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Quarterback Patrick Mahomes feiert den Super-Bowl-Sieg seiner Kansas City Chiefs

© TIMOTHY A. CLARY / AFP

Super Bowl 2020: Ein irrwitziger Pass leitete eine verrückte Aufholjagd ein

Acht Minuten vor Schluss lagen die San Francisco 49ers im NFL-Finale weit vorne – dann reichte eine Aktion der Kansas City Chiefs, um die Partie zu kippen.

Coach Andy Reid hatte Basecap und Headset schon wieder aufgesetzt, als ihm der potenzielle Fauxpas bewusst wurde. War die US-amerikanische Nationalhymne, war der Star-Spangled Banner tatsächlich bis zum letzten Ton zu Ende gespielt worden? Oder musste Reid, ein Bilderbuch-Amerikaner mit Vorlieben für Cheeseburger und Football, seine Arbeitsutensilien aus Gründen der Ehrerbietung doch noch einmal vom Kopf nehmen?

Selbst beim Cheftrainer des Kansas City Chiefs, einem Mann von 61 Jahren mit knapp drei Jahrzehnten Berufserfahrung in der National Football League (NFL), war eine gewisse Nervosität in der Nacht zu Montag nicht zu leugnen. Dabei hatte er beim hochoffiziellen Prozedere vor dem Kick-off des Super Bowls nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht.

Gut vier Stunden später stand Reid auf dem Feld des Hardrock-Stadions von Miami, frisch geduscht mit klebriger Brause aus einem gigantischen Behälter, berieselt von Konfetti, und konnte einmal ganz tief durchatmen.

Bei der 54. Auflage des NFL-Endspiels war seiner Mannschaft in vielerlei Hinsicht ein historischer Triumph gelungen: Am Ende der insgesamt 100. NFL-Saison seit Gründung der Liga setzten sich die Kansas City mit 31:20 (10:10) gegen die San Francisco 49ers durch. Für das traditionsreiche Team aus dem Bundesstaat Missouri war es der erste Titel seit genau 50 Jahren.

Super Bowl: Endlich ein Meistertitel für Reid

Obendrein widerlegte Reid mit dem größten Erfolg seiner Karriere ein Vorurteil, das ihn mit fortwährendem Alter immer wieder nachgesagt wurde: dass er und seine Teams immer dann Nerven zeigen, wenn es drauf ankommt. In der Crunchtime also, wie es im US-Sport heißt. Bis Montagnacht hatte kein anderer NFL-Coach so viele Spiele gewonnen wie Reid, ohne die Bilanz mit einer Meisterschaft zu veredeln, mit etwas Zählbarem, mit einem Super-Bowl-Ring.

Der Erfolg schmeckte noch süßer, weil acht Minuten vor dem Ende nicht mehr viel für Kansas City gesprochen hatte. Nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit mit leichten Vorteilen für die Chiefs, die sich zur Pause (10:10) allerdings nicht auf der Anzeigetafel widerspiegelten, war der 54. Super Bowl in Durchgang zwei zunächst zu Gunsten der 49ers gekippt.

Die Kalifornier führten mit 20:10 und vermittelten lange Zeit den Eindruck, das homogenere, breiter besetzte, kurzum: einfach das bessere Team zu sein. San Franciscos Verteidigungsspezialisten um Nick Bosa machten gnadenlos Jagd auf Chiefs-Quarterback Patrick Mahomes, sie setzten den jungen Spielmacher massiv unter Druck und ließen ihm kaum Zeit, seine wundersamen wie gefürchteten Würfe an den Mann zu bringen. Der hochgelobten Offensive von Coach Reid wollte einfach nichts einfallen.

Quarterback Mahomes unsicher, nervös, abwesend

Gerade im dritten Viertel wirkte Mahomes phasenweise wie eine schlechte Kopie seiner selbst: unsicher, nervös, abwesend. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der 24-Jährige, von Reid vor zwei Jahren überraschend zum Stammspieler befördert, in den Play-offs der laufenden Saison 163 Pässe ohne jede Interception geworfen. Im dritten Viertel fing San Francisco dann gleich zwei Pässe von Mahomes ab.

