine in Wolfsburg an (13.00 Uhr, Magentasport). „Jeder der hier ist, ist nach Wolfsburg gekommen, um das Maximale zu erreichen“, sagt der Wolfsburger neue Trainer Tommy Stroot. Im Vergleich zu seinem ehemaligen Klub Twente Enschede gebe es in Wolfsburg eine „ganz, ganz andere professionelle Basis“. Das gilt aber auch im Vergleich zu Turbine. Während Stroot in Wolfsburg plötzlich auch ein ganzes Team von Vollzeit-Mitarbeitern zurückgreifen kann, bleibt in Potsdam die meiste Arbeit an Cheftrainer Chahed und seinem Co-Trainer Dirk Heinrichs hängen. Sie leiten das Training, bereiten die Videoanalyse selbst vor und kümmern sich nebenbei noch darum, dass die Trainingsplätze rechtzeitig gewässert werden. Chaheds Vorgänger Matthias Rudolph war tagsüber sogar noch Gymnasial-Lehrer in Potsdam.

Im Profisport bedeutet mehr Geld vor allem mehr Zeit. „Wir haben hier einfach mehr Zeit miteinander, um Dinge zu lösen“, sagt Stroot. Nicht nur er, sondern auch viele seiner Spielerinnen können sich als Profis voll und ganz auf den Sport konzentrieren. Bei Turbine hingegen studieren viele Spielerinnen oder gehen arbeiten, „also spontan mal eine Trainingseinheit anzusetzen, das ist schwierig“, sagt Trainer Chahed. Manche seiner Spielerinnen würden eben ein oder zwei Mal in der Woche fehlen. „So professionell, dass wir 24 Stunden auf alle Zugriff haben sind wir nicht.“

Turbines sportliche Heimat ist der Sportpark Luftschiffhafen, genauer gesagt das Haus der Vereine. 2013 wurde der gelbe Backsteinbau eröffnet. Die Fußballerinnen teilen sich das Gebäude am Templiner See mit dem Kanu-Club Potsdam, der DLRG und dem Potsdamer Laufclub. Der Luftschiffhafen ist ein Gemeinschaftsprojekt mit wenig Schnickschnack. Turbine profitierte nicht wie andere Verein von der teueren Infrastruktur einer erfolgreichen Männermannschaft. Auch beim Training am Mittwoch sprintet eine Klasse der Sportschule Potsdam auf der Laufbahn um den Platz, während Turbines Spielerinnen Übungen mit dem Athletiktrainer machen und Chahed die nächste Einheit aufbaut. Es ist ein voller Tag: morgens Krafttraining, dann Videoanalyse zum Gegner Wolfsburg und nachmittags Training auf dem Platz.

Dass es gleich gegen Wolfsburg geht, könnte Turbine sogar entgegen kommen

Die Vorbereitungen auf dem Saisonstart laufen und die Ziele sind klar gesteckt. „Wir wollen weniger Gegentore bekommen, mehr Tore schießen und mehr Punkte haben als letzte Saison“, sagt Chahed. „Dass es jetzt Platz drei sein muss haben wir nicht besprochen.“

Trotz aller grundsätzlichen Nachteile blickt er optimistisch auf das Spiel gegen Wolfsburg, das dank des neuen TV-Deals live bei Magentasport und im Internet bei rbb gezeigt wird. „Die Vorbereitung lief gut, wie fit wir sind, wird sich jetzt am Wochenende unter Beweis stellen“, sagt Chahed. Eine Blaupause für den Erfolg als Außenseiter bekommt er von ungeahnter Seite. „Ich hab Jahre lang so gearbeitet, wie vielleicht die Turbinen in dieser Situation, von daher kann ich mich da sehr gut rein versetzten“, sagt Wolfsburgs Trainer Stroot. Er wurde in der letzten Saison mit Twente Enschede unter ähnlichen Rahmenbedingungen niederländischer Meister und liefert die passende Fußballweisheit gleich mit: „Wir beginnen mit 0:0 und wissen, wie Fußball so laufen kann.“

Dass es gleich gegen Wolfsburg geht, könnte Turbine sogar entgegen kommen. In der Vorbereitung gab es einen klaren Fokus: „Wir haben die Defensive stabilisiert“. Chahed möchte, dass sein Team hinten sicher steht und dem Gegner vorne mit guten Aktionen weh tut. An der Einstellung gebe es sowieso keinen Zweifel: „Wenn wir in jedes Spiel reingehen, als wenn wir gegen Bayern oder Wolfsburg spielen, gewinnen wir ganz viele Spiele, die wir im letzten Jahr noch unentschieden gespielt haben.“

Luca Füllgraf

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