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Alte Turbo-Zeiten mit Turbine. Zwanziger, DFB-Präsident von 2004 bis 2012, gratuliert Potsdams Jennifer Zietz 2010 zur Meisterschaft.

© Manfred Thomas

Theo Zwanziger über den deutschen Frauenfußball: „Ich würde mir mehr Mut wünschen“

Im Interview spricht der frühere DFB-Präsident über veraltete Denkmuster, Veränderungen im Verband und die Suche nach einem Grindel-Nachfolger.

Von David Joram

Herr Zwanziger, wie gut haben Sie sich denn mit Ihrem damaligen Vorgänger als DFB-Präsident, Gerhard Mayer-Vorfelder, verstanden, was das Thema Frauenfußball betrifft?

Viel besser, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihm nach den anfänglichen Schwierigkeiten. Es hat mir sehr gefallen, dass er mein Engagement für den Frauenfußball beobachtet hatte. Als wir 2007 in China Weltmeister wurden, habe ich Herrn Mayer-Vorfelder zum Endspiel eingeladen. Er kam auch und sagte, er fände es sehr gut, dass ich mich auf diesem Feld sehr stark engagiere. Das sei gut für den Fußball.

2008 sagte Mayer-Vorfelder, „Frauen müssen spielen, wie es der Frau entspricht“. Er meinte, der Ball müsse nicht gleich groß sein und Frauen müssten auch nicht so lang spielen wie Männer. Wie stehen Sie zu solchen Überlegungen?

Sie müssen das im Kontext sehen, Mayer-Vorfelder kommt aus einer anderen Zeit. Genauso gut könnten Sie Sepp Herberger zitieren, Günter Netzer oder viele andere. Mit Netzer bin ich gut befreundet, er hatte für Frauenfußball zunächst sehr wenig übrig.

Zunächst?

Ich nahm ihn dann mal mit zu einem Frauenfußball-Länderspiel. Danach hat er gesagt: „Theo, die sind viel besser als ich dachte, die spielen ja wirklich gut Fußball.“ Ich antwortete: „Ja, die spielen gut Fußball, nur nicht ganz so schnell und so hart wie die Männer, sie haben das Niveau der Männer-Europameisterschaftsmannschaft von 1972, bei der du auch mitgespielt hast.“

Auch in der „Zeit“ stand kürzlich, man müsse über kürzere Spielzeiten oder ein kleineres Spielfeld nachdenken.

Das sind Vorschläge und Gedanken, die von einem Frauenbild aus den 1950er und 1960er Jahre ausgehen. Damals war völlig klar: Wir müssen die armen Mädchen behüten. Die Zeit ist aber vorangeschritten. Nun sitzen Frau Merkel, Frau von der Leyen und AKK nebeneinander. Ganz egal, wie man politisch denkt – ein tolles Bild! Ein Bild für unsere Gesellschaft, das brauchen wir.

Und das heißt für den Fußball?

In den Männerdomänen brauchen wir auch Frauen – nicht nur Frauen –, die mit ihren ganz spezifischen Fähigkeiten dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft menschlicher wird. Der Fußball ist so eine klassische Männerdomäne, in der man schon immer sehr geringschätzig über die Rolle der Frau gedacht hat. Es hieß dann eben immer, weil man nie so direkt sein wollte: Die armen Mädchen müssen wir behüten. Dummes Zeug!

Kurz gesagt: Sie halten nichts von anderen Regeln für Fußballerinnen?

Überhaupt nichts, nein. Frauen haben in ihrer Leistungsfähigkeit keine Grenzen. Wir brauchen deshalb keine Handicaps. Man muss Fußballerinnen fördern und fordern.

Zuerst in der Breite, weil daraus eine starke Spitze wächst?

Das kann so sein, sollte so sein, muss nicht so sein.

Sondern?

In verschiedenen Sportarten gibt es Beispiele, wo kleine Länder ein höchstes Niveau erreichen können. Island fällt mir da immer ein. Das Land hat eine äußerst optimierte Spitzenauswahl. So kann man aus einem kleineren Talentepool, den man natürlich sehr früh gewinnen muss, mit einer starken Spitzenförderung Topleistungen herausbekommen.

