zum Hauptinhalt
Zwei Säcke Geld hat Hertha ausgegeben. Von den vier Winter-Zugängen läuft es aber nur für Matheus Cunha (re.). Das gefällt auch Dedryck Boyata.

© Imago

Stadtduell Hertha gegen Union in der Bundesliga: Wer hat das Zeug zum Derby-Helden?

Leise gegen laut, Kante gegen Waffe, verrückt gegen angeschlagen – vor dem Derby Hertha gegen Union stellen wir je drei Spieler vor, auf die es ankommen könnte.

Dass Männer, wie es so schön heißt, Geschichte machen, ist in der Geschichtswissenschaft längst widerlegt. Dass Männer allerdings Derbygeschichte schreiben können, sieht man schon daran, dass Torsten Mattuschka bis heute beim 1. FC Union kultisch verehrt und besungen wird. Mattuschka ist einer der Berliner Derbyhelden, so wie auf der anderen Seite, bei Hertha BSC, der Brasilianer Ronny, dem als Einzigem bisher bei diesem Berliner Derby zwei Tore gelungen sind. An diesem Freitag (20.30 Uhr, live bei Amazon Prime und Dazn) ist es wieder so weit.

RUNE JARSTEIN
Dass Torhüter in einem Derby zum Helden werden, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Umso schneller können sie in einem solchen Spiel zum Trottel werden. So wie Maikel Aerts am 5. Februar 2011, als er bei Mattuschkas Freistoß gar nicht gut aussah. Gerade in einem emotional aufgeladenen Derby braucht es einen Torhüter, der Ruhe ausstrahlt und seinem Team dadurch ein Gefühl der Sicherheit verleiht.

Dass Rune Jarstein, der erfahrene Norweger, über diese Fähigkeit verfügt, hat er oft genug gezeigt. Allerdings nicht unbedingt in dieser Saison, die für Hertha so turbulent verlaufen ist. Auch Jarstein hat gewackelt, so sehr sogar, dass er kurzzeitig seinen Stammplatz an Thomas Kraft verloren hat. Der neue Trainer Bruno Labbadia aber hat die Entscheidung seines Vorgängers Alexander Nouri bei erster Gelegenheit wieder rückgängig gemacht. Gegen Hoffenheim stand Jarstein im Tor – und Hertha blieb im zehnten Pflichtspiel dieses Jahres zum zweiten Mal ohne Gegentreffer. Mindestens so wichtig war der Gesamteindruck den Jarstein bei seinem Comeback hinterließ: unaufgeregt bei hohen Bällen, sicher und ruhig im Spielaufbau. Genauso, wie es in einem Derby sein muss.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

RAFAL GIKIEWICZ
Im Derby könnten Leidenschaft und Mentalität „Berge versetzen“, hat Unions Trainer Urs Fischer am Mittwoch gesagt. Es gewinnt „nicht immer die Mannschaft, die mehr Ballbesitz und die besseren Möglichkeiten hat, sondern die, die die größere Leidenschaft an den Tag legt. Das ist eine Eigenschaft, die unsere Mannschaft verkörpert.“

Das gilt besonders für den leicht verrückten Torwart Rafal Gikiewicz. Dass der Pole sein Herz auf der Zunge trägt, hat er unter anderem mit seiner viel bejubelten diplomatischen Intervention im Derby im vergangenen November gezeigt. Aber auch sonst ist er ein lauter Anführer auf dem Platz. Im Geisterspiel hört man bekanntlich jedes gesprochene Wort, und gegen Bayern kam gefühlt jedes dritte von Gikiewicz.

„Der Rafa ist ein Spieler, der gerne redet. Jeder, der ihn kennt, weiß, dass er maximalen Erfolg haben will – da kann er ruhig von hinten schreien“, sagte Verteidiger Florian Hübner. Obwohl er seinen Vertrag nicht verlängert hat, hat Gikiewicz versprochen, „bis zur letzten Minute mit meinem ganzen Herzen“ für Union zu kämpfen. Im Derby gilt das wohl noch mehr.

DEDRYCK BOYATA
In keinem Ressort ist Hertha so gut und so ausgeglichen besetzt wie in der Innenverteidigung. Für die beiden Plätze gibt es vier Bewerber, die alle den berechtigten Anspruch haben zu spielen. Und doch gibt es mit Dedryck Boyata einen, dessen Anspruch noch ein bisschen berechtigter ist.

Erst im vergangenen Sommer ist der Belgier nach Berlin gekommen, und trotzdem darf er sich längst als Chef der Abwehr fühlen. Egal wer bei Hertha Trainer war (und das waren in dieser Saison einige): Boyata hat gespielt. Jürgen Klinsmann, des Überschwangs natürlich komplett unverdächtig, hat ihn sogar als einen der besten Innenverteidiger Europas geadelt. Unbestritten ist, dass der 1,88 Meter große Boyata eine echte Kante ist, unbeirrbar und sehr präsent – und dass gerade diese Fähig- und Fertigkeiten gegen eine physisch starke Mannschaft besonders wertvoll sind.

