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Auch im Alter von 39 Jahren ist Timo Boll noch konkurrenzfähig.

© Lu Yang/Xinhua/dpa

Timo Boll über Olympia in Tokio: „Ich wäre dafür gewesen, die Spiele um zwei Jahre zu verschieben“

Deutschlands erfolgreichster Tischtennisspieler Timo Boll spricht über das Hin und Her um die Olympischen Spiele und Qualen auf dem Fahrrad-Ergometer.

Timo Boll, 39, ist der erfolgreichste deutsche Tischtennisspieler. Bei großen internationalen Turnieren gewann er über drei Dutzend Medaillen. Er war erstmals 2000 bei Olympischen Spielen dabei. 2008 gewann Boll Olympia-Silber mit der Mannschaft sowie 2012 und 2016 Bronze. In Rio trug er 2016 die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier. Im Interview spricht der Linkshänder über die Verschiebung der Spiele in Tokio, Kurzarbeit und schweißtreibende Einheiten auf dem Ergometer.

Herr Boll, nun ist endgültig klar, dass die Olympischen Spiele nicht in diesem Sommer stattfinden. Eine richtige Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC)?
Definitiv. Die ganze Welt hat momentan Riesenprobleme. Da dürfen wir im Sport nicht glauben, dass wir am Ende nicht betroffen sind.

Kam die Entscheidung zu spät?
Es geht um viel Geld und durch die Verschiebung ergeben sich organisatorische Probleme. Daher haben sich die Verantwortlichen an den letzten Strohhalm geklammert. Das ist ja anderswo genauso, beispielsweise in der Fußball-Bundesliga. Aus unternehmerischer Sicht kann ich das nachvollziehen. Aber noch einmal: Es war die einzig richtige Entscheidung. Ich wäre sogar dafür gewesen, die Spiele um zwei Jahre zu verschieben.

Aus welchem Grund?
Niemand weiß, wie es in einem Jahr in gesundheitlicher Hinsicht in Sachen Massenveranstaltungen aussehen wird. Aber im Sinne des Fairplay-Gedankens, für den Olympische Spiele ja stehen, ist auch die jetzige Entscheidung gut. Das zeigt sich auch bei der aktuellen Situation bei uns im Tischtennis.

Wie sieht es dort aus?
In vielen Teilen der Welt herrscht absoluter Stillstand. Aber die Japaner und Chinesen trainieren weitgehend normal. In China wurde sehr vorausschauend gehandelt. Nach den German Open Ende Januar war das Nationalteam erst lange in Katar und hat sich danach in Macau eingerichtet.

Was bedeutet es mental, dass jetzt Klarheit herrscht?
Das entlastet schon. Der Gedanke, bald wieder richtig anfangen zu müssen, weil es sonst wirklich eng wird mit der Form, ist weg.

Sie haben an fünf Olympischen Spielen teilgenommen und 2016 in Rio die deutsche Fahne getragen. Wie gehen Sie mit der Verschiebung um?
Ich war wie andere Spieler auch körperlich am Limit. Es gibt im Tischtennis gute Beispiele von älteren Spielern, die eine längere Pause genutzt haben, um zu regenerieren und dann noch einmal richtig stark zurückzukommen.

Bei den Olympischen Spielen in Rio trug Timo Boll die deutsche Fahne.
Bei den Olympischen Spielen in Rio trug Timo Boll die deutsche Fahne.

© Michael Kappeler/dpa

An wen denken Sie?
Vor allem an Jörgen Persson, der 2008 im Einzel das Halbfinale der Olympischen Spiele erreicht hat.

Persson war 42 Jahre alt, drei Jahre älter als Sie jetzt.
So etwas motiviert mich. Ich hoffe und glaube daran, dass ich auch in einem Jahr auf einem guten Level mitmischen kann und nicht nur dem olympischen Motto „dabei sein ist alles“ folgen muss. Aber für mich als Vollprofi und jemand, der schon oft dabei war, ist die Situation natürlich einfacher als für andere, das ist gar keine Frage.

