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Julian Nagelsmann experimentierte viel, vielleicht auch zu viel.

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Transfers, System, Anspruch: Der FC Bayern steht vor einer neuerlichen Zäsur

Damit der FC Bayern auch in Europa weiter Titelkandidat bleiben kann, sind Verstärkungen nötig. Vor allem muss das Niveau auf der Ersatzbank höher werden.

Julian Nagelsmann schläft grundsätzlich gut, auch nach aufreibenden oder misslungenen Spielen. Das hat der Trainer des FC Bayern einmal erzählt. Ob dies auch auf die Nacht nach „einer der drei bittersten Niederlagen“ in seiner Karriere zutrifft, ist nicht bekannt. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn das Viertelfinal-Aus in der Champions League nach dem 1:1 im Rückspiel gegen den FC Villarreal dem 34-Jährigen den Schlaf geraubt hätte.

Die Bayern sind ja nicht wie im vergangenen Jahr an einem Klub aus der europäischen Beletage gescheitert, sondern an einem Kleinstadtverein ohne große Stars, an einem Außenseiter. Sie waren nach der desolaten Leistung beim 0:1 im Hinspiel am Dienstagabend zwar stärker, aber es war keineswegs „eines der besten Spiele der vergangenen Monate“, wie Nagelsmann erklärte. Auch dieses Mal fehlte der Esprit und die Präzision, um mehr als das Tor von Robert Lewandowski zu erzielen. Und es unterlief den Münchnern kurz vor Schluss doch noch ein Patzer, der zum 1:1 führte. Selbst Thomas Müller war danach einigermaßen sprachlos und meinte nur: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

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Für eine Fehleranalyse war es an diesem Abend vielleicht auch noch zu früh, wobei sich das Ungemach angekündigt hatte. Nicht erst im Hinspiel, schon davor. Und genau betrachtet eigentlich schon nach dem Champions-League-Triumph in Lissabon 2020. Seitdem verloren die Münchner in Thiago, David Alaba und Jerome Boateng gleich drei Schlüsselspieler sowie in Ivan Perisic und Coutinho zwei Profis, die das Niveau auf der Ersatzbank hoben.

Bekommen haben sie viel Durchschnitt und lediglich einen Spieler, der die Mannschaft aktuell besser machen kann: Leroy Sané. Dayot Upamecano dagegen ist zwar ein talentierter Verteidiger, aber er hat trotz guter Leistung am Dienstag auch da sein vielleicht größtes Manko im Vergleich mit Alaba und Boateng offenbart: Spieleröffnung kann er ebenso wenig wie Lucas Hernandez.

Nagelsmann sagte mit Blick auf neue Spieler: „Da werden wir uns umschauen müssen“

Nagelsmann dürfte im Laufe seines ersten Bayern-Jahres klar geworden sein, dass er mit diesem Kader die sehr hohen Erwartungen des Vereins kaum erfüllen kann. „Das Halbfinale ist ja immer so das Minimalziel“, weiß er. Neben der Meisterschaft, versteht sich. Er hat sich lange zurückgehalten mit Forderungen nach neuen Spielern, aber wenn der Anspruch immer der gleiche bleibe, sagte Nagelsmann am Dienstag, „werden wir uns umschauen müssen“ auf dem Transfermarkt.

Zumal einige Personalfragen noch ungeklärt sind. Dass sich die Verhandlungen mit Robert Lewandowski, Thomas Müller und Serge Gnabry über die Verlängerung ihrer 2023 auslaufenden Verträge hinziehen, die Zukunft der drei Spieler immer noch ungeklärt ist, zeugt nicht von großer Weitsicht. Die Diskussionen um einen möglichen Abgang von Lewandowski können den Teamfrieden stören, wenngleich Nagelsmann das nicht als Ursache für das Viertelfinal-Aus heranziehen will. „Das wäre mir zu viel Alibi.“

Deyot Upamecano (l.) ist vor allem in der Spieleröffnung zu häufig überfordert.
Deyot Upamecano (l.) ist vor allem in der Spieleröffnung zu häufig überfordert.

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Die Münchner stehen wieder vor einer Zäsur, und das hat nicht einmal etwas damit zu tun, ob der zweimalige Weltfußballer nun bleibt oder geht. Sie wollen und sie können nicht mithalten mit dem Finanzgebaren anderer europäischer Topklubs, zumal sie bei einigen Gehaltsforderungen schon über ihre Grenze gingen, gehen mussten, weil das fürstliche Salär, mit dem sie Leroy Sané und Lucas Hernandez bei deren Verpflichtungen ausgestattet hatten, das Gefüge sprengte – und bei den Teamkollegen Begehrlichkeiten weckte. Da bleibt nicht mehr viel Spielraum für teure Neuverpflichtungen.

Nagelsmann wird nicht nur daran gemessen werden, wie er den Umbruch moderiert, sondern vor allem, wie gut seine Ergebnisse sind. Er hat in seinem ersten Jahr viel richtig gemacht, aber beileibe nicht alles. Dass er es nicht geschafft hat, Stabilität in die Mannschaft zu bringen, mag mit den vielen Ausfällen zu tun haben. Doch er hat viel experimentiert mit dem System, vielleicht zu viel. Er weiß, dass die Bewertung seines Jobs und die der Saison „auch ein bisschen davon abhängt, wie wir die Meisterschaft gestalten“.

Ob die Bayern souverän den großen Vorsprung verteidigen und auch noch Verfolger Borussia Dortmund im Prestige-Duell in eineinhalb Wochen bezwingen. Damit hätte Nagelsmann ein ähnliches Ergebnis wie Hansi Flick im vergangenen Jahr geschafft. „Aber das“, weiß er, „ist für Bayern München nicht ausreichend.“

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