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Aus Protest gegen das Verhalten von Präsident Martin Kind wollen einige Fans von Hannover im Stadion keine Stimmung machen.

© imago/Eibner

Streit der Fans mit Vereinsführung: 34 Auswärtsspiele für Hannover 96

Eine Minderheit von Fans macht bei Hannover 96 die Stimmung kaputt. Der Trainer fürchtet, dass die fehlende Unterstützung den Klassenerhalt kostet.

Von Christian Otto

Eigentlich liegt doch so viel Schönes in der Luft. Schalke 04 kommt zum ersten Heimspiel. Der Brasilianer Jonathas, der für neun Millionen Euro frisch verpflichtet worden ist, könnte sein Debüt geben. Hannover 96 und das gesamte Umfeld müssten angesichts der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga vor Freude hüpfen und Juhu schreien. Aber eine Minderheit von Fans schafft es, die Stimmung zu verderben. „Mir graut davor“ – diesen unschönen Satz hat 96-Torjäger Martin Harnik mit Blick auf das ausgesprochen, was am Sonntag (18 Uhr/live bei Sky) in Hannover zu erwarten ist. Die sonst besonders lauten Anhänger wollen wegen Unstimmigkeiten mit Präsident Martin Kind schweigen und die Stimmung boykottieren. Den damit verbundenen Schaden für die heimische Mannschaft möchten sie in Kauf nehmen.

Für einen Chefcoach, dem die Arbeit vermiest wird, bleibt André Breitenreiter ganz schön tapfer. „Im Moment hält es die Mannschaft aus“, sagt jener Mann, der sich wie im falschen Film vorkommen muss. Als Aufsteiger mit eher defensiver Transferpolitik kämpft Hannover um den Klassenerhalt. Den überraschenden 1:0-Erfolg der Niedersachsen zum Saisonstart bei Mainz 05 schreibt Breitenreiter einer Energieleistung zu, die vor allem dem guten Zusammenhalt seiner Spieler zu verdanken ist. „Meine Jungs haben es verdient, unterstützt zu werden. Aber mit 34 Auswärtsspielen in einer Saison schaffen wir den Klassenerhalt nicht. Ohne den Rückhalt der Fans wird es nicht reichen“, befürchtet der Trainer.

Hannover 96 ist ein sehr trauriges Beispiel für jenes Problem, das der gesamte deutsche Profifußball mit einem Teil seiner Kundschaft hat. Zu viel Kommerz, zu wenig Tradition, zu wenig Rechte für die Fahnenschwenker in der Fankurve: Was bundesweit den Deutschen Fußball- Bund (DFB) in Ratlosigkeit stürzt, trifft Hannover 96 regional mit voller Wucht. Die Zahl der Anhänger, denen das Wirken von Präsident Martin Kind übel aufstößt, ist in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden.

Keiner der Streithähne will mit dem anderen vernünftig reden

Als erster Entscheider, Geldgeber und Funktionär in Personalunion hat der vermögende Unternehmer beschlossen, seinen Verein möglichst wettbewerbsfähig aufzustellen. Kind will dank einer Sondergenehmigung die 50+1-Regel außer Kraft setzen, um potenziellen Investoren die Hoheit über alles Wesentliche zu verschaffen. „Wer das Geld gibt, will auch entscheiden dürfen, was damit geschieht“, findet der mächtige 96-Boss. Genau solche Sätze sorgen dafür, dass der Schlachtruf „Kind muss weg“ zum Dauerbrenner geworden ist.

Die Bereitschaft aller Streithähne, vernünftig miteinander zu reden, ist rund um den eigentlich erfreulichen Wiederaufstieg von Hannover 96 kaum zu spüren. Horst Heldt ist um seine Arbeit an der Nahtstelle zwischen den Protesten der Fans und der Weiterentwicklung des Vereins nicht zu beneiden. „Ich bin nicht realitätsfremd. Der Profifußball kann moderner werden und trotzdem für Werte und Traditionen stehen“, meint der Sportdirektor.

Sportdirektor Horst Heldt (links) und der Trainer Andre Breitenreiter müssen vermitteln.
Sportdirektor Horst Heldt (links) und der Trainer Andre Breitenreiter müssen vermitteln.

© dpa

Heldt gehört neben Breitenreiter zu den wichtigsten Gesichtern des Vereins. Beide sind neben guten Ergebnissen maßgeblich für die Stimmung und den Dialog mit den Fans verantwortlich. Sie versuchen auf ihre Weise, den Hardliner-Kurs ihres Chefs mitzutragen, ohne es sich mit bockigen Fans zu verscherzen. Vor der Partie gegen Schalke, das stets sehr stimmungsvolle Fans mitbringt, versucht es Breitenreiter mit einer ganz behutsamen Moralkeule. „Jeder einzelne Zuschauer im Stadion entscheidet selbst“, sagt der Cheftrainer. In seinen Worten schwingt die Hoffnung mit, dass das normale Publikum aufmuckt und laut genug ist, um gute Stimmung zu erzeugen.

Das Merkwürdige an diesem Bruch zwischen Fans und immer offensiver vermarkteten Vereinen bleibt: Bockige Anhänger wie die in Hannover blenden gerne aus, wovon die große Show bezahlt wird. Mit dem Brasilianer Jonathas etwa, einem robusten Stürmer von gehobener Güte, hat 96-Boss Kind gerade den teuersten Spielereinkauf in der Vereinsgeschichte abgezeichnet. Wie man solche Personalien finanziert und wer die Verantwortung dafür schultert, interessiert die Kind-Kritiker kaum.

Auf der anderen Seite hat Hannover 96 seit 2013 mehr als 200.000 Euro an Strafen für das Fehlverhalten seiner Fans bezahlen müssen. Pyrotechnik auf der Tribüne, Störenfriede auf dem Platz, Gewalt in des Gegners Stadion: Die lange Liste der Versäumnisse und sogar Morddrohungen gegen ihn haben Kind mürbe gemacht. Seitdem er 2016 in einem Zug nach einer Auswärtsfahrt gesessen hat, den Fans demoliert haben, ist seine Lust auf Kompromisse auf ein Minimum gesunken. Der 73-Jährige erträgt die Anfeindungen gegen sich so tapfer wie möglich und will mindestens bis 2019 im Amt bleiben.

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