Für viele ist Olympia eine einmalige Chance.
Ich kann vollkommen mitfühlen mit Sportlern, die ihr Leben lang diesen Traum hatten. Manche haben beim Job ausgesetzt und richtig Gas gegeben, um im richtigen Moment topfit zu sein. Da bricht jetzt eine Welt zusammen. Das ist sehr traurig und schade. Ich hoffe, diejenigen kriegen das irgendwie noch gedeichselt.

Bemerken Sie persönlich Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie?
Ich bin auch auf Kurzarbeit, mein Verein Borussia Düsseldorf hat schnell reagiert. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Wir müssen alle schauen, wie es weitergeht und ich bin froh, dass meine Sponsoren weiter zu mir stehen.

Können Sie derzeit trainieren?
Ich war seit dem letzten Bundesligaspiel vor zweieinhalb Wochen nicht mehr in einer Tischtennishalle. Das Leistungszentrum in Düsseldorf ist geschlossen. Es juckt langsam in den Fingern. Aber zum einen komme ich nach einer Pause viel schneller wieder rein als mit 20. Da habe ich nach zwei Wochen Pause am Ball vorbeigeschlagen. Inzwischen hilft mir die Erfahrung. Zum anderen gibt es gerade wichtigere Dinge.

Sie machen also eine Sportpause.
Zumindest eine Tischtennispause. Bei uns zu Hause im Ort im Odenwald werde ich nicht den Bürgermeister anbetteln wegen einer Ausnahmegenehmigung für das Training. Ich will mich vorbildlich verhalten und den ganzen Weg mitgehen, der von jedem gefordert wird. Ich war in den letzten zwei Wochen dreimal draußen, um in den Supermarkt zu gehen. Meine sonstigen persönlichen Belange stehen hinten an. Ich schaue jeden Tag intensiv Nachrichten, um zu sehen, wie sich die Lage entwickelt. Momentan bin ich ein Schaf, das der Herde folgt (lacht). Und auf mich warten derzeit ganz andere Herausforderungen.

Welche sind das?
Ich beschäftige mich quasi 24 Stunden mit meiner Tochter, sie ist sechs. Das macht viel Spaß. Es ist aber auch eine Herkulesaufgabe, Abwechslung reinzubringen, damit sie sich nicht langweilt.

In Rio gewann Timo Boll mit der Mannschaft Bronze.
In Rio gewann Timo Boll mit der Mannschaft Bronze.

© picture alliance / dpa

Haben Sie eine Tischtennisplatte zu Hause?
Ich habe einen Tischtennisroboter und eine Platte. Die reicht nicht, um professionell zu trainieren, aber es ginge schon irgendwie. Momentan ist sie nicht aufgebaut, dafür müsste ich den Billardtisch wegräumen. Zum Glück habe ich im Haus einen kleinen Fitnessraum mit schöner Aussicht auf den Odenwald. Ich mache Krafttraining und bin viel auf dem Ergometer unterwegs. Ein Kumpel hat mir eine Plattform empfohlen, mit der auch Radprofis trainieren. Die gefällt mir sehr gut.

Verraten Sie uns doch bitte, was das genau ist.
Man kann virtuelle Rennen gegen echte Teilnehmer weltweit fahren und sich wie in einem richtigen Rennen auch an eine Gruppe dranhängen. Es gibt zig Events am Tag, mit Bergwertungen und Sprints. Ich habe schon ein paar Nahtod-Erfahrungen hinter mir, nachdem ich im Schlussspurt alles gegeben habe (lacht). Wenn es wieder losgeht mit Tischtennis, werden zumindest meine Beine gut trainiert sein.

So eine Plattform bräuchten Sie auch für Ihren Sport.
Es gibt ja einige Tischtennisspiele für die Wii. Aber das hat wenig mit der realen Welt zu tun. Da stellt sich kein Trainingseffekt ein. Dafür müsste die Rotation des Balles korrekt simuliert werden, das ist noch nicht möglich.

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