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Der Erfolg ist zurück. Unter Matthias Rudolph läuft es bestens.

© imago/Buthmann

Turbine Potsdam: Matthias Rudolph gelingt der Neustart auf die freundliche Art

Nach der schlechtesten Saison der Vereinsgeschichte ist der Erfolg unter dem neuen Trainer erstaunlich schnell zurückgekehrt.

Ist spät geworden in der Schule. Nur noch eine halbe Stunde bis zum Trainingsstart. Matthias Rudolph, der tagsüber als Lehrer arbeitet und am Abend die Frauen von Turbine Potsdam trainiert, müsste sich jetzt eigentlich beeilen. Macht er aber nicht. Lieber dreht er erst seine Runde durchs Gebäude, so wie jeden Tag. Die Fußballerinnen sind auf dem Potsdamer Olympiastützpunkt am Luftschiffhafen in einem gewöhnlichen Funktionsgebäude untergebracht. Kabinen und Büros befinden sich im ersten Stock. Anfangs ist die Teammanagerin dran. „Hi Ronny“, sagt Rudolph, steckt kurz seinen Kopf zur Tür rein und schon ist er auch wieder verschwunden. Weiter geht’s zu den Betreuern, dann in die Kabine zu den Spielerinnen. Rudolph zählt kurz durch, fünfzehn sind es heute. „Besser als letzte Woche“, sagt er, da seien es zeitweise nur zehn gewesen. Zwei Drittel des Teams waren oder sind noch auf Länderspielreise. Algarve-Cup, Zypern-Cup. Rudolph überlegt kurz. „Und noch andere Cups, alle kann ich mir gar nicht merken.“ Im eigenen Büro angekommen, hängt er seine Jacke über die Lehne seines schwarzen Lederstuhls und fläzt sich hinein. Den rechten Fuß legt er aufs linke Knie, lehnt sich zurück. Die braunen Haare trägt er wieder halblang, so wie früher, als er für Babelsberg 03 in der Dritten und vierten Liga spielte. Mit 34 sieht Rudolph immer noch aus wie zu aktiven Zeiten. Er ist so dünn, dass er ein bisschen verloren wirkt, wenn er den blau-schwarzen Trainingsanzug von Turbine trägt.

Noch fünfzehn Minuten bis zum Trainingsbeginn. „Ich bin eher ein ruhiger Trainertyp“, sagt er und klingt dabei wie einer, der sich entschuldigt. „Ich sehe auch keinen Grund, mich zu verstellen, nur weil ich jetzt Cheftrainer bin.“

Bernd Schröder war über Jahrzehnte das Gesicht von Turbine

Matthias Rudolph hat die Frauen von Turbine Potsdam im Sommer als Trainer übernommen. Von Bernd Schröder, dessen Co-Trainer er war und der diesen Posten mit kurzer Unterbrechung 45 Jahre innehatte. Beinahe ein halbes Jahrhundert. Schröder war über Jahrzehnte das Gesicht des Vereins, er machte Turbine zum erfolgreichsten Fußballklub für Frauen in Deutschland. Meisterschaften, Pokale, Champions League – kein Titel, den Schröder mit den Potsdamerinnen nicht gewann. Ein erfolgreicher, aber kein einfacher Charakter. Ehemalige Spielerinnen bezeichneten ihn als Diktator, was Schröder gefiel. Es passte ja. Am Ende hatten seine Präsenz und sein rauer Ton etwas Lähmendes. Schröders letzte Saison missriet zur schlechtesten der Vereinsgeschichte. Turbine wurde nur Siebter, mit 27 Punkten Rückstand auf Meister Bayern München. Schröder, der sich gern als raue Stimme des Erfolgs bezeichnete, ging und übergab an seinen Co-Trainer.

Heute ist die Stimme des Erfolgs bei Turbine sanft, aber bestimmend. Disziplin ist Rudolph wichtig. Potsdam liegt nach dem 1:0-Sieg am vergangenen Wochenende gegen Hoffenheim an der Tabellenspitze mit zwei Punkten vor dem VfL Wolfsburg. Solch eine Saison hätten nur die wenigsten erwartet im Premierenjahr, und natürlich wird nun viel auf Rudolph projiziert. Frischer Wind, junger Trainer, moderne Methoden, das sind die Schlagworte, die er in der Zeitung liest.