Die Offensive der 49ers um den starken Quarterback Jimmy Garoppolo nutzte die Geschenke und wandelte die Ballgewinne in eine 20:10-Führung um, die bis weit ins Schlussviertel Bestand haben sollte.

Entscheidende Szene im Super Bowl: Irrwitziger Pass über das halbe Feld

Keinem Gelegenheitszuschauer konnte man verdenken, falls ihm die Partie womöglich bereits entschieden schien. Die Schlussphase zeigte aber erneut: American Football ist ein verrücktes, unberechenbares, wahnsinnig komplexes Spiel, in dem sich Dinge mit einer kleinen Aktion komplett ändern können.

Diese eine Szene war im jüngsten Super Bowl ein irrwitziger Pass über das halbe Feld, den Mahomes in höchster Not geworfen hatte – und der tatsächlich noch einen Adressaten fand. Ab diesem Zeitpunkt machten die Chiefs genau dort weiter, wo sie in den letzten drei Play-off-Spielen aufgehört hatten: sie starteten eine verrückte Aufholjagd.

Dem Pyrotechniker ging das Feuerwerk aus

Im ersten Spiel der K.o.-Runde hatte Kansas mit 0:24 gegen Houston zurückgelegen und das Spiel noch 51:31 gewonnen. Dem Pyrotechniker im altehrwürdigen Arrowhead-Stadion von Kansas City, einer gewaltigen Schüssel aus den frühen 70er Jahren, ging am Ende sogar das Feuerwerk aus, weil so viele Punkte und Touchdowns fielen.

Eine Woche später, im Halbfinale gegen die Tennessee Titans, drehten Mahomes und seine Kollegen erneut einen zwischenzeitlichen Rückstand (7:17) und zogen ins Endspiel ein.

Wie Bud Spencer in besten Zeiten

Im finalen Viertel des Super Bowls erinnerte Mahomes dann an Bud Spencer zu besten Zeiten: der Quarterback befreite sich aus jeder brenzligen Situation, er verteilte gewissermaßen einen Aufwärtshaken nach dem anderen. Sechs Minuten vor dem Ende verkürzte Mahomes mit einem Touchdown-Pass auf Trevis Kelce auf 17:20, wiederum dreieinhalb Minuten später fand er Running Back Damien Williams zur 24:20-Führung. Williams Lauf zum 31:20-Endstand hatte dann nur noch statistischen Wert.

Die zahlreichen Kansas-Fans im Stadion von Miami und daheim in den Bars und Kneipen Missouris wussten ihn dennoch entsprechend zu würdigen, Andy Reid an der Seitenlinie natürlich auch.

Super Bowl: Déjà-vu für Shanahan

San Franciscos Coach Kyle Shanahan erlebte dagegen ein Déjà-vu, auf das er garantiert gern verzichtet hätte. Vor drei Jahren, im Super Bowl 2017 gegen die New England Patriots, war Shanahan ein ähnliches Debakel widerfahren wie nun in der Nacht zu Montag. Damals führten die Atlanta Falcons, für die Shanahan als Offensiv-Coach arbeitete, im Endspiel bereits mit 28:3 – und mussten sich am Ende doch noch mit 28:34 geschlagen geben.

Das größte Comeback der Super-Bowl-Geschichte wurde seinerzeit auch und vor allem dem heutigen 49ers-Coach angelastet. Gut möglich, dass sich Shanahan diesmal ähnliche Fragen gefallen lassen muss wie damals. Etwa, wie es so weit kommen konnte? Und warum seinem Team nun erneut die auf größtmöglicher Bühne die Nerven versagten? Andy Reid muss sich mit solchen Belanglosigkeiten künftig nicht mehr beschäftigen.

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