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Der Alte. Der beliebte Daniel Bierofka hat seinen himmelblauen Löwen-Hut genommen.

© dpa

Stadtderby gegen Bayern München II: Der TSV 1860 München – ein Klub wie Rauschgift

1860 ist an Kuriositäten kaum zu überbieten. Vor dem Derby gegen den FC Bayern II ist mit dem Abgang von Klubikone Daniel Bierofka das Chaos zurück.

Als Michael Köllner am Montag vor einer Woche als neuer Trainer des Drittligisten TSV 1860 München vorgestellt wurde, erzählte er den Journalisten gut gelaunt einige Anekdoten. Die erste: Nachdem der Klub seine Verpflichtung offiziell verkündet hatte, hätten sich zwei seiner ehemaligen Spieler gemeldet. Zusammengefasst hätten deren Nachrichten in etwa so geklungen: „Geiler Verein, da bist du richtig, Trainer!“

Die zweite: Eine Begegnung an einer Tankstelle in der Nähe des Trainingsgeländes der Löwen im Mai 2017. Der TSV war gerade aus der Zweiten Liga abgestiegen und die Spieler liefen mit gepackten Sachen an ihm, der nur zufällig vor Ort war, vorbei. „Was ich da erlebt habe“, sagte Köllner auf der Pressekonferenz. „Da haben die Spieler die Flucht ergriffen.“

Der Neue. Michael Köllner soll den TSV 1860 München zunächst mal zum Derbysieg gegen den FC Bayern II führen.
Der Neue. Michael Köllner soll den TSV 1860 München zunächst mal zum Derbysieg gegen den FC Bayern II führen.

© Matthias Balk/dpa

An diesem Tag habe er begriffen, wie leidensfähig dieser Verein und seine Fans seien. Irgendwann während dieser turbulenten Stunden weigerte sich der jordanische Investor Hasan Ismaik, den nötigen Betrag für die Lizenz in der Dritten Liga zu überweisen. So wurde der Klub durchgereicht in den Amateursport. Es wirkt noch nicht wirklich so, als hätte Michael Köllner verstanden, in was für einen Wahnsinn er sich da hineinmanövriert hat.

Seit Jahren schon droht der Traditionsklub zu zerfallen. Dass nun Daniel Bierofka, eine der letzten Identifikationsfiguren im Verein und seit 2007 ununterbrochen für den Klub tätig, am ersten Dienstag im November mit Tränen in den Augen das Trainingsgelände in Giesing verlassen hat, ist nur ein Teil der langen und kuriosen Geschichte des kleineren der beiden großen Münchner Fußballvereine.

Es ist ja bekannt, dass der November ein kalter und oft auch frustrierender Monat ist. Da passt es gut, dass die jüngere Geschichte des Klubs im November 1990 beginnt – sportlich zunächst erfolgreich: Der Verein verpflichtete Karsten Wettberg als Trainer.

Wettberg hievte die Münchner nach neun Jahren Bayernliga in die Zweite Liga, lief erst wie ein Rumpelstilzchen einen Regenschirm auf den Boden prügelnd über den Rasen, dann in Unterhose durch die Katakomben des Grünwalder Stadions, bevor ihn Neu-Präsident Karl-Heinz Wildmoser im darauffolgenden Jahr entließ. Wettberg, mittlerweile wegen seiner Erfolge König von Giesing genannt, hatte bei der Präsidiumswahl dessen Konkurrenten unterstützt.

War schon alles. Karsten Wettberg, der beim TSV mal als Trainer, Vize-Präsident, Aufsichtsratsmitglied oder Talentscout wirkte.
War schon alles. Karsten Wettberg, der beim TSV mal als Trainer, Vize-Präsident, Aufsichtsratsmitglied oder Talentscout wirkte.

© dpa

Wildmoser holte Werner Lorant, stieg mit ihm in die Bundesliga auf, wollte aus den Löwen eine internationale Marke formen und baute gemeinsam mit dem Rivalen FC Bayern die pompöse Allianz Arena. Das Stadion war zu groß und zu teuer für den TSV 1860, der Klub stieg ab, verkaufte seine Anteile an der Arena, zum Ende hin wurden die oberen Ränge abgehängt, weil die Zuschauer ausblieben, damit auch das Geld.

2011 stand der Verein vor der Insolvenz, Ismaik kaufte erste Anteile, sprach davon, ein neues Stadion mitsamt Zoo zu errichten und aus den Löwen einen Champions-League-Klub zu machen. 2017 stieg der Verein sportlich in die dritte und aus Lizenzgründen in die vierte Liga ab. „Fußball“, sagt Karsten Wettberg, „ist das Leben im Zeitraffer.“

Wettberg, 78, saß beim TSV 1860 München während seiner langen Karriere schon auf vielen Stühlen: In den Neunzigern war er Trainer, 2007 und 2008 Vize-Präsident, er war Mitglied im Aufsichtsrat, dann Talentscout. „Die Krux bei Sechzig ist“, sagt Wettberg, „dass sich Leute ins Tagesgeschäft einmischen, die keine Ahnung vom Fußball haben.“ Fußballfachleute seien bei Sechzig nicht erwünscht.

