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So sehen Verlierer aus. Die HSV-Profis Louis Schaub (l) und Jordan Beyer nach dem Spiel gegen den FC St. Pauli.

© dpa

St. Pauli gelingt Überraschung: Der HSV ringt nach der Derby-Pleite um Fassung

Der Hamburger SV unterliegt dem FC St. Pauli. HSV-Trainer Dieter Hecking nimmt die Schuld auf sich.

Von David Joram

Dimitrios Diamantakos ließ die Muskeln spielen, das war nicht zu übersehen. Seines Trikot hatte sich der Stürmer des FC St. Pauli ja bereits auf dem Rasen entledigt, weshalb er seinen gut gepflegten Oberkörper, von dicken Regentropfen benässt, besonders mühelos in den Katakomben des Hamburger Volksparkstadions zur Schau stellen konnte. Wer wollte, durfte eine vor Stolz geschwellte Brust erkennen, die ein alter Kriegsheld aus dem noch älteren Sparta nach einer erfolgreichen Küstenschlacht vermutlich genauso präsentiert hätte.

Und vielleicht haben sich Diamantakos und etliche seiner Mitspieler, die ebenfalls blank zogen, auch ein bisschen gefühlt wie jene Spartaner, die rund 480 Jahre vor Christus einen schier aussichtslosen Kampf gegen die Perser bei den Thermopylen geführt hatten.

Immerhin waren die Pauli-Spieler auch in eine Unternehmung gezogen, von der die meisten Experten annahmen, sie würden dabei chancenlos sein. Aber offenbar haben Stadtderbys tatsächlich ihre viel zitierten eigenen Gesetzte, weshalb am Samstag im Stadtteil Stellingen der Abstiegskandidat FC St. Pauli den Aufstiegsfavoriten Hamburger SV 2:0 (2:0) abfertigte.

Henk Veerman und Matt Penney stellten mit ihren sehenswerten Toren den Prestigeerfolg sicher. Es war bereits der zweite 2:0-Triumph der Kiezkicker in dieser Saison über die Rautenträger, weshalb der FC St. Pauli seinen Stadtmeisterstatus ziemlich gefestigt hat. Lediglich 7,5 Kilometer trennen die beiden Stadien der Hamburger Vereine – doch die Stimmung in beiden Lagern hätte nach dem Derby unterschiedlicher kaum sein können.

"Die Häme und den Spott nehmen wir hin"

Während die einen ausgelassen vor ihren 7500 Fans tanzten, die etliche braun-weiße Fahnen schwenkten, rangen die Unterlegenen um Fassung, sichtlich bemüht, die Deutungshoheit über eine bislang formidable Saison zu behalten. „Es gilt jetzt, sich drei, vier Tage richtig zu schütteln in Hamburg. Die Häme und den Spott nehmen wir hin. Und dann werden wir unser Ziel verfolgen, das heißt Aufstieg. Punkt“, sagte Trainer Dieter Hecking.

Bloß keine negativen Gedanken aufkommen lassen, lautete das HSV-Motto, dem auch Sportdirektor Jonas Boldt folgte. „Es ist bringt nichts, zu lange zu hadern. Wir müssen das sacken lassen, nach vorne schauen, analysieren. Wir haben noch einige Spiele vor der Brust“, sagte er. Souverän moderierte er die kritischen Fragen ab. „Ich finde nicht, dass wir uns aufgegeben haben“, entgegnete er all jenen, die einen in der zweiten Halbzeit schlappen HSV gesehen haben wollten.

Es sei eben menschlich, dass es Tage gebe, in denen nicht so viel funktioniere. „Es ist nur bitter, dass das zweimal gegen den Rivalen aus der Stadt war“, sagte Boldt und kündigte wenige Minuten nach dem Abpfiff eine Reaktion an, während ein paar Meter die obligatorischen „Derbysieger“-Rufe der St.-Pauli-Spieler durch die Kabine hallten. „Wir gucken trotzdem nach vorn. Das ist unsere Art und Weise, wie wir das tun“, sagte Boldt kühl.

Was sie beim Hamburger SV nun unbedingt vermeiden wollen, sind negative Stimmen und Stimmungen, die am Selbstvertrauen der zu Saisonbeginn stark umgebauten Mannschaft kratzen könnten. „Die Niederlage nehme ich auf meine Kappe“, sagte etwa Trainer Hecking. „Ich muss mich auch hinterfragen, was wir hätten besser machen können.“ Konkret meinte er Spielerwechsel, die nicht fruchteten, und mangelnde Lösungsansätze, um St. Paulis Abwehr im zweiten Durchgang auszuhebeln.

Seine Spieler nahm Hecking explizit aus der Verantwortung, die hätten nämlich „alles probiert“ und „viel Leidenschaft“ gehabt. Die Derbyniederlage? Ein unliebsamer Ausrutscher, kein Trend.

St. Pauli hatte die "absolute Effektivität"

Das Bemerkenswerte an dieser Heimniederlage, die den HSV auf den dritten Tabellenplatz abrutschen ließ, dokumentiert vielleicht am ehesten die Aussage des HSV-Angreifers Martin Harnik. „Ich bin der Meinung, das waren die besten 20 Minuten des Jahres. Das war sensationell, was die Jungs da gespielt haben“, sagte Harnik. Hecking pflichtete ihm bei, „wir haben sehr, sehr gute erste 20 Minuten gespielt“, fand er in der Nachlese.

Latte und Pfosten hatten die schwungvoll gestarteten HSV-Kicker in der Anfangsphase getroffen, dynamisch ihr Spiel nach vorn getragen, St. Paulis Defensive früh attackiert – und die HSV-Fans auf den Stehplätzen der Nordtribüne, die mit einer imposanten schwarz-weiß-blauen Choreografie aufwarteten, in beste Stimmung versetzt. „HSV, HSV“, skandierten die Anhänger entzückt, die Führung so selbstverständlich erwartend wie die Regentropfen, die später fallen sollten.

Tore fielen auch noch, aber auf der anderen Seite. Das 0:2 nach einer halben Stunde war ein überraschendes Ergebnis. „Wir hatten die absolute Effektivität“, erklärte St. Paulis Trainer Jos Luhukay den für den HSV ärgerlichen Rückstand. In Hälfte eins offensiv gnadenlos, in Hälfte zwei defensiv kompromisslos, dazu zwei stets eklige Spartakörper-Stürmer wie Diamantakos und Veerman, das reichte den Gästen gegen einen HSV, der hinten raus einfallslos spielte.

„Das Derby ist das wichtigste Spiel für die Fans, es ist auch für uns ein superwichtiges Spiel. Wenn man dann auf einmal 2:0 hinten liegt und nicht weiß, woran das liegt, wirft einen das aus der Bahn“, versuchte sich Harnik an einem Erklärungsansatz, während sein Trainer einen „großen Frust“ verspürte.

Ob dieses Stadtduell seine Spieler aus der Bahn werfen wird, was die Saison betrifft, lässt sich vermutlich erst in ein paar Wochen abschließend klären. Feststellen durfte Hecking auf der Pressekonferenz erstmal nur, dass es nie gut sei, „wenn man zweimal das Derby verliert in einer Saison.“ Dimitrios Diamantakos und Co. überlegten da längst, was sie ihren müden Muskeln an diesem regnerischen Samstag noch zumuten konnten.

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