Rudolph überzeugt mit positiver Ausstrahlung

Natürlich ist da was dran. Rudolph verweist zwar gern auf die Fähigkeiten der Neuzugänge und auf das enorme Verletzungspech, das Turbine im letzten Jahr unter Schröder hatte. Aber wer sich auf den Fluren nach den Veränderungen umhört, bekommt als erstes immer zu hören, wie fair und gerecht der neue Trainer alle Spielerinnen behandle. Wie kommunikativ er sei und welch positive Ausstrahlung er auf alle im Verein habe. „Der Trainer sucht das Gespräch mit uns, jede Spielerin weiß immer, wo sie gerade steht“, sagt Johanna Elsig. Sie ist seit fünf Jahren bei Turbine. Rudolph habe zu Saisonbeginn einfach den Reset-Knopf gedrückt, alles auf Null. Neustart. „Alle bekamen die gleiche Chance, sich zu beweisen. Egal, was vorher war“, sagt die Innenverteidigerin. Das habe die Stimmung im Team verbessert. „Wir haben dieses Jahr viel Spaß.“

Rudolph sagt, dass ihm die Atmosphäre im Team sehr wichtig sei. „Da ist nichts Künstliches. Wir haben eine homogene Gruppe, die Spielerinnen verstehen sich einfach gut und das sieht man auf dem Platz. Eine rennt für die andere.“

Noch fünf Minuten bis zum Training.

Rudolph wühlt in seinen Schubfächern nach leeren Blättern. Er will sich schnell noch ein paar Notizen machen und die Inhalte der heutigen Einheit aufschreiben. „Nach dem Training habe ich meist keine Lust mehr dazu“, sagt er.

Was das Archivieren angeht, ist er alte Schule. Alles kommt handgeschrieben auf Zettel, am Laptop schaut er sich höchstens die Spiele des kommenden Gegners an. „Aber auch das mache ich am liebsten eigentlich im Stadion“, sagt er.

Im Training ist der Ball immer dabei

Inzwischen ist es schon nach fünf, das Training hat längst begonnen. Rudolph zieht sich seinen viel zu großen Anzug an und läuft rüber ins Stadion, wo seine Spielerinnen unter Anleitung der Co-Trainer mit dem Warmmachen begonnen haben. Was sofort auffällt: Bei allen Übungen ist der Ball dabei. Auch bei den Konditionsübungen, die später folgen. Schwerpunkt an diesem windigen Märzabend sind aber taktische Inhalte, Rudolph lässt seine Spielerinnen immer wieder das gezielte Anlaufen des Gegners üben. Wenn ihm etwas nicht gefällt, unterbricht er kurz, erklärt und weiter geht’s. Turbines Trainer mag keiner sein, der gern schreit. Aber bestimmend, energisch, ehrlich, das ist er. „Muss ich auch als Trainer. Kritik verpacke ich nicht in Watte“, sagt er.

Taktisch habe sich Turbine in den letzten Monaten enorm weiterentwickelt, sagt Elsig. Die Zeiten, in denen viele Gegner mit Kraft und konditioneller Überlegenheit einfach niedergerungen wurden, sind vorbei. „Technisch und taktisch ist das Niveau deutlich gestiegen“, sagt Elsig. „Inzwischen sind alle taktisch in der Lage, den Gegner vor Probleme zu stellen.“ Tatsächlich hat sich das Leistungsgefälle verringert. Hohe, mitunter zweistellige Siege wie sie mal Standard waren, gibt es kaum noch. An schlechten Tagen kann ein Spitzenteam auch mal bei einem Abstiegskandidaten straucheln, was früher undenkbar war. Junge Trainer wie Rudolph haben die Szenerie in der Bundesliga der Frauen nachhaltig verändert. In Sachen Methodik, aber auch was Ansprache und Teamführung angeht. Sie sind bestens ausgebildet und verfolgen innovative Ansätze. Bei Titelverteidiger Bayern ist Trainer Thomas Wörle 35 Jahre alt, Frankfurts Matt Ross ist 39. Gladbachs Mike Schmalenberg mit 31 der Jüngste. Acht der zwölf Trainer und Trainerinnen in der Bundesliga sind jünger als 40.

Mittlerweile ist es dunkel und das Training nach knapp zwei Stunden zu Ende. Matthias Rudolph geht zurück ins Büro um seine Sachen zu holen. An der Wand hängt ein Bild, Bernd Schröder ist darauf zu sehen mit dem Champions-League-Pokal. Als es noch Schröders Büro war, hingen hier dutzende Bilder. Große Bilder, kleine Bilder. Alle zeigten Schröder, entweder mit Pokalen oder mit Größen aus Politik und Wirtschaft. Von Rudolph gibt es kein einziges im Raum. „Ich hab ja auch noch nichts gewonnen“, sagt er und lächelt. Was Titel angeht, mag das (noch) stimmen. Aber er hat innerhalb weniger Monate etwas geschafft, das für einen jungen Trainer noch wichtiger ist. Seine Spielerinnen folgen ihm. Niemand bei Turbine Potsdam redet mehr über Bernd Schröder.

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