Kontinuität scheinbar auch nicht: Seit dem Einstieg Ismaiks im Mai 2011 wechselte der Verein 17 Mal den Trainer. In diesen acht Jahren gab es drei Geschäftsführer Sport, einen sportlichen Leiter, fünf Sportdirektoren, die Aufgaben überschnitten sich.

Investor mit Interessen. Hasan Ismaik glaubt zu wissen, was gut für den TSV 1860 ist und was nicht.
Investor mit Interessen. Hasan Ismaik glaubt zu wissen, was gut für den TSV 1860 ist und was nicht.

© Andreas Gebert/dpa

Die Zahl der Geschäftsführer konnte der Verein auf Anfrage nicht beantworten. Einer der Geschäftsführer war Noor Basha, Cousin von Ismaik. Bevor er ging, sagte er: „Am Ende des Tages macht er (Ismaik, d. Red.), was er will.“ Ein anderer war der ehemalige Liverpooler Geschäftsführer Ian Ayre. Der floh nach 96 Tagen.

Dazu kommt, dass die Fanszene seit dem Einstieg Ismaiks gespalten ist. Da ist die eine Seite, die Fanorganisation Arge, der Dachverband der über 450 Fanclubs. Der Arge unterstützt offen Investor Ismaik. Dem gegenüber steht die Gruppe Pro1860, früher Kritiker von Wildmosers Träumereien, heute von Ismaiks Wirken in München. Pro1860 wird eine Nähe zu den Ultras nachgesagt.

Die Positionen der beiden Fanorganisationen entfernten sich zuletzt immer weiter voneinander: In der Westkurve im Grünwalder Stadion, dort, wo die Ultras stehen, singen sie seit ein paar Jahren das sogenannte Scheich-Lied: „Scheiß auf den Scheich, scheiß auf sein Geld.“ Im Rest des Stadions beteiligen sich dann einige an den Gesängen – und andere pfeifen die eigenen Fans aus.

Ismaik tat daraufhin in diesem Sommer in der Münchner „Abendzeitung“ kund, die Bosse bei 1860 seien Rassisten. Als Beleg führte er an, Präsident Robert Reisinger hätte sich nie von dem Text des Scheich-Lieds distanziert. „Das ist das Schlimmste, was ich in meiner Laufbahn erlebt habe“, sagt Wettberg. „Die Leute stehen gegeneinander, obwohl sie Anhänger desselben Vereins sind.“

Wettberg spricht von Mobbing

Da ist es für den Verein gerade besonders schmerzlich, dass Bierofka den Klub verlassen hat. Er war die letzte Identifikationsfigur, einer, den alle mochten. Die Fans, die Mannschaft, der Investor. Er selbst war der größte Fan des Klubs.

Vielleicht war es ihm zu viel, dass er gerade in den vergangenen Monaten mehr und mehr instrumentalisiert wurde im klubpolitischen Streit. Nach seinem letzten Spiel als Trainer beschwerte sich Bierofka darüber, dass Interna ausgeplaudert würden. „Lange schau ich mir das nicht mehr an. Das weiß ich“, sagte er. Wettberg spricht gar von Mobbing.

In einer ellenlangen Pressemitteilung des TSV 1860 zu seinem Abschied stand dann, Bierofka sei „der Anker für das taumelnde Schiff“ gewesen (Michael Scharold, Geschäftsführer Finanzen), „ein unglaublicher Fachmann an der Linie“ (Günther Gorenzel, Sportchef) und „das Gesicht des Vereins“ (Robert Reisinger, Präsident). Und Ismaik schrieb auf Facebook: „Das Ausscheiden von Bierofka müssen die Menschen verantworten, die ihn (…) ohne Rücksicht auf Verluste hinterhältig bekämpft haben.“

Vor ein paar Wochen hatte das Präsidium noch verlauten lassen, Sechzig werde auch ohne Bierofka existieren. Damals ging es noch um machtpolitische Spiele, jetzt ist es Realität. Michael Köllner hat nun die schwere Aufgabe, zu vermitteln. Zwischen Investor und Präsidium und den Fans. Wettberg wünschte dem neuen Trainer „viel Glück und alles Gute“.

Das könne er brauchen, denn: schwierig würde es für ihn ohnehin. Am Sonntag steht dann das erste Spiel unter der Leitung Köllners an: das Derby gegen die kleinen Bayern. Karsten Wettberg wird dann auch wieder im Stadion sein. Er sagt: „1860 ist wie Rauschgift.“

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