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Selber Ort, selbe traurige Kulisse. Hertha (Mitte Matheus Cunha) und Union (rechts Marvin Friedrich, links Grischa Prömel) treffen im leeren Olympiastadion aufeinander.

© Stuart Franklin/dpa

Taktik für das Derby: Hertha und Union sind sich statistisch gar nicht so unähnlich

So nah wie vor diesem Derby waren sich Hertha BSC und der 1. FC Union wohl noch nie. Die Köpenicker haben jedoch einen großen Vorteil. Eine Analyse.

Wer die fußballerische Vorherrschaft in Berlin für sich beanspruchen kann, entscheidet sich beim Derby am Freitagabend (20.30 Uhr, live bei Dazn). Hertha BSC und der 1. FC Union sind sich, was die Qualität auf dem Rasen anbelangt, wahrscheinlich so nah wie noch nie. Den namhafteren Kader haben gewiss die Herthaner, aber Union hat sich mit seiner Spielphilosophie den Respekt der gesamten Liga erarbeitet.

Die Mannschaft von Urs Fischer hat in den vergangenen Monaten mit einem erfrischenden Offensivfußball, wie man ihn eher aus Dortmund oder Mönchengladbach kennt, für Aufsehen sorgt. Bei Union läuft der Ball wohl überlegt durch die eigenen Reihen, lange Passstafetten sind ausdrücklich gewünscht. Die Köpenicker sind nicht nur tabellarisch kein Abstiegskandidat mehr, sondern auch spielerisch weit weg von den schwächsten Mannschaften der Liga.

Auf den ersten Blick mag die neugewonnene Lust am Kombinationsspiel mit Offensivanker Max Kruse zusammenhängen. Aber der 32-Jährige kann allein nicht dafür verantwortlich sein, dass Union nun geduldiger am Ball bleibt. Die gesamte Mannschaft möchte Fußball spielen und ihn nicht zerstören.

An sich ist das auch die Philosophie von Bruno Labbadia. Allerdings sitzt Herthas Trainer aktuell zwischen den Stühlen. Stellt er seine Mannschaft offensiv ein und fordert von ihr konstruktives Ballbesitzspiel, hagelt es schon mal Gegentore wie zuletzt gegen Borussia Dortmund. Setzt er hingegen auf eine defensive Ausrichtung wie im darauffolgenden Spiel gegen Bayer Leverkusen, kann sich Hertha vielleicht weitestgehend schadlos halten, verschwendet aber auch das große Potenzial der eigenen Offensive.

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Beim Punktgewinn gegen Bayer brachte Hertha in der gesamten zweiten Halbzeit nur einen Torschuss zustande. Im Fußball geht es um die richtige Balance und genau die hat Hertha bis dato noch nicht finden können.
Talentiert ist die Mannschaft ohne Frage. Gerade einige der jüngsten Neuzugänge haben die Qualität noch einmal angehoben. Zu nennen ist dabei vor allem Mattéo Guendouzi. Der Franzose ist ein Mittelfeldmotor, wie ihn Labbadia für seine Art des Ballbesitzfußballs benötigt.

Aber aktuell muss Guendouzi noch zu viel allein machen. Er sieht sich dazu veranlasst, am einen Ende des Spielfelds die Angriffe anzukurbeln und sich am anderen Ende des Spielfelds unmittelbar am Pressing zu beteiligen. Auch hier stimmt das notwendige Maß nicht, was allerdings nicht Guendouzi vorzuwerfen ist. Ähnlich verhält es sich mit Mitspielern wie Matheus Cunha oder Vladimir Darida. Sie wollen den Erfolg sehr oft erzwingen, denn mit dem aktuellen Tabellenplatz ist keiner von ihnen zufrieden.

Union nutzt seine Möglichkeiten bisher effizienter als Hertha

Das richtige Maß hat Union hingegen schon gefunden. In den vergangenen Partien verstand es das Team sehr klar, die eigene Spielintensität zu dosieren und sich im richtigen Moment auch zurückzuziehen. Trainer Fischer besteht nicht darauf, dass seine Mannschaft nun um jeden Preis in den Offensivmodus schaltet. Stattdessen soll sie sich clever an die entsprechenden Spielsituationen anpassen. Bei Rückstand wird etwas druckvoller und risikoreicher nach vorn gespielt, bei Vorsprung wird etwas härter verteidigt.

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Interessanterweise ähneln sich Hertha und Union in vielen Statistiken. Sie haben einen nahezu identisch hohen Ballbesitzanteil, ihre Passquote unterscheidet sich nur marginal, selbst bei den abgegebenen Torschüssen liegen sie nahezu gleichauf. Doch in der wichtigsten Statistik liegt Union acht Punkte und sieben Plätze vor Hertha. Das spricht dafür, dass die Köpenicker ihre spielerischen Möglichkeiten effizienter nutzen und wie erwähnt weniger erratisch sind als Hertha.

Im direkten Duell der beiden Teams sind großartige taktische Anpassungen von beiden Trainern nicht zu erwarten. Sowohl Labbadia als auch Fischer haben sich seit Wochen auf ihre Spielsysteme festgelegt. Da wäre es überraschend, würden sie nun gerade fürs Derby viel umbauen. Insbesondere bei Union besteht ohnehin kein Grund dafür. Für Hertha geht es derweil darum, aus dem präferierten 4-2-2-2-System heraus die notwendige Dominanz am Ball zu entwickeln, ohne erneut in Konter zu laufen. Dass die Männer von Labbadia trotz der Erfahrungen der vergangenen Wochen eventuell doch wieder unnötige Fehler am Ball begehen könnten, ist Unions große Chance, dieses Derby und damit die Frage nach der fußballerischen Vorherrschaft in der Stadt für sich zu entscheiden.

Constantin Eckner

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