Zudem hat Dedryck Boyata noch etwas gutzumachen. Im Hinspiel verschuldete er kurz vor Schluss mit seinem unmotivierten Eingreifen gegen Christian Gentner den Foulelfmeter, mit dem sich Sebastian Polter zum Derbyhelden schoss.

Kopfsache. Unions Abwehr um Innenverteidiger Friedrich und Torwart Gikiewicz fing sich zuletzt sechs Tore nach Standards. Das soll sich schnell verbessern.
Kopfsache. Unions Abwehr um Innenverteidiger Friedrich und Torwart Gikiewicz fing sich zuletzt sechs Tore nach Standards. Das soll sich schnell verbessern.

© Imago

MARVIN FRIEDRICH
Mit Leidenschaft allein gewinnt man kein Derby, und fußballerisch gibt es vor allem in einem Bereich bei Union Grund zur Sorge. In den vergangenen vier Spielen hat die Mannschaft sechs Tore nach Standards kassiert, darunter gleich zwei gegen Bayern. „Wir haben versucht, es im Training anzusprechen und ein bisschen zu üben“, sagte Fischer. Er habe aber keinen Knopf, mit dem er das Problem einfach abstellen könnte.

Umso wichtiger könnte es also sein, dass Innenverteidiger Marvin Friedrich wieder in die Mannschaft rückt. Nach seinem Platzverweis vor der Coronaviruspause saß der 24-Jährige gegen Bayern gesperrt auf der Tribüne. Gegen Hertha dürfte er nun den seinerseits gelbgesperrten Keven Schlotterbeck ersetzen.

Mit seinen 1,92 Metern und 89 von 141 gewonnen Kopfballduellen ist Friedrich eine Waffe bei Standardsituationen. Und auch, wenn die defensive Organisation bei ruhenden Bällen immer noch nicht stimmt, könnte er zumindest nach vorne aushelfen. Im März traf Friedrich gegen Wolfsburg zum ersten Mal in dieser Saison, und vor fast genau einem Jahr erzielte er im Relegationshinspiel gegen Stuttgart das vielleicht wichtigste Tor seiner Karriere. Beide Treffer erzielte er per Kopf, beide nach einem Standard.

MATHEUS CUNHA
Kein Klub in Europa hat im Winter so viel Geld für neue Spieler ausgegeben wie Hertha BSC. 76 Millionen Euro investierten die Berliner, doch als Bruno Labbadia am vergangenen Samstag sein Debüt als Trainer von Hertha BSC feierte, stand nur einer der vier Wintereinkäufe in der Startelf. Das war etwas überraschend; wenig überraschend war, dass es sich bei dem einzigen Neuen in der Anfangsformation um Matheus Cunha handelte.

Der Brasilianer, der nächste Woche 21 wird, hat sich bei Hertha längst als echte Attraktion entpuppt. In fünf Einsätzen war er an vier Toren beteiligt, gegen Hoffenheim traf er nach einer feinen Einzelleistung zum 3:0-Endstand. „Ein wahnsinniges Potenzial“ wird Cunha von seinem Trainer bescheinigt. „Ich schätze seine Qualitäten extrem.“

Cunhas Spiel hat etwas Anarchisches – genau das macht ihn so wertvoll. „Ich will, dass er diese verrückte Art beibehält“, sagt Labbadia. „Aber ich würde ihm gern noch ein bisschen Struktur mitgeben.“ Vielleicht nicht unbedingt fürs Derby, in dem Hertha sich gerade im gegnerischen Strafraum auf wenig Platz einstellen muss und vor allem unerwartete Antworten benötigt. Torsten Mattuschka und Ronny haben schließlich gezeigt, dass es oft die Verrückten sind, die in solchen Spielen groß rauskommen.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

SEBASTIAN ANDERSSON
Auch wenn sich Publikumsliebling Sebastian Polter im November zum Derbyhelden krönte, bleibt Sebastian Andersson bei Union unangefochten erste Wahl als Mittelstürmer. Mit elf Treffern ist der Schwede erfolgreichster Torschütze. Nur vier Spieler haben in dieser Saison öfter getroffen, darunter Robert Lewandowski und Timo Werner.

Noch aber ist unklar, ob der 28-Jährige gegen Hertha überhaupt in der Startelf stehen kann. Im April hatte er wochenlang mit Kniebeschwerden zu kämpfen, und bei der Niederlage gegen die Bayern kam er nur in den letzten 20 Minuten zum Einsatz. Doch Trainer Fischer gab sich am Mittwoch optimistisch: „Die Minuten gegen Bayern haben ihm gutgetan. Es war wichtig, mit ihm behutsam umzugehen, aber jetzt ist er noch einen Schritt näher an der Startelf.“ Sollte Andersson am Freitag noch nicht so weit sein, gibt es immerhin noch Sebastian Polter. Den Derbyhelden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false