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Neue Rangordnung. Thomas kommt jetzt vor Froome.

© dpa

Tour de France 2018: Geraint Thomas: Der Schattenmann

Geraint Thomas steht kurz davor, Chris Froome bei der Tour de France zu entthronen. Dabei erinnert der 32-Jährige eher an Bradley Wiggins.

Der Bus von Team Sky steht fast unbeachtet im Schatten des Daches der offenen Markthalle des 1000-Einwohnerörtchens Trie-sur-Baise. Gitter begrenzen den Startbereich, wer sie passieren darf, geht lieber zu Peter Sagan, dem Sonnyboy des Radsports, oder zu Arnaud Demare, dem einheimischen Sprinterstern, der die Etappe am Donnerstag triumphal für sich entschied. Sky steht dagegen im Schatten, und zwar im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn. Denn Froome, der bisherige Star des Rennstalls, ist in einen sportlichen Schatten getreten, und sein Schattenmann Geraint Thomas hat das Zepter übernommen. Die Neugier auf ihn hält sich in Grenzen. Das französische Publikum ist sogar der Buhrufe müde geworden. Einige von ihnen hatten eine Zeitlang noch ihre Unmutsbekundungen von Froome, dem sie eigentlich galten, auf Thomas übertragen.

Und damit auf einen Athleten, der gar nichts mit Froomes Salbutamol-Fall zu tun hat. Thomas hat im Dezember 2017, als der Fall publik wurde, sogar gesagt hat: „Ich wäre dafür, dass man die therapeutischen Ausnahmegenehmigungen abschafft.“ Respekt dafür, vor allem angesichts der intransparenten Verhältnisse gerade im eigenen Rennstall. Dass der Waliser dennoch in eine Art Geiselhaft der Abneigung genommen wird, nimmt er mit Gleichmut hin. „Lieber das Rennen gewinnen und dabei ausgepfiffen werden als von allen gefeiert zu werden, aber das Rennen verloren zu haben“, sagt er. Bloß nicht beeindrucken lassen, das eigene „mindset“ – ein Lieblingsausdruck von Thomas – stets aufrechterhalten.

Mentale Kraft, das loben dann auch alle, die ihn näher kennen, als die größte Stärke des 32-Jährigen. „Er ist total relaxed, entspannter noch als Bradley Wiggins, der auch schon ziemlich entspannt war“, meint Rod Ellingworth, Coach bei Team Sky und British Cycling.

Selbst Altstar Wiggins meldet sich in dieser Causa zu Wort. „Ich habe ihn 2008 beobachtet, als wir im Olympischen Finale standen. Dieser Bursche ließ sich von nichts beeindrucken. Der ganze Druck prallte an ihm ab. Er wollte schlicht das Finale genießen und die Goldmedaille gewinnen“, sagte Wiggins, der gemeinsam mit Thomas im Vierer der Mannschaftsverfolgung in Peking 2008 Gold gewann.

Mit Wiggins zusammen war Thomas Olympiasieger auf der Bahn

Wiggins und Thomas – die beiden weisen erstaunliche Parallelen auf. Beides Bahnfahrer, beides Bahnolympiasieger, beides erstklassige Rundfahrer auf der Straße. „Dass Bahnfahrer gute Straßenfahrer werden, das gab es schon früher. Im Straßenvierer haben uns die DDR-Bahnfahrer immer heftig zugesetzt. Ausdauersportler auf der Bahn machen ja die selben Kilometer im Training wie Straßenfahrer, nur dass sie eben auch dann fahren, wenn es draußen stürmt und schneit“, erzählt Rolf Aldag. Auch die Intensität des Bahntrainings sei höher, betont der frühere Profi und aktuelle Performance Manager von Team Dimension Data.

Die Bahn ist also eine gute Basis für die Straße. „Bei uns wollen alle Jungs eigentlich Straßenfahrer werden. Sie kommen dann aber ins Bahnprogramm. Medaillen bei WM und Olympia sind auch ein großer Anreiz. Das wird im Lande sehr geschätzt“, erzählt Ellingworth. Und später entscheiden sich einige von ihnen dann für die Straße, siehe Wiggins, siehe Mark Cavendish, siehe die Yates-Zwillinge. Und siehe jetzt auch Geraint Thomas.

„Für Geraint war der Schritt von der Bahn auf die Straße nicht so groß wie der von Bradley. Brad musste sich noch viel selbst erkämpfen, damals im französischen Rennstall Cofidis. Für Geraint war das einfacher“, vergleicht Ellingworth die beiden.

Ex-Bahnfahrer Thomas ließ auf der Straße noch eine weitere Transformation folgen. Vom passablen Klassikerfahrer, mit Top-Ten-Resultaten bei der Flandernrundfahrt und bei Paris-Roubaix, entwickelte er sich zum Rundfahrer. Dazu hungerte er sich auf sein aktuelles Wettkampfgewicht herunter. Britischen Medien zufolge verlor er allein 2015 acht Kilogramm. „Das ist der härteste Teil von allem, das Essen. Ich habe nichts gegen hartes Training, ich liebe Wettkämpfe. Aber jeden Tag aufpassen zu müssen, was du zu dir nimmst, ist eine echte Qual", meinte Thomas bei dieser Tour.

Spätestens am Sonntag in Paris weiß der klapperdürre Profi, ob diese Qual sich gelohnt hat.

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