Fußball-Deutschland scheint eher über das breite Vereinswesen seine Spitze zu formen, zumindest bei den Männern.

Allerdings ist die Umsetzung aus der Breite in die Spitze eine sehr problematische Scharnierstelle. Wenn die Topleute in ein soziales Feld eingebunden werden, in dem sie ihre Spitzenleistung nicht abrufen können, fördert man sie auch nicht ausreichend. Das hat Mayer-Vorfelder mit dem Nachwuchsförderprogramm nach 2000, als wir am Boden lagen, korrigiert – sonst hätten wir die Erfolge im Männerfußball in den folgenden Jahren nicht gehabt.

„2011 haben wir eine Zäsur erlebt“

Endstation Rennes. Das DFB-Team mit Lina Magull (l.) und Giulia Gwinn schied bei der WM im Viertelfinale aus.
Endstation Rennes. Das DFB-Team mit Lina Magull (l.) und Giulia Gwinn schied bei der WM im Viertelfinale aus.

© Damien Meyer/AFP

Braucht der deutsche Frauenfußball nun ähnliche Reformen wie es sie nach der desolaten EM 2000 bei den Männern gab?

Ich glaube, der Fußball ist so einfach, dass die wesentlichen Merkmale auf der Hand liegen.

Und zwar?

Der DFB muss mit den Landesverbänden die Vereine überzeugen, dass sie Mädchen, die Fußball spielen wollen, auch Fußball spielen lassen. Das ist der entscheidende Einstieg. Aber in der Breite fällt es den Vereinen schwer, entsprechende Angebote zu machen. Deshalb müssen die Landesverbände die Aufgabe sehen, in jedem Fußballkreis mehrere Stützpunkte für Mädchen anzubieten.

Muss der DFB also stärkere Impulse setzen, damit die Landesverbände mehr tun?

Natürlich muss der DFB bereit sein, diverse Konzepte zu finanzieren. Unentgeltlich geht das alles nicht. Das muss wieder neu gesehen und verstärkt werden. 2011 haben wir eine Zäsur erlebt, nachdem die Hoffnungen, Weltmeister im eigenen Land zu werden, nicht erfüllt wurden. Danach gab’s eine Delle. Ich weiß, dass der DFB nun wieder verstärkt an der Basisarbeit dran ist, er kann das von oben aber nur begleiten. Jeder Landesverband muss von der Entwicklung des Frauenfußballs begeistert werden, in die Pflicht genommen und unterstützt werden.

Nationaltorhüterin Almuth Schult beklagte vor der WM im Interview mit der „FAZ“, dass sie beim DFB die Wertschätzung für den Frauenfußball vermisse. Welchen Eindruck haben Sie?

Die Zahlen fußballspielender Mädchen sind in den letzten Jahren jedenfalls zurückgegangen. Im Spitzenbereich sind die Erfolge nicht mehr so selbstverständlich wie sie das mal waren. Hinzu kommt, dass die Männerfußball-Bundesliga vieles überstrahlt. Man muss also kämpfen, um kluge Konzepte umzusetzen.

Braucht es vielleicht wieder eine stärkere Interessensvertretung für Fußballerinnen beim DFB?

Ich kann das nicht beurteilen, das will ich auch nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass der DFB insgesamt eine positive Einstellung zum Frauenfußball hat. In gewissen Abschnitten muss man das halt immer wieder neu aufrufen

So wie jetzt, wenn man die Leistungen der USA, England oder von Frankreich bei der WM gesehen hat?

Man muss anerkennen, dass andere einfach besser geworden sind, während wir die Aufmerksamkeit für das Thema wieder neu entdecken müssen; und im Spitzenbereich sind Veränderungen angesagt.

Sind nun Klubs wie Hertha BSC, Schalke 04 oder Borussia Dortmund gefordert, die noch gar kein Frauenteam haben?

Man kann nicht alles auf einmal verändern. Ich würde mir wünschen, dass man beim DFB auf eine Verbesserung der Situation der aktuellen Frauen-Bundesligisten setzt, sportlich wie wirtschaftlich. Und die Teams müssen auch öffentlich sichtbar werden. Warum ist der Männerfußball – auch gegenüber anderen Sportarten – so weit voraus?

Ihre Antwort?

Weil wir jede Woche verrückte Fußballspiele haben, die im Fernsehen und überall übertragen werden. Die Frauen-Bundesliga wird nie in diese Position kommen, es könnte aber besser sein. Ich habe das Gefühl, dass sich auch die Vereine der Frauen-Bundesliga mehr engagieren müssten. Und da sind wir wieder beim Männerfußball: In meiner Amtszeit habe ich mich mehrfach dafür eingesetzt, dass Männerfußball-Bundesligisten auch Frauenfußball anbieten. Ich war engagiert und ich habe Erfolg gehabt: in Leverkusen, in Bremen, in Mönchengladbach …

… die zuletzt allerdings mit einem Punkt aus 22 Spielen sang- und klanglos aus der Bundesliga abgestiegen sind.

Dazu folgende Geschichte: Mein Freund Rolf Königs, der Gladbacher Präsident, hat mir damals versprochen, sich um das Thema zu kümmern. Jedes Jahr, wenn Gladbach wieder eine Klasse nach oben kam, hat er mich stolz angerufen. Aber ich sage es mal so: Das ganze Herzblut ist nicht dabei. Frauenfußball braucht eine ehrliche Hinwendung. Man darf es nicht nur als Alibi betreiben.

Wäre dem Frauenfußball dennoch geholfen, wenn alle Männer-Bundesligisten die Lizenz nur dann erhalten würden, wenn sie auch ein Frauenfußballteam haben?

Sie würden wahrscheinlich mehr Porzellan zerschlagen als sie gewinnen. Die Klubs müssen es aus innerer Überzeugung machen.

Braucht es nicht klarere Regeln, um mit der Weltspitze zu konkurrieren?

Es gibt ja Entwicklungen in diese Richtung. In den letzten zehn Jahren sind Bayern, Wolfsburg oder Hoffenheim dazugekommen. Es ist immer besser, wenn solche Entwicklungen zwanglos passieren.

Sind andere europäische Länder wie England also einfach handlungsschneller?

In England hat sich die gute Entwicklung aus den unglaublichen wirtschaftlichen Bedingungen des Männerfußballs so mitergeben. Jetzt haben sie gemerkt, dass die Werbeplattform Nationalmannschaft auch ein starker Faktor sein kann. Und sie haben die wirtschaftlichen Voraussetzungen so verbessert, dass sie plötzlich ein Markt für gute ausländische Spielerinnen sind. Aber: So weit vor uns liegen sie nun auch wieder nicht.

„Das ist mit Geld allein nicht zu schaffen“

Mut wird belohnt. Weltmeisterin Megan Rapinoe aus den USA überzeugte auf und neben dem Platz.
Mut wird belohnt. Weltmeisterin Megan Rapinoe aus den USA überzeugte auf und neben dem Platz.

© Bruce Bennett/AFP

Wünschen Sie sich manchmal Spielerinnen wie US-Star Megan Rapinoe in Deutschland?

Ja, mehr Mut würde ich mir wünschen, auch wenn das in einem Verbandswesen wie unserem nicht immer gut ankommt. Aber das ist der gesellschaftliche Auftrag von Frauen und Mädchen, Mut zu haben in einer Gesellschaft, in der nach wie vor dieses patriarchalische Denken steckt. Und wenn wir nationalistische oder rechtsradikale Bewegungen sehen, wünsche ich mir den Mut von Frauen, sich deutlich dagegen zu positionieren. Das ist wichtig. Rapinoes Auftritt hat mich sehr gefreut.

Welche Mittel müsste der DFB aufwenden, um wieder aufzuholen, vielleicht sogar in Richtung USA?

Das kann ich schwer einschätzen. Klar ist aber: Wir sind eine Vereinslandschaft, wir können das nicht von oben befehlen. Wir können nur Anreizsysteme schaffen, dazu muss man sich Arbeit machen. Das ist mit Geld allein nicht zu schaffen, das Entscheidende ist die Geisteshaltung: Will ich oder will ich nicht?

Die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg spricht gern von Konzepten und Strukturen, die beim DFB in die richtige Richtung zeigen würden. Aber was heißt das konkret?

Was der DFB im Einzelnen plant, weiß ich nicht. Das Ziel ist aber klar: Die Frauenfußball-Bundesliga braucht eine bessere Vermarktung, sie braucht mehr Fernsehpräsenz. Letztlich braucht sie auch eine bessere Selbstverwaltung. Bisher ist sie ein reines Anhängsel des DFB. Von der wirtschaftlichen Seite her wird sie das auch bleiben. Es wäre aber gut, wenn man den Klubs der Ersten und Zweiten Liga signalisieren würde, dass sie eben auch eigene Rechte haben – und damit auch eigene Pflichten.

Das heißt?

Man muss die Klubs mit in die Verantwortung nehmen, in einer Art Ligaausschuss binden. Ich sage da nichts Neues, man befindet sich auf diesem Weg. Ich hoffe, dass es Ende September beim DFB-Bundestag gelingt, die Weichen in Richtung mehr Selbstständigkeit zu stellen.

Bis Oktober wird es auch einen neuen DFB-Präsidenten geben müssen – oder eine neue DFB-Präsidentin. Wie gut wäre für den Frauenfußball ein zweiter Theo Zwanziger?

Jetzt mal ganz langsam.

Nun, Sie galten als großer Freund und Förderer des Frauenfußballs.

Ich wünsche mir jemanden, der die gesamte gesellschaftliche Breite des Fußballs richtig einzuschätzen weiß. Nicht mehr und nicht weniger.

Wer könnte diese Person sein?

Es kommt ausschließlich auf den Inhalt an. Und man muss das Amt gerne machen. Ich will einen Vergleich ziehen.

Bitte.

Wer die Rede von Frau von der Leyen im europäischen Parlament gehört hat, der hat gemerkt: Ja, die Frau will dieses Amt, sie will Kommissionspräsidentin werden. Egal, wie man zu ihr stehen mag – aber sie will. Für den Fußball wünsche ich mir jemanden mit genau diesem Anspruch: Ich will das – und ich will diesen Fußball so entwickeln, dass er seine gesellschaftliche Bedeutung mit sportlichen Erfolgen verbinden kann.

Wer könnte das am besten?

Ich werde mich sicher nicht an irgendwelchen Spekulationen beteiligen.

Im Jubelrausch. Kanzlerin und DFB-Präsident saßen bei wichtigen Länderspielen des Öfteren nebeneinander.
Im Jubelrausch. Kanzlerin und DFB-Präsident saßen bei wichtigen Länderspielen des Öfteren nebeneinander.

© dpa

Sie bildeten mit Mayer-Vorfelder von 2004 bis 2006 eine Doppelspitze. Wäre nun die Zeit wieder reif dafür, vielleicht für ein Duo bestehend aus Frau und Mann?

Das war eine Doppelspitze, in der die Aufgaben klar getrennt wurden. Es war auch eine Kompromissentscheidung, die man manchmal eben eingehen muss. 2004 fiel uns das leicht, weil die WM 2006 vor der Tür stand. Es gab viel zu tun. Mayer-Vorfelder war wesentlich für den internationalen Teil und die Nationalmannschaft der Männer zuständig, während ich die vielen anderen Aufgabenfelder bearbeitete. Das Arbeitspensum von 2004 bis 2006 war intensiver als alles andere, was ich sonst beim DFB gemacht habe.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft interessiert sich sehr für diesen Zeitraum und die Frage, welche Rolle Sie beim Umgang mit den ominösen 6,7 Millionen Euro gespielt haben. Das Verfahren läuft schon seit Ende 2015. Wie ist der aktuelle Stand?

Wir haben uns über ein Interview zum Frauenfußball verständigt, dabei bleibt es